Nach der Hälfte der Spiele in Brasilien sind schon so viele Jokertore gefallen wie 2010 im gesamten Turnier. Auch ein Deutscher wurde schon zum Retter. Die klimatischen Bedingungen sind ein Grund dafür.

São Paulo. Manche sagen, Marc Wilmots habe einfach Glück gehabt. Andere wissen: Es war Methode. Alle drei Tore der Belgier bei dieser WM wurden von Einwechselspielern erzielt – und ziemlich genau so hatte der Nationaltrainer das auch geplant. „Ich beschäftige mich immer besonders mit denen, die nicht spielen“, hatte der frühere Schalker schon vor dem Turnier gesagt: „So wurde schon die Hälfte unserer Siegtore in der Qualifikation von Einwechselspielern erzielt.“

Wilmots hat einen breiten Kader, er hält seine Spieler bei Laune, zeigt ihnen ihre Wichtigkeit auf – und liegt damit voll im Trend. Die Bank gewinnt plötzlich tatsächlich die Spiele, und Joker sein Spaß wie nie. Diese Erfahrung hat auch schon Miroslav Klose gemacht. Seine vierte Weltmeisterschaft war für den deutschen Rekordstürmer gerade mal zwei Minuten alt, da wurde er auch zum WM-Rekordler (15. Treffer). Bei rund 30 Grad drückte der 36-Jährige den Ball gegen Ghana zum 2:2-Endstand über die Linie. Da war der Joker auch für die deutschen Fußball-Fans das, was er im Wortsinne ist: ein Spaßmacher.

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Beide Seiten der Medaille kennt Jürgen Klinsmann: Auch sein Joker, der Herthaner John Brooks stach gegen Ghana (2:1), gegen Portugal mussten die USA das 2:2 durch den eingewechselten Silvestre Varela in der fünften Minute der Nachspielzeit hinnehmen.

Frischen Impulsen von der Bank kommen bei dieser WM der extremen Bedingungen eine „besondere Bedeutung“ zu, das hatte Joachim Löw schon vorhe erklärt. „Spezialkräfte“ nennt der Bundestrainer deshalb die Spieler, die zunächst auf der Bank sitzen. Eine weitere Aufwertung, nachdem die Ersatzspieler im neudeutschen Sprachjargon schon zu Ergänzungsspielern aufgestiegen waren. Bereits nach etwas mehr als der Hälfte der Spiele sind 19 Tore durch Joker gefallen – bei der gesamten Endrunde 2010 in Südafrika waren es nur 15 gewesen.

Einwechselspieler haben besondere Aufgabe

Und so lassen sich Stars auch ungewöhnlich gut vertrösten. Selbst „100-Länderspiel-Männer“ wie Klose (133), Lukas Podolski (115) oder Bastian Schweinsteiger (103) nehmen ihre ungewohnte Bankdrücker-Rolle ohne Murren an. „Sie haben die Aufgabe, neue Energie und neue Impulse zu bringen“, erklärte Löw: „Im Zweifelsfall machen sie den Unterschied.“ Als das DFB-Team in Brasilien erstmals zurücklag, lieferten sie auch schon.

Viele Spieler erkennen die Rolle als Einwechselspieler inzwischen sogar als Spezialauftrag an. So der belgische 32-Millionen-Mann Marouane Fellaini, der beim 2:1-Auftakterfolg gegen Algieren fünf Minuten nach seiner Einwechslung die Wende einleitete. „Wenn ich begonnen hätte, hätte ich das Tor vielleicht nicht erzielt“, sagte er. Es klang wie ein Dank an Wilmots, zunächst draußen gesessen zu haben.

Im Laufe des Spiels ausgeruht gegen müde Gegner anzuspielen, ist vor allem bei großer Hitze ein echter Vorteil. „Wir müssen hier auch das Klima und die Anstoßzeit besiegen“, betonte Löw und bläute seinen Spieler ein: „Es ist keine Strafe, wenn ich nicht von Minute eins auf dem Platz bin.“ Und die Profis empfinden es diesmal auch nicht so. „Wenn Löw mich nicht von Anfang an bringt, werde ich keinen Stunk machen oder mich beleidigt in die Ecke setzen“, sagte Podolski. „Ich sehe das entspannt. Mir ist es egal, in welcher Form ich helfen kann“, ergänzte Klose.

Allein mit Frische sind die vielen Jokertore aber natürlich nicht zu erklären. Ein qualitativ breiter Kader und Einfühlungsvermögen des Trainers sind ebenso wichtig. Und auch der König der Joker-Spieler hatte in Brasilien schon Erfolg. Der Schweizer Nationaltrainer Ottmar Hitzfeld – der Alexander Zickler bei Bayern München zum Bundesliga-Rekord verhalf und Lars Ricken bei Borussia Dortmund zum legendären Tor im Champions-League-Endspiel – brachte beim 2:1 gegen Ecuador beide Torschützen nachträglich.