WM-Neuling Shkodran Mustafi gilt plötzlich als Favorit, falls Mats Hummels tatsächlich ersetzt werden muss. Kapitän Philipp Lahm wird definitiv im Mittelfeld bleiben.

Santo André. Kaum hat Joachim Löw eine verheißungsvolle WM-Formation gefunden, da muss er die Portugal-Siegerelf wohl notgedrungen schon wieder umbauen. Der sich abzeichnende Ausfall von Innenverteidiger Mats Hummels gegen Ghana wird aber nicht den WM-Veteranen Bastian Schweinsteiger und Miroslav Klose nützen, die auch am Samstag (21.00 Uhr MESZ/ARD) in Fortaleza als „Spezialkräfte“ zunächst wieder nur Bankdrücker sein dürften. WM-Neuling Shkodran Mustafi dagegen gilt plötzlich als Favorit, falls Hummels tatsächlich ersetzt werden muss. „Man muss abwarten, ob Mats Hummels spielen kann“, erklärte Bundestrainer Löw am Donnerstag im ARD-Hörfunk.

„Eine Umstellung würde wieder ein kleines Fragezeichen bringen“, bemerkte Jubilar Per Mertesacker. „Wir waren gerade dabei, uns zu finden.“ Auch deshalb setzt Löw noch auf eine rechtzeitige Genesung des am Oberschenkel verletzten Hummels. „Der Plan ist, dass er beim Abschlusstraining mit dabei sein kann“, sagte Löw im WM-Stammquartier von Santo André kurz vor der Abreise nach Fortaleza.

Doch auch für einen Hummels-Ausfall sieht Mertesacker die Abwehrkette gerüstet. „Jeder, der reinkommt, weiß, was er zu tun hat. Wir haben klare Vorgaben. Selbst wenn Shkodran rein kommt, ruft er seine Sachen sofort ab“, ergänzte der 29 Jahre alte Abwehrchef vor seinem 100. Länderspiel.

Anders als der mit Titelverteidiger Spanien in der Vorrunde sensationell gescheiterte Weltmeister-Coach Vicente del Bosque kennt Löw in Brasilien keine Treueschwüre mehr für langjährige Wegbegleiter und Turnierstammkräfte. Für personelle Veränderungen sieht der Freiburger gegen die „robuste Mannschaft“ von Ghana überhaupt keine Veranlassung, die 4:0-Auftaktsieger von Salvador sind auch für die Operation Achtelfinale erste Wahl.

Löw verzichtet auf Experimente


„Jeder hat gesehen, dass es gegen Portugal gut geklappt hat“, lautete die deutliche Ansage von Löws Assistent Hansi Flick. Experimente sind im tückischen zweiten Spiel, das bei der EM 2008 mit 1:2 gegen Kroatien und bei der letzten WM 2010 in Südafrika gegen Serbien (0:1) jeweils nach einem Starterfolg verloren wurde, nicht vorgesehen – und keine Geschenken an verdiente Führungsspieler a.D.

„Klar, dass es immer wieder Härtefälle gibt bei Aufstellungen“, sagte Toni Kroos. Bei der WM 2010 und der EM 2012 hatte der 24-Jährige jeweils die Rolle inne, die nun sein großer Bayern-Kollege Schweinsteiger bei seiner dritten Weltmeisterschaft erdulden muss. „Besonders von Klose und Schweinsteiger erhoffe ich mir, wenn sie mal nicht spielen, Impulse für die Mannschaft“, betonte Löw: „Aber das machen sie vorbildlich. Sei sind unheimlich professionell. Ihr Einfluss auf die andere Spieler ist ungebrochen.“

Die drei zentralen Mittelfeldplätze im neuen 4-3-3-System hat Löw erst einmal an Kapitän Philipp Lahm, den gereiften und erstmals unantastbaren Ballverteiler Kroos sowie Sami Khedira vergeben. „Der Trainer stellt die auf, die am besten geeignet sind“, bemerkte Lahm. Der Kapitän bleibt im Mittelfeld, auch wenn Hummels wegen seiner Oberschenkel-Prellung ausfallen sollte, verriet Flick bereits: „Es ist nicht vorgesehen, dass Philipp rechter Außenverteidiger spielt.“

Torjäger-Veteran Klose muss sich in der Offensive ebenfalls hinten anstellen. Sein Job im Auftaktspiel gegen Portugal war mit einer Kabinen-Ansprache zum Team schon vor dem Anpfiff erledigt. Neben dem gesetzten Drei-Tore-Portugalschreck Thomas Müller rangieren auch Mario Götze, André Schürrle und Lukas Podolski aktuell vor dem 36-Jährigen. „Wir sind alle mit dem Ziel hier, Weltmeister zu werden“, verkündete Kroos.

Mertesacker fürchtet „Grabenkämpfe“ um die Positionen


Deutschlands Rekordtorschütze Klose (132 Länderspiele) und Vize-Kapitän Schweinsteiger (102) mussten vor Ghana weiter in der Trainingsgruppe zwei mit den Reservisten schuften. „Jeder Einzelne muss sich auch ein Stück zurücknehmen“, sagte Mertesacker vor seinem 100. Länderspiel: „Es kann sehr schnell gehen, dass Grabenkämpfe entstehen.“ Bei der EM 2012 hatte der Wahl-Londoner das Reservisten-Gefühl selbst erlebt.

Schweinsteigers Turnier-Rolle dürfte maßgeblich von Khedira abhängen, dem Löw „große Fortschritte“ bescheinigte: „Ob Sami das Turnier durchstehen wird, kann ich jetzt auch noch nicht sagen. Es kann schon auch mal der Punkt kommen, wo er vielleicht sagt, ich bin jetzt nicht ganz so frisch. Dann müssen wir ihn natürlich auch ersetzen.“

Flick spricht schon vom Finale


Der durch Knieprobleme in der WM-Vorbereitung zurückgeworfene Schweinsteiger muss in Brasilien auf seinen Moment warten. Das ist für den jahrelangen Mittelfeldchef eine neue Situation. Im Trainingslager in Südtirol antwortete er auf die Frage, wie er dem Team helfen könne, wenn er nicht von Anfang an spielen werde. „Darüber können wir gerne reden, wenn es so weit ist. Ich denke nicht daran, dass es so sein wird.“ Jetzt ist es soweit.

Hummels konnte auch am Donnerstag nur auf dem Fahrrad trainieren. Die Verletzung könne ihn „das Ghana-Spiel kosten“, hat der Dortmunder schon gesagt. „Es wird mit Sicherheit knapp bis Samstag“, erklärte Flick. Wie schon gegen Portugal wäre Mustafi die erste Option für die rechte Seite. Der 22-Jährige von Sampdoria Genua trainierte bereits in der Gruppe mit den gesetzten Abwehrkräften Mertesacker, Boateng und Höwedes. Jérome Boateng, der mit einer Schiene am verletzten Daumen auflaufen kann, würde dann ins Abwehrzentrum rücken. Einblicke ins Training gewährte Löw vor dem Flug nach Fortaleza nicht mehr.

Löw dürfte im Estádio Castelão kaum ein Risiko eingehen, auch mit Blick auf die bei einem weiteren Sieg womöglich schon erreichte K.o.-Phase. „Wir haben einen langen, langen Weg“, sagte Flick und sprach von „hoffentlich noch sechs Spielen“ – das heißt: Finale!

Die voraussichtliche Aufstellung: Neuer – Mustafi, Mertesacker, Boateng, Höwedes – Kroos, Lahm, Khedira – Özil, Müller, Götze