Joachim Löw macht es nicht wie der knallhart entzauberte spanische Weltmeister-Coach del Bosque. Der Bundestrainer stellt in Brasilien Erfolgsdenken über Treue, um endlich Weltmeister zu werden.

Santo André. Kaum hat Joachim Löw eine verheißungsvolle WM-Formation gefunden, da muss er die Portugal-Siegerelf wohl notgedrungen schon wieder umbauen. Der programmierte Ausfall von Innenverteidiger Mats Hummels gegen Ghana wird aber nicht den WM-Veteranen Bastian Schweinsteiger und Miroslav Klose nützen, die auch am Sonnabend in Fortaleza als „Spezialkräfte“ zunächst wieder nur Bankdrücker sein dürften.

WM-Neuling Shkodran Mustafi dagegen gilt plötzlich als Favorit, falls Hummels tatsächlich ersetzt werden muss. Anders als der mit Titelverteidiger Spanien in der Vorrunde sensationell gescheiterte Weltmeister-Coach Vicente del Bosque kennt Bundestrainer Löw in Brasilien keine Treueschwüre mehr für langjährige Wegbegleiter und Turnierstammkräfte. Für personelle Veränderungen sieht Löw gegen die „robuste Mannschaft“ von Ghana überhaupt keine Veranlassung, die 4:0-Auftaktsieger von Salvador sind auch für die Operation Achtelfinale erste Wahl.

„Jeder hat gesehen, dass es gegen Portugal gut geklappt hat“, lautete die deutliche Ansage von Löws Assistent Hansi Flick. Experimente sind im tückischen zweiten Spiel, das bei der EM 2008 mit 1:2 gegen Kroatien und bei der letzten WM 2010 in Südafrika gegen Serbien (0:1) jeweils nach einem Starterfolg verloren wurde, nicht vorgesehen – und schon gar nicht die Vergabe von Geschenken an verdiente Führungsspieler a.D. „Klar, dass es immer wieder Härtefälle gibt bei Aufstellungen“, sagte Toni Kroos.

„Spielpraxis war Vorteil von Khedira“

Bei der WM 2010 und der EM 2012 hatte der 24-Jährige jeweils die Rolle inne, die nun sein großer Bayern-Kollege Schweinsteiger bei seiner dritten Weltmeisterschaft erdulden muss. Die drei zentralen Mittelfeldplätze im neuen 4-3-3-System hat Löw erst einmal an Kapitän Philipp Lahm, den gereiften und erstmals unantastbaren Ballverteiler Kroos sowie Sami Khedira vergeben. Den Champions-League-Sieger zieht der Bundestrainer trotz seiner Defizite nach der langen Kreuzband-Verletzung Schweinsteiger vor. „Die Spielpraxis war ein kleiner Vorteil von Khedira“, erläuterte Löw. „Der Trainer stellt die auf, die am besten geeignet sind“, bemerkte Lahm zum Härtefall Schweinsteiger. Der Kapitän bleibt im Mittelfeld, auch wenn Hummels wegen seiner Oberschenkel-Prellung ausfallen sollte, verriet Flick bereits: „Es ist nicht vorgesehen, dass Philipp rechter Außenverteidiger spielt.“

Torjäger-Veteran Klose muss sich in der Offensive ebenfalls hinten anstellen. Neben dem gesetzten Drei-Tore-Portugalschreck Thomas Müller rangieren auch Mario Götze, André Schürrle und Lukas Podolski aktuell vor dem 36-Jährigen. Einzelschicksale müssen hinter die Teaminteressen zurücktreten. „Wir sind alle mit dem Ziel hier, Weltmeister zu werden“, verkündete Kroos. In den ersten Übungseinheiten vor Ghana mussten Deutschlands Rekordtorschütze Klose (132 Länderspiele) und Vize-Kapitän Schweinsteiger (102) weiter in der Trainingsgruppe zwei mit den Reservisten schuften. „Wir haben intensiv trainiert mit denen, die nicht gespielt haben. Jeder muss an die Grenzen gehen“, erklärte Flick.

Kloses Job im Auftaktspiel gegen Portugal war mit einer Kabinen-Ansprache zum Team schon vor dem Anpfiff erledigt, eingewechselt wurden in der Offensive Schürrle und Podolski. Schweinsteiger wollte Löw in Salvador wenigstens einwechseln. Dieser Plan wurde von der Verletzung von Hummels durchkreuzt. In Mustafi musste ein Abwehrmann auf den Platz. Schweinsteigers WM-Rolle dürfte maßgeblich von Khedira abhängen, dem Löw „große Fortschritte“ bescheinigt und den er auch als Leader extrem schätzt. „Ob Sami das Turnier durchstehen wird, kann ich jetzt auch noch nicht sagen“, rätselt Löw noch: „Es kann schon auch mal der Punkt kommen, wo er vielleicht sagt, ich bin jetzt nicht ganz so frisch. Dann müssen wir ihn natürlich auch ersetzen.“

Mustafi wäre die erste Option

Der durch Knieprobleme in der WM-Vorbereitung zurückgeworfene Schweinsteiger muss in Brasilien auf seinen Moment warten. Das ist für den jahrelangen Mittelfeldchef eine neue Situation. Im Trainingslager in Südtirol antwortete er auf die Frage, wie er dem Team helfen könne, wenn er nicht von Anfang an spielen werde. „Darüber können wir gerne reden, wenn es so weit ist. Ich denke nicht daran, dass es so sein wird.“ Jetzt ist es soweit.

In der Abwehr dürfte Löw gegen Ghana zu einer Personalrochade gezwungen werden. Eine schmerzhafte Oberschenkelprellung mit Einblutung zwingt Hummels zu einer Trainings- und wohl auch Spielpause. „Es wird mit Sicherheit knapp bis Samstag“, erklärte Flick. Jérome Boateng, der mit einer Schiene am verletzten Daumen auflaufen kann, würde dann ins Abwehrzentrum rücken. Und wie schon gegen Portugal wäre Mustafi die erste Option für die rechte Seite. Der 22-Jährige von Sampdoria Genua trainierte bereits in der Gruppe mit den gesetzten Abwehrkräften Mertesacker, Boateng und Höwedes.

Am Donnerstag, vor dem abendlichen Flug nach Fortaleza, gewährte Löw keine Einblicke mehr, das Training war geschlossen. „Wir haben einen genauen Plan“, bemerkte Flick, Löws Vertrauter. Hummels stellt sich selbst bereits auf eine Zwangpause an. „Die Verletzung könnte mich zwar das Ghana-Spiel kosten“, übermittelte der Dortmunder, auch wenn er weiter mit den DFB-Medizinern und Physios um seinen Einsatz kämpfe.

Löw dürfte kaum ein Risiko eingehen, auch mit Blick auf die bei einem weiteren Sieg womöglich schon erreichte K.o.-Phase. „Wir haben einen langen, langen Weg“, sagte Flick und sprach von „hoffentlich noch sechs Spielen“ – das heißt: Finale! Abwehrchef Per Mertesacker, der nach einer langwierigen Verletzung bei der EM 2012 als Härtefall das komplette Turnier auf der Bank verbringen musste, sagte vor seinem 100. Länderspiel: „Wir wollen einfach die nächste Antwort liefern auf unserem Weg.“ Löw wird im Estádio Castelão auch die Frage nach Schweinsteiger und Klose ein zweites Mal beantworten müssen.