Nach dem desaströsen 0:3 gegen Heidenheim nehmen die Fans Sportchef Azzouzi und die Spieler ins Visier ihrer Kritik

Hamburg . Am Tag nach dem sportlichen Desaster waren Thomas Meggle und Rachid Azzouzi noch immer schwer mitgenommen. Das 0:3 am Sonnabend gegen den bis dahin auswärts sieglosen Zweitliga-Aufsteiger 1. Heidenheim hatte beim Trainer und beim Sportdirektor des FC St. Pauli Spuren hinterlassen. „Das ist schon schwer zu verdauen“, sagte Meggle und gab damit auch wieder, was Tausende von St.-Pauli-Anhängern ebenso empfunden hatten. Azzouzi berichtete von einer „Nacht mit wenig Schlaf“. Auch dies dürfte den meisten, denen der Kiezclub am Herzen liegt, ebenso ergangen sein. Das war aber auch schon fast die einzige Gemeinsamkeit zwischen Azzouzi und den weitaus meisten Anhängern. Vielmehr gilt bei vielen der Sportchef und dessen Personalpolitik als wahre Ursache der dramatischen Entwicklung beim Tabellen-17. seit dem Frühjahr dieses Jahres.

Das 0:3 gegen Heidenheim war eben nicht nur eine weitere von etlichen Heimniederlagen in den vergangenen elfeinhalb Monaten – genauer gesagt die achte in 16 Spielen, von denen nur vier gewonnen wurden. Es war ein sportlicher Offenbarungseid, der für den weiteren Verlauf das Schlimmste, den direkten Abstieg, befürchten lassen muss. Vom Anpfiff an eine unerklärliche Lethargie oder „Pomadigkeit“, wie es Meggle nannte, keine Torgefährlichkeit im Angriff, dafür eine eklatante Anfälligkeit für Konter und dabei keinerlei Lerneffekt – so präsentierte sich die Mannschaft des FC St. Pauli am Sonnabend. Dazu brach das Team nach dem ersten Gegentor zum wiederholten Mal mental ein – von einem Aufbäumen, das ja gerade im Millerntor-Stadion mit dankbarer Unterstützung begleitet wird, keine Spur.

„Das war ein schwerer Rückfall für uns. Dabei fordern wir Tugenden ein, die nicht schwer umzusetzen sind“, sagte Trainer Meggle am Sonntag. „Wenn der Gegner den Ball hat, müssten bei uns Blaulicht und Sirenen angehen. Stattdessen geraten wir unnötig in Unterzahl und verhalten uns taktisch anfängerhaft. Und das liegt nicht daran, dass die Spieler zu jung wären.“ Tatsächlich hatte Meggle ausschließlich Akteure in seine Startelf beordert, die eine mehrjährige Erfahrung als Profis in der Zweiten Liga, teilweise sogar in der Ersten Liga aufweisen.

Auffällig ist dabei, dass das St.-Pauli- Team Ende September und Anfang Oktober, als Meggle wegen etlicher Verletzungen eine Art Notelf aufstellen musste, mit sieben Punkten aus drei Spielen eine kurze Erfolgsserie an den Tag legte. Dabei legten die Spieler, die Meggle hier ins Rennen schickte, genau die Tugenden an den Tag, die jetzt wieder so schmerzlich vermisst werden. Dies wiederum ist umso unverständlicher, weil jetzt die interne Konkurrenzsituation erheblich größer ist als in der kurzen Phase des Erfolges.

„Es kommt jetzt alles auf den Prüfstand, jedes Steinchen wird jetzt umgedreht. Wir werden in den kommenden zwei Wochen bis zum Auswärtsspiel in Leipzig genau hinsehen, wer die nötigen Tugenden einbringt, wer Herz und Leidenschaft zeigt. Es geht jetzt nicht mehr darum, ob jemand jung oder alt ist, arriviert ist oder nicht“, sagte Meggle weiter. Dies kann auch schon als dezenter Hinweis darauf gewertet werden, dass der 20 Jahre alte Andrej Startsev, den Meggle in der Phase der Personalnot aus der U23-Mannschaft geholt, zuletzt aber auf die Ersatzbank gesetzt hatte, aufgrund seiner unbestrittenen kämpferischen Qualitäten wieder in die Startelf rücken könnte.

Im Kader stehen viele Spieler, die für den Abstiegskampf kaum geeignet sind

Volles Verständnis hatte St. Paulis Trainer für die Reaktionen der Fans, die in weiten Teilen der zweiten Halbzeit die Mannschaft mit einem gespenstisch wirkenden Schweigen straften, Rufe nach Deniz Naki anstimmten und später das „Oh, wie ist das schön“ der Heidenheimer Anhänger voller Ironie mitsangen. „Die Fans haben ein feines Gespür dafür, was auf dem Platz passiert“, sagte Meggle dazu. „Ich habe nach dem Spiel mit einem Fan gesprochen, der mir sagte: ,Ich wusste nicht, was ich tun soll. Es war nur noch Leere vorhanden’. Wer als Fan mit dem Herzen dabei ist, dann ist er über so einen Auftritt schockiert.“

Nach dem Abpfiff, der für viele wie eine Erlösung wirkte, gab es von den Rängen Pfiffe sowie harte Worte an die Spieler und Rachid Azzouzi. „Die Fans haben jedes Recht dazu“, sagte der Sportchef, der sich mehr und mehr starker Kritik vieler Anhänger ausgesetzt sieht. Ihm wird vor allem vorgehalten, in den nunmehr zweieinhalb Jahren seiner Tätigkeit am Millerntor eine Mannschaft zusammengestellt zu haben, die nicht zum FC St. Pauli passt. Zu viele Akteure seien vielleicht technisch recht gut ausgebildete Kicker, denen es aber nicht liegt, die jetzt im Abstiegskampf benötigten Tugenden vorzuleben.

„Ich stelle mich der Verantwortung“, sagte Azzouzi am Sonntag zu diesem Thema. Auch er hatte nach dem Abpfiff am Zaun der Südtribüne mit den Fans diskutiert. „Wir haben mit einer fast identischen Mannschaft in der vergangenen Saison lange oben mitgespielt und waren das zweitbeste Auswärtsteam. Unsere Spieler haben ja schon gezeigt, dass sie in der Zweiten Liga gut spielen können“, sagte er.

Angesichts der lange Zeit aussichtsreichen Position in der vergangenen Saison und der unter dem damaligen Trainer Roland Vrabec angestrebten, auf Ballbesitz und Dominanz ausgerichteten Spielweise hatte Azzouzi im Sommer Spielertypen für diese Anforderungen verpflichtet. Es ist wenig überraschend, dass diese nicht geeignetsten Akteure dafür sind, mit rustikalen Methoden um den Klassenverbleib zu kämpfen. In der Winterpause wird er gefordert sein, entsprechende Nachbesserungen im Kader vorzunehmen.