Der St. Pauli hat ein Standard-Problem: Der Zweitligaclub verliert nach 2:0-Führung bei Union Berlin 2:3. Frontzeck muss Schwächen nach Eckbällen abstellen.

Berlin. Die Szenen, die sich an der Alten Försterei in Berlin-Köpenick am Sonnabendnachmittag kurz nach Schlusspfiff abspielten, kamen den Profis des FC St. Pauli bekannt vor. Fans und Spieler lagen sich in den Armen, auf eine Ehrenrunde folgte die La-Ola-Welle – kurzum, es herrschte ausgelassene Feierstimmung, allerdings beim 1. FC Union Berlin. Nur fünf Tage nach dem dramatischen 2:1-Sieg über Dynamo Dresden, als St. Pauli ein ähnliches Fest gefeiert hatte, war bei den Gästen die Stimmung von himmelhoch jauchzend in zu Tode betrübt gekippt. Denn in einer denkwürdigen Partie hatte es St. Pauli zuvor durch eine vermeidbare 2:3-Niederlage verpasst, sich in der oberen Tabellenhälfte festzusetzen.

Warum die Hamburger die Heimreise aus der Hauptstadt ohne Zählbares antreten mussten, dafür hatten sie einhellige Erklärungen parat. Von „fehlender Cleverness“ sprachen einige, für Kapitän Fabian Boll war man „zu grün hinter den Ohren“, Trainer Michael Frontzeck analysierte, seine Mannschaft habe „Lehrgeld bezahlt“. Mit einem der schnellsten Tore in der Geschichte St. Paulis hatte seine Elf vor der Union-Rekordkulisse von 21.717 Zuschauern den eigentlich perfekten Start in die Partie erwischt. Nina Hagens Hymne „Eisern Union“ war kaum verstummt, da hatte sich Fin Bartels den Ball erkämpft und quer in den Strafraum zu Stürmer John Verhoek gelegt, der nach exakt 27 Sekunden zum 1:0 einschieben durfte. Nur fünf Minuten später ließ Bartels Unions Verteidiger Christian Stuff aussteigen und schlenzte zum 2:0 in den Winkel ein. Ein Traumstart.

„Dass wir das Tempo der Anfangsminuten nicht über 90 Minuten halten könnten, war klar“, sollte Boll später erklären. Er und seine Mitstreiter hatten sich nach starken 25 Minuten viel zu weit zurückgezogen und den enorm druckvollen Unionern das Feld überlassen. Über das Offensivtrio Sören Brandy, Benjamin Köhler und Adam Nemec kamen die Gastgeber fast im Minutentakt zu hochkarätigen Chancen. Vor allem die rechte Seite von Außenverteidiger Bernd Nehrig hatte sich Berlin über die gesamte Spieldauer als Angriffspunkt ausgeguckt. Frontzeck reagierte darauf aber nicht. Torhüter Philipp Tschauner verhinderte mit Blitzreflexen in Serie so manchen sicher geglaubten Treffer, weshalb sich St. Pauli im Laufe des Spiels durch altbekannte Fehler um den Lohn bringen sollte.

Bereits zum dritten Mal in der noch jungen Spielzeit zeigte Schiedsrichter Felix Brych zu Recht auf den Elfmeterpunkt, als Markus Thorandt mit überflüssiger Grätsche Brandy von den Beinen holte (36. Minute). Den Anschluss vor der Pause besorgte FCU-Kapitän Torsten Mattuschka. Wieder einmal war es auch ein Eckball, der dem 2:2-Ausgleich in der 59. Minute vorausging. Schon zum vierten Mal in Folger kassierte St. Pauli nach dieser Standardsituation einen Gegentreffer. Der kopfballstarke Nemec (1,90 Meter), der bei jeder Aktion in der Luft für Gefahr sorgte, konnte nur leicht bedrängt aus sechs Metern einnicken. Lehren aus den zwei Toren in Bochum und dem Rückstand gegen Dresden, die jeweils nach Ecken fielen, scheint der Kiezclub bislang nicht gezogen zu haben. „Es kann nicht sein, dass wir jedes Gegentor nach Standards kriegen“, fand Sören Gonther deutliche Worte: „Da müssen wir hoch und den Gegner viel mehr stören.“

Die bisherige Maßgabe, nach der die Hamburger stets im Raum verteidigen und keine festen Zuordnungen machen, greift nicht. „Ich bin immer ein Freund davon, es so zu machen, wie sich die Mannschaft wohlfühlt. Deshalb habe ich es ihr überlassen“, verteidigte Frontzeck seine Taktik. Nun will er dies überdenken. „Wir werden definitiv daran arbeiten. In der Häufigkeit dürfen wir solche Fehler nicht machen, müssen das besser verteidigen“, erklärte er.

Phasenweise hatte St. Pauli im zweiten Abschnitt durch höheres Verteidigen wieder für Entlastung und Kontergelegenheiten sorgen können. Gegen die Wucht, die Union auf dem Rasen und auf den Rängen entwickelte, hatte das junge Gästeteam im Schlussdrittel jedoch wenig entgegenzusetzen. Dass der Berliner Siegtreffer aber ausgerechnet nach einem Konter fiel, brachte Spieler und Trainer auf die Palme. Nach einem Doppelpass zwischen Köhler und Patrick Kohlmann konnte Nehrig eine Flanke nicht verhindern, die der eingewechselte Simon Terodde am Fünfmeterraum per Flugkopfball verwertete (86.). „Auswärts in einen Konter laufen, das darf nicht passieren“, wusste Boll. „Es ärgert mich, dass wir fahrlässig mit unseren Chancen umgegangen sind, aber es ist richtig ärgerlich, dass wir dann ein Kontertor fangen“, sagte auch Frontzeck.

Punktgleich (je acht Zähler) waren beide Teams in die Partie gegangen, doch Union machte deutlich, welche Qualität der selbst ernannte Aufstiegskandidat besitzt. Viel Arbeit, das hatten alle Beteiligten stets betont, bleibt indes auf St. Pauli. „Würden wir 90 Minuten so spielen, wie in den ersten 25, wäre das auch komisch“, ordnete Frontzeck den Stand seiner Elf ein: „Wir müssen jetzt da hinkommen, dieses Niveau länger zu spielen“, gab er vor. Kapitän Boll fand einfache Worte: „So bleiben wenigstens alle auf dem Teppich. Jetzt gilt: Mund abputzen, weitermachen!“

Statistik

Union: Daniel Haas - Pfertzel (85. Kopplin), Stuff, Schönheim, Kohlmann - Kreilach (67. Terodde), Michael Parensen - Brandy (77. Quiring), Mattuschka, Köhler - Nemec. - Trainer: Neuhaus

St. Pauli: Tschauner - Nehrig, Thorandt, Gonther, Halstenberg - Boll, Buchtmann - Thy, Rzatkowski (70. Kringe), Bartels (86. Maier) - Verhoek (75. Nöthe). - Trainer: Frontzeck

Schiedsrichter: Felix Brych (München)

Tore: 0:1 Verhoek (1.), 0:2 Bartels (6.), 1:2 Mattuschka (36., Foulelfmeter), 2:2 Nemec (59.), 3:2 Terodde (86.)

Zuschauer: 21.717 (ausverkauft)

Beste Spieler: Mattuschka, Nemec - Tschauner, Bartels

Gelbe Karten: Kreilach (3) - Thorandt (3), Boll (2)

Erweiterte Statistik (Quelle: impire):

Torschüsse: 21:11

Ecken: 6:2

Ballbesitz: 60:40 Prozent