Der erst 19 Jahre alte Sebastian Maier trifft mit seiner ersten Ballberührung zu St. Paulis Sieg gegen Dresden. Für ihn ein bisher einmaliges Erlebnis.

Hamburg. An Schlaf war natürlich überhaupt nicht zu denken, nach diesem einmaligen Erlebnis. Bis 3 Uhr in der Nacht zum Dienstag lief bei Sebastian Maier immer wieder sein großer Moment durch den Kopf. Die Einwechslung in der 88. Minute, der Freistoß, der Anlauf, der Treffer, der unbändige Jubel der Mannschaftskollegen und der fast 30.000 im Stadion. Wie soll man da zur Ruhe kommen? „Es wollte zunächst kein Auge zugehen“, sagte der 19-Jährige am folgenden Morgen, „als ich dann eingeschlafen war, habe ich aber sehr gut geschlafen.“

Traumlos. Den Traum hatte der Mittelfeldspieler des FC St. Pauli mit seinem Siegtor zum 2:1 gegen Dynamo Dresden ja schon auf dem Platz erlebt. „Ich konnte es zuerst gar nicht fassen, als der Ball drin war“, schilderte der junge Mann seine Emotionen. „Ich wusste gar nicht, wo mir der Kopf steht.“

Es war eben eine dieser Geschichten, wie sie wohl nur der Fußball schreiben kann. 20 Sekunden brauchte Maier nach seiner Einwechslung bis zum Siegtreffer mit einem direkt verwandelten Freistoß aus 20 Metern über die Dresdner Mauer hinweg. Eines der schnellsten „Joker-Tore“ in der Bundesligageschichte, wenn nicht das schnellste überhaupt. Freistöße hat er immer schon geübt, im Training trifft er regelmäßig. Im Testspiel gegen Besiktas Istanbul vor der Saison knallte er einen an die Latte und verpasste bei ähnlicher Gelegenheit auch in Karlsruhe den möglichen Siegtreffer nur knapp. Trainer Michael Frontzeck wusste natürlich, wen er da einwechselte und warum unbedingt vor dem Freistoß: „Ich habe ihm gesagt, er soll das Ding reinmachen. Hat er dann gemacht.“

Für den Coach zählten aber weniger die individuellen „Heldentaten“, zu denen auch der von Torwart Philipp Tschauner abgewehrte Foulelfmeter in der 80. Minute gehörte, als vielmehr der gesamte Auftritt seines Teams. „Die Mannschaft hat fußballerisch so gespielt, wie ich mir das vorstelle. Die Art und Weise hat mich ein Stück weit glücklich gemacht“, sagte Frontzeck am Tag danach. Offensive Außenverteidiger, gute Abstimmung der Mittelfeldspieler, viel Bewegung, Frontzeck schwärmte. „Eine Niederlage wäre nach diesem Spiel sehr bitter gewesen, daran hätten wir zu knabbern gehabt.“ So aber stehen acht Punkte auf dem Konto, der Start in die Saison ist gelungen.

Also doch Dank an Maier. „Er hat schon einen außergewöhnlichen rechten Fuß“, sagt Frontzeck. Deshalb musste es mit der Einwechslung auch alles so schnell gehen. Fin Bartels sollte bei der nächsten Unterbrechung raus, das war klar. Und die war nun der Freistoß. Tschauner lief fast über das halbe Feld, um die Dringlichkeit der Einwechslung von Maier lautstark zu signalisieren. Christopher Buchtmann hatte einen Krampf, diese Verzögerung gab die Chance zum Wechsel. „Wahrscheinlich war es ganz gut, dass alles so schnell ging und ich mir vor dem Schuss keinen großen Gedanken machen konnte“, meinte der Siegtorschütze.

Erst seit dem Sommer gehört Maier zum Kader der Hamburger, sein gesamtes vorheriges Fußballerleben hatte er bei 1860 München verbracht. Mit den „Löwen“ konnte er sich im Winter aber nicht über eine Vertragsverlängerung einigen. Auch andere Clubs waren interessiert – „St. Pauli war einer der letzten Vereine, die angefragt haben“ –, aber nach einem „Super-Gespräch“ mit Frontzeck und Manager Rachid Azzouzi war sich Maier schnell klar, dass es ihn nach St. Pauli ziehen würde, bis 2016 hat er unterschrieben. „Das Konzept ist, dass junge Spieler hier die Chance haben sollen, sich ohne Druck weiterzuentwickeln.“

Und dann ist da eben auch noch diese einmalige Atmosphäre, die eine besondere Anziehungskraft auf Fußballer haben kann. „Als wir mit 1860 hier vor zwei Jahren nach 2:0-Führung noch 2:4 verloren haben, habe ich gedacht, hier will ich mal spielen“, erzählt Maier. Die Energie, die sich von den Rängen auf die Profis überträgt, hatte auch am Montag wieder ihre besondere Millerntor-Magie, die manchmal eben immer noch mehr als nur „Kult“ und „Image“ ist. „Die jungen Spieler haben gesehen, welche Energie freizusetzen ist, wenn Mannschaft und Zuschauer eins werden“, schwärmte Frontzeck.

Am Dienstag fuhr die Mannschaft mit Fahrrädern hinaus ins Niendorfer Gehege zur Regeneration. Ein paar Rentner waren da, gratulierten den Profis zur tollen Partie, fachsimpelten. Sebastian Maier musste für ein TV-Team eine „Joker-Karte“ ziehen, auch diesen Job erledigte er professionell. „Für mich soll es jetzt erst richtig losgehen“, sagte der 19-Jährige, „es sollen noch viele weitere Tore folgen.“ Die Nacht vom Montag aber, die wird immer einmalig bleiben.