1991 stieg St. Pauli in der Relegation ab. Die Beteiligten von damals wissen: Abstiegsspiele wünscht man niemandem. Ein Punkt muss her.

Hamburg. Es lief vieles schief. Und es endete in einer totenstillen Kabine im alten Gelsenkirchener Parkstadion. Weinende Männer, jeder mit sich selbst beschäftigt, einige mit dem Gedanken im Kopf: "Das war mein letztes Spiel für den FC St. Pauli." Die Mannschaft, die über viele Jahre in ähnlicher Konstellation zusammengespielt hatte, würde es so nicht mehr geben. Das Abenteuer Bundesliga, der Plan, den Hamburger Stadtteilklub langfristig in der höchsten deutschen Spielklasse zu etablieren, war vorerst gescheitert. "Relegation, das wünscht man niemandem", sagt Dirk Zander, damals, in den bisher letzten Relegationsspielen des FC St. Pauli, im Mittelfeld aktiv.

In dieser Saison droht St. Pauli nach nur vier Punkten aus den vergangenen sechs Spielen noch das Abrutschen auf den drittletzten Tabellenplatz, den Dynamo Dresden nach dem 2:1 gegen den SC Paderborn noch belegt, allerdings nur noch mit zwei Zählern Rückstand auf St. Pauli. Zander, der noch in Hamburg lebt und in St. Paulis Altligamannschaft spielt, hat damit gerechnet, dass es in dieser Saison eng werden könnte für die Profimannschaft. "Die Liga ist bis auf drei, vier Top-Mannschaften sehr ausgeglichen. Und St. Pauli hatte ja sogar in einigen Spielen noch Glück, dass sie in letzter Minute Punkte eingefahren haben." Trotzdem ist er zuversichtlich, dass die Elf von Trainer Michael Frontzeck noch mindestens einen Punkt holt, das würde reichen, so Zander, um zu verhindern, was der Bundesliga-Mannschaft von 1991 widerfuhr.

Bis zum Schluss kämpfte St. Pauli damals unter Trainer Horst Wohlers um den direkten Verbleib in der Liga. Zwei Tore trennte die Mannschaft am 34. Spieltag vom 1. FC Nürnberg und Tabellenplatz 15. Doch bei Borussia Dortmund kassierten die Braunweißen eine 2:5-Niederlage und mussten in die Relegation gegen die Stuttgarter Kickers. Das erste Spiel am Millerntor endete 1:1, erst kurz vor Schluss fiel der Ausgleich für die Gäste. "Wir hatten viele Chancen, das zweite Tor zu machen", erinnert sich André Golke, Torschütze des 1:0. "Dann wären wir dringeblieben." Doch es kam anders. Beim Rückspiel in Stuttgart waren die Kickers eindeutig stärker, Dirk Zander sah bereits in der ersten Hälfte die Rote Karte nach einem Zweikampf mit Kickers-Torwart Stefan Brasas, und nur mit Glück schaffte St. Pauli noch ein 1:1-Unentschieden. Verlängerung und Elfmeterschießen gab es damals nicht, also kam es zum Entscheidungsspiel in Gelsenkirchen.

"Aus Hamburg waren glaube ich 20.000 Fans da", sagt Golke, "aus Stuttgart höchstens ein paar Hundert." Die Stimmung war angespannt, die Mannschaft traf sich am Abend vor dem Spiel auf ein Bierchen an der Hotelbar. "Um Lockerheit reinzubringen", sagt Dirk Dammann, der damals seine erste Profisaison spielte. "Ich merkte am Verhalten der erfahrenen Spieler, dass es eine sehr besondere Situation war." Zu den erfahrenen gehörten auch Golke und Zander, beide seit mehr als fünf Jahren im Verein, Aufstiegshelden, drei Jahre Bundesliga hinter sich. Für sie ging es auch um die Zukunft: Das Spiel fand am 29. Juni statt, ihre Verträge liefen am Tag nach dem Spiel aus. In die Zweite Liga wollten sie nicht zurück, gerne aber mit dem FC St. Pauli in der Bundesliga bleiben. "Wir haben einfach einen schlechten Tag erwischt, waren eigentlich chancenlos", sagt Golke im Rückblick. 3:1 verlor der FC St. Pauli, eine Zäsur in der Geschichte des Klubs. "Wir waren auf dem Weg, uns in der Bundesliga zu etablieren und dann das. Es war ganz schlimm, für alle", sagt Golke. In der Kabine wurde nach dem Spiel Rotz und Wasser geheult.

Zander, der das entscheidende Spiel aufgrund der Roten Karte in Spiel zwei von der Tribüne aus verfolgt hatte, erinnert sich an die Stille. Niemand sprach, alle waren mit sich selbst beschäftigt. Noch in derselben Nacht wurden Vertragsgespräche geführt und Entscheidungen getroffen. Golke ging nach Nürnberg, Zander folgte Trainer Helmut Schulte nach Dresden, Trulsen ging zwei Jahre nach Köln. Für einige andere bedeutete das Spiel das Ende ihrer aktiven Profilaufbahn. "Viele von uns hatten wirklich lange zusammengespielt, auch deswegen war es so traurig", sagt Golke.

Für Zander bedeutete die Niederlagen noch einen speziellen Verlust: Er hatte vom damaligen Torhüter Volker Ippig eine kleine Papst-Figur geschenkt bekommen. Sie sollte ausdrücken: Du hast den Papst in der Tasche, dir kann nichts passieren, du hast Glück und wirst immer richtig stehen, um entscheidende Tor zu schießen. Nach dem Abpfiff feuerte Zander die Figur in eine Mülltonne im Parkstadion. Das Glück hatte St. Pauli verlassen.