“Gerd Müller und Jupp Heynckes in einem“ - St. Pauli feiert den Kopfballtreffer von Torwart Philipp Tschauner. Trainer Frontzeck wollte ihn verhindern.

Hamburg. Das breite Grinsen war auch am Tag danach noch nicht gewichen. Mit stolz geschwellter Brust marschierte Philipp Tschauner vor allen Mannschaftskollegen zur Laufeinheit ins Niendorfer Gehege. Ihn wollten die Kamerateams sehen, es war sein großer Auftritt am Dienstagmorgen. So langsam dämmerte dem Torhüter des FC St. Pauli, welch fußballhistorische Leistung er beim 2:2-Unentschieden gegen den SC Paderborn am Vorabend vollbracht hatte. "In meiner Statistik wird nun immer stehen, dass ich ein Tor geschossen habe", sagte der Profi freudestrahlend. "Ja, ich habe Geschichte geschrieben."

Es war die 90. Minute in einer Partie, die St. Pauli nach zwischenzeitlicher 1:0-Führung zu verlieren drohte, als Tschauners großer Augenblick gekommen war. Noch einmal erkämpften die Hamburger einen Eckball, deshalb stürmte der Schlussmann aus seinem Tor hinaus in den gegnerischen Strafraum. "Ich hatte den totalen Tunnelblick. Normalerweise schaue ich noch mal zur Bank, ob der Trainer etwas dagegen hat, aber diesmal bin ich einfach losgerannt", erzählte Tschauner, der sich die entscheidende Szene in der Nacht "80-mal angesehen" haben will.

Sein Mitspieler Patrick Funk habe ihm noch zugerufen "Mach ihn einfach rein!", dann sei er in den Strafraum gestürmt und habe "das Ding einfach reingeköpft". Minutenlang hatte Tschauner nach dem Abpfiff ungläubig auf dem Rasen gestanden, immer wieder den Kopf geschüttelt, die Gratulationen der Mannschaftskollegen entgegengenommen und sich von den Zuschauern auf den Tribünen huldigen lassen. "Als Torwart träumt man davon, wie das ist, ein Tor zu schießen, ich hatte sogar Tränen in den Augen", berichtete Tschauner. Auch Stunden später habe er gemeinsam mit seiner Freundin, die den Treffer im Stadion verfolgt hatte, auf dem Sofa gesessen und sein Glück kaum fassen können. Gefühlte zwei Minuten Schlaf habe er deshalb nur bekommen.

Schließlich war ihm gelungen, was im deutschen Profifußball zuvor erst sechsmal geschah: Als hauptberufliche Toreverhinderer trugen sich unter anderem der Ex-HSV-Keeper Frank Rost und der frühere Nationaltorwart Jens Lehmann in die Torschützenliste ein (siehe Kasten), ohne dabei einen Elfmeter zu benötigen. Das letzte Torwarttor liegt schon fast exakt elf Jahre zurück. Am 31. März 2002 traf Rost als Bremer Schlussmann gegen Hansa Rostock. Dass jene Ehre Tschauner ausgerechnet im 100. Zweitligaspiel seiner Karriere zuteil wurde, war nur eine dieser Geschichten eines denkwürdigen Abends am Millerntor.

Zwölf Tage zuvor hatte der 27-Jährige bereits für Schlagzeilen gesorgt, als er im Trainingsspiel mit seinem Coach Michael Frontzeck zusammengestoßen war, wobei sich sein Trainer drei Rippen brach und die Lunge einriss. Damit hatte er möglicherweise den ersten Torerfolg seiner Laufbahn "eingeleitet". Denn Frontzeck wollte seine Nummer eins im Spiel eigentlich davon abhalten, mit in den Angriff zu gehen. "Ich hatte wegen der Verletzungen zum Ende des Spiels Probleme mit der Stimme und konnte ihm nicht mehr zurufen", erklärte der 49-Jährige, "es waren ja immerhin noch drei Minuten Nachspielzeit angezeigt." Auch der Trainer erlebte zum ersten Mal ein Torwarttor live. "Allzu häufig muss Tschauni das jedoch nicht machen", sagte Frontzeck am Tag danach. Vielmehr solle sein Team künftig einfach besser Fußball spielen als gegen Paderborn.

Dass auch Tschauner zuvor zum wiederholten Mal ein Fehler unterlaufen war, als er mit einer unzureichenden Abwehr das 1:2 durch den früheren St.-Pauli-Kollegen Mahir Saglik ermöglichte, ging im allgemeinen Jubel unter. Ohnehin setzte der Last-Minute-Ausgleich einen Glanzpunkt in einer bislang eher verkorksten Saison Tschauners und des FC St. Pauli. Bereits jetzt hat der Franke einen Gegentreffer mehr (35) hinnehmen müssen als in der gesamten Vorsaison. Gegen Cottbus, Dresden, Sandhausen und Köln trug er Mitschuld an Gegentoren. Ungenaue Abschläge führten zudem immer wieder zu Ballverlusten im Spielaufbau.

Das alles war auch am Dienstag noch vergessen. In bester Stürmermanier sorgte der unumstrittene Führungsspieler mit seinem Kopfballtreffer für einen immens wichtigen Punktgewinn im Abstiegskampf. "Das waren Gerd Müller und Jupp Heynckes in einem", zollte Torjäger Marius Ebbers Respekt. Mit neun Zählern Vorsprung auf Dynamo Dresden, das auf Relegationsplatz 16 rangiert, reist St. Pauli nun mit einem in dieser Spielzeit nie dagewesenen Vorsprung auf die Abstiegsränge zu eben diesem Gegner. Ausgerechnet dank Tschauner.