Verein verkündet Rekordgewinn von 5,33 Millionen Euro und gibt eine Sechs-Prozent-Anleihe aus, der Finanzexperten aber mit Skepsis begegnen.

Hamburg. Michael Meeske hatte auf dem Podium gerade angesetzt, um den Vereins- und Medienvertretern im Pressekonferenzraum des Millerntor-Stadions eine der spektakulärsten Entscheidungen der jüngeren Vereinsgeschichte zu erläutern, da leuchtete auf der eigens installierten Leinwand wenige Meter neben St. Paulis Geschäftsführer ein kleines Warnfenster auf und ließ die per Power-Point-Präsentation sichtbar gemachten Bilanzzahlen über Umsätze, Gewinne und Verluste des FC St. Pauli - nahezu unbemerkt - in den Hintergrund treten: "Starten Sie den Computer neu, um die Installation neuer Programme fertigzustellen." Für die Idee des Klubs, mit einer Anleihe frisches Geld zu generieren, kam der Hinweis ohnehin zu spät.

Bis zu sechs Millionen Euro erhoffen sich die Verantwortlichen von Fans und Sympathisanten, aber auch gewinnorientierten Spekulanten, denen weniger die emotionale Bindung als vielmehr die jährliche Verzinsung von sechs Prozent Motivation sein soll. "Emittent ist die Millerntor-Stadionbetriebsgesellschaft MSB, garantiert durch den Verein", konkretisierte der im Präsidium für das Ressort Finanzen zuständige Vizepräsident Tjark Woydt und gab als ehemaliger Banker umgehend die Devise aus: "Alles unter drei Millionen Euro wäre ein Misserfolg." Ohne eine Bank habe man die Anleihe gemacht, fuhr er fort, während auf der Leinwand mittlerweile deren Eckdaten illustriert wurden. Auf sechs Jahre und acht Monate ist das Geschäft angelegt. Die Zeichnungsfrist wird auf einer öffentlichen Veranstaltung am 10. November um 19.10 Uhr beginnen und endet am 31. Januar 2012. Die Mindestanlage beträgt 100 Euro. Die Anleihe kann entweder für das Wertpapierdepot oder als Schmuckurkunde in den Stückelungen 100 Euro, 500 Euro und 1910 Euro erworben werden. Die Volksbank Hamburg fungiert lediglich als Zahlstelle. St. Pauli wird Bank!

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Benötigt wird das Geld für das große 20-Millionen-Euro-Infrastrukturpaket des Klubs, mit dem der Neubau der Gegengerade 2012 und der Nordtribüne 2014 am Millerntor sowie der Ausbau des Funktionsgebäudes auf dem Trainingsgelände 2012 finanziert werden sollen. Etwa die Hälfte des Volumens ist durch einen Kredit der DKB-Bank gedeckt, sollte die Stadt wie erwartet als Bürge auftreten. Hinzu kommen fünf bis sechs Millionen Euro Eigenkapital - und die Fananleihe. "Auch im Fußball ist die Anleihe mittlerweile ein arriviertes Finanzierungsformat", weiß Meeske. Die Profiklubs Hertha BSC, Schalke 04, der 1. FC Nürnberg und der 1. FC Köln haben solche Papiere ausgegeben, Alemannia Aachen, 1860 München und Hansa Rostock ebenfalls. Fußballanleihen seien aber "eher Liebhaberstücke für Fans, die ihren Klub unterstützen wollen", sagt Fabian Kirchmann, Vorstand der auf Finanzmarktthemen spezialisierten Kölner Unternehmensberatung IR.on, dem Abendblatt. Verglichen mit anderen Mittelstandsanleihen, die einen Kupon von 7,5 bis 8,5 böten, sei die Verzinsung relativ niedrig, zumal die Risiken derartiger Papiere in der Regel hoch seien. Sollte ein Fußballverein während der Laufzeit in finanzielle Schwierigkeiten geraten, springe allerdings nicht selten die Stadt in die Bresche - so wie zuletzt in Aachen. Der Zweitligist hatte sich bei der Finanzierung des neuen Tivoli-Stadions verhoben.

Skeptisch ist auch die Finanzexpertin Petra Locher von der Verbraucherzentrale Stuttgart: "Unter dem Geldanlageaspekt raten wir von solchen Produkten eher ab." Die Anleihe berge das Risiko eines Totalverlustes, während Banksparbriefe mit sechs Jahren Laufzeit zwar nur mit bis zu vier Prozent verzinst werden, dafür aber durch die Einlagensicherung garantiert sind. Wenig überzeugend findet Locher auch die spezielle Konstruktion der St.-Pauli-Anleihe, wonach nicht der Verein die Anleihe ausgibt. Der FC St. Pauli tritt als Garantiegeber auf. Man müsse sich aber fragen, wie viel eine solche Garantie wert ist, so Petra Locher: "Wenn die MSB in die Klemme gerät, liegt das doch mit einiger Wahrscheinlichkeit daran, dass es beim Verein nicht gut läuft."

Ein Argument, das die Verantwortlichen zumindest für die Gegenwart widerlegen konnten. "Die Anleihe ist ein Ergebnis der positiven Entwicklung des Vereins. Wir müssen keine Löcher mehr stopfen. Vielmehr können wir denjenigen, die maßgeblich der positiven Entwicklung des Vereins den Weg geebnet haben, mit sechs Prozent eine attraktive Verzinsung bieten. Wir können nun etwas zurückgeben", so Meeske, der unmittelbar zuvor gemeinsam mit Woydt und Präsident Stefan Orth einen Rekordgewinn für den FC St. Pauli bilanziert hatte.

"Hanseatisch ruhig und bescheiden, aber nicht minder stolz", verkündete Orth das wirtschaftliche Ergebnis des Bundesligajahrs 2010/11: 5,33 Millionen Euro Gewinn bei einem Umsatz von 40 Millionen Euro. Zwei Superlativen, die das Interesse an der Anleihe steigern sollen. "Und wir sind sauber", ergänzte Woydt mit Bezug auf eine neunmonatige Prüfung des Finanzamts in diesem Jahr. "Die Beamten haben die Jahre 2004 bis 2009 durchleuchtet. Mit dem Ergebnis, dass wir lediglich 240 000 Euro nachzahlen mussten. Das war ein Clear Cut." Klare Verhältnisse und Transparenz, die aufgrund der Anleihe nun ohnehin herrschen. Detaillierte Bilanzen der vergangenen zwei Geschäftsjahre sowie laufende Verträge sind für jeden Interessierten einsehbar. "Wir ziehen uns das erste Mal vor der Öffentlichkeit nackt aus", sagt Woydt. Die Installation ist abgeschlossen.