St. Pauli versagt 45 Minuten lang gegen Werder Bremen und hat nach dem 1:3 als Tabellenletzter nur noch theoretische Chancen auf den Klassenerhalt.

Hamburg. Voller Zuversicht und fokussiert auf das große Ziel saßen sie in der Kabine. Lediglich für 15 Minuten wollten sie sich eine kurze Auszeit nehmen, um den Gegner dann wieder mit Leidenschaft, Einsatz und Willen effektiv zu bekämpfen. "Ich habe den Jungs gesagt, dass sie jetzt noch mehr investieren, mehr laufen müssen", berichtet Holger Stanislawski "alles war gut, die Mannschaft wirkte absolut konzentriert, jeder hat sich noch mal gepusht." Doch der Anpfiff von Schiedsrichter Michael Weiner zur zweiten Halbzeit bedeutete für den FC St. Pauli den vorzeitigen Abpfiff. Statt die 1:0-Halbzeitführung gegen Werder Bremen zu verteidigen oder gar auszubauen, leistete die Mannschaft den Offenbarungseid. Kampflos, phasenweise gar lustlos ergab sich die Elf ihrem Schicksal, das sie mit Uninspiriertheit und kollektiver Passivität selbst heraufbeschworen hatte. Dreieinhalb Spiele vor Saisonende verweigerten die Profis bei ihrer letzten realistischen Chance auf den Klassenerhalt das Glaubensbekenntnis.

Eine Erklärung für die blutleere Darbietung nach dem Seitenwechsel hatte im Lager der Braun-Weißen niemand. "Keine Ahnung", vermittelte der diesmal als Linksverteidiger aufgebotene Florian Lechner. "Ein weiteres Kapitel aus der Reihe: Wie gewonnen, so zerronnen", erlebte Sportchef Helmut Schulte. Und Fin Bartels, nach Rotsperre wieder auf der rechten Seite unterwegs und Schütze des 1:0, kratzte sich am Hinterkopf, öffnete den Mund, um die Suche nach Worten dann doch ergebnislos abzubrechen. Wie seine Kollegen hob er kurz die hängenden Schultern und lieferte ein Bild, das die ernüchternde und für den Großteil der 24 487 Zuschauer gleichermaßen traurige Gesamtsituation passend beschreibt. Nach dem Osterwochenende, das die Konkurrenz zum Punkte sammeln nutzte, erlebt die Bundesliga die letzten Zuckungen eines Totgesagten: St. Pauli ist Tabellenletzter, seit neun Spielen sieglos (ein Punkt) und hat bei drei Punkten und 17 Toren Rückstand auf den Relegationsplatz das schwerste Restprogramm aller Abstiegkämpfer.

Zeit für Durchhalteparolen, die bis zum Sonntag noch eine mögliche Niederlage der Wolfsburger mit einbezogen, nach dem 4:1-Erfolg des VfL dem alljährlichen Pfeifen im Abstiegskeller gleichkommen und die kollektive Ratlosigkeit nicht überdecken können. "Es ist schwer bis gar nicht zu erklären", steht angesichts der Selbstaufgabe seiner Mannschaft auch Stanislawski vor einem Rätsel: "Die Jungs haben erstmals nicht mehr an sich geglaubt, als Einzelne einfach geschehen lassen und dadurch als Gruppe keinen Zugriff mehr bekommen. Ich bin maßlos enttäuscht. Ein Schlag ins Kontor."

Auffällig, dass keiner der (Re-)Akteure die Nebenleute zum Aufbäumen bewog. Neben der bekannten Offensivschwäche wird im Saisonendspurt ein Führungsdefizit deutlich. Die flache Hierarchie, gemeinhin ein großer Pluspunkt, birgt auch Risiken. Kapitän Fabio Morena saß nach Verletzungspause lediglich auf der Bank, Fabian Boll war nach einem Foul des Bremers Marin früh ausgewechselt worden, Timo Schultz ebenso wie der verletzte Mathias Hain nicht im Kader. Und der Rest der Führungsriege? Marius Ebbers fristet seit Monaten ein Schattendasein als Joker. Matthias Lehmann setzt allein durch seine Physis Reize. Und Gerald Asamoah, generell ohne große Lobby im Kader, wühlte sich so lange durch die Bremer Abwehrreihen bis er nicht mehr gesehen wurde. "Wir wissen selber nicht, was in der zweiten Halbzeit passiert ist. Vorher haben wir alles umgesetzt, alles abgerufen und dann ging nichts mehr", so der 32-Jährige, der die große Chance auf die erneute Führung kläglich vergab: "Wenn wir das 2:1 machen, wachen wir vielleicht wieder auf."

Hätte, wenn und aber - die Kritik einiger Mahner, die die augenscheinlichen Probleme in Zusammenhang mit dem bereits feststehenden Abschied des Trainers setzen, berührt Stanislawski nicht weiter. Schließlich hatte sein Team beim 2:2 in Wolfsburg mit einem der kämpferischsten Auftritte überhaupt in dieser Saison reagiert, und auch die erste Halbzeit gegen Bremen bestätigte den im täglichen Training zu gewinnenden Eindruck: Stanislawski erreicht seine Spieler.

Sein Engagement ist ohnehin unstreitig. Mehr als zwei Stunden dauerte am eigentlich trainingsfreien Sonntag allein die Aufarbeitung der zweiten Hälfte per Video. Der Trainer hat jede Menge Redebedarf. "So etwas wird sich nicht wiederholen", schreibt er seiner Mannschaft ins Stammbuch, zieht sie vor dem Spiel in Kaiserslautern im Trainingslager zusammen und spricht bezüglich der Partie am Freitag von einem "Finalspiel". Gefühlt ist das Unternehmen Bundesliga am Sonnabend gescheitert. Auf dem Betzenberg wartet allenfalls noch der Hoffnungslauf. Grundvoraussetzung ist aber auch da: der Glaube daran.

Das Restprogramm im Abstiegskampf:

14. 1. FC Köln (35 Pkt./41:61 Tore): Leverkusen (H), Frankfurt (A), Schalke (H).

15. Eintracht Frankfurt (34/30:41): Mainz (A), Köln (H), Dortmund (A).

16. VfL Wolfsburg (32/38:45): Bremen(A), Kaiserslautern (H), Hoffenheim (A).

17. Bor. Mönchengladbach (29/44:64): Hannover (A), Freiburg (H), HSV (A).

18. FC St. Pauli (29/33:56): Kaiserslautern (A), München (H), Mainz (A).