Der Kontrollausschuss des DFB beantragt Spiel unter Ausschluss der Öffentlichkeit gegen Werder Bremen. Der FC St. Pauli lehnt das ab.

Hamburg. Sie bekamen das, was sie erwartet hatten. Das vom Kontrollausschuss beantragte Strafmaß, das der Deutsche Fußball-Bund (DFB) dem FC St. Pauli gestern Mittag per Fax und E-Mail gleich doppelt übermittelte, entsprach den Befürchtungen: Der durch einen Becherwurf gegen Schiedsrichter-Assistent Thorsten Schiffner verursachte Abbruch des Heimspiels gegen den FC Schalke 04 (0:2) am vergangenen Freitag soll ein Geisterspiel nach sich ziehen, das kommende und bereits ausverkaufte Heimspiel gegen Werder Bremen am 23. April unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Lediglich akkreditierten Journalisten wäre der Zugang erlaubt. Wäre. Der FC St. Pauli hat dem Antrag nicht zugestimmt, wie der DFB in Frankfurt gestern um 14.15 Uhr via Fax aus Hamburg erfuhr.

Die Stellungnahme des FC St. Pauli zum DFB-Antrag

Eine Entscheidung, die für einige überraschend kommen mag, aus Sicht des Vereins aber durchaus nachvollziehbar ist. "Der Verein hat die Verantwortung für alle Zuschauer und verurteilt die Tat, trägt an dem Becherwurf aber keine Schuld", sagte Pressesprecher Christian Bönig und erklärte die von Aufsichtsrat, Präsidium und Geschäftsführung gemeinsam eingenommene Position: "Der Täter ist eine Einzelperson, gehört keiner Fangruppe an, ist nicht organisiert und somit auch nicht über intensive Fanarbeit zu erreichen. Das war eine Affekthandlung, nichts Geplantes oder Bewusstes." Zudem werde mit der geforderten Maßnahme auch der Gastverein aus Bremen bestraft. Werder hatte alle Auswärtstickets verkauft. Etwa 2000 Karten sind im Umlauf. Eine mögliche Rückholaktion würden die Bremer organisieren, die Rückerstattungskosten aber der FC St. Pauli tragen, der sich zu hart belangt fühlt und für ein milderes Strafmaß plädiert.

"Wir stimmen nicht zu, weil es das legitime Recht eines Vereins ist, eine eigene Meinung vorzutragen und um eine geringere Strafe zu bitten. Wir hoffen auf Verständnis für unseren Standpunkt, denn kein Verein kann das Geschehene zu 100 Prozent verhindern", erklärt Sportchef Helmut Schulte. Mit seiner Ablehnung gegen den Antrag setzt der Verein ein selbstbewusstes Zeichen. Der Tenor: Man will sich nicht alles gefallen lassen. Nachdem Ligaboss Reinhard Rauball zu Wochenbeginn gefordert hatte, im Fall St. Pauli "ein Exempel zu statuieren", wollen die Kluboffiziellen mit ihrem Vorgehen zum ernsthaften Nachdenken anregen. "Wir werden versuchen, mit dem DFB eine Lösung zu finden, die ein Geisterspiel am Millerntor vermeidet", setzt Präsident Stefan Orth auf eine Kooperation mit dem Deutschen Fußball-Bund.

Als Alternative schlugen die Hamburger dem DFB "eine angemessene Geldstrafe" vor, die idealerweise gemeinnützigen Projekten zukommen soll. "Gewaltprävention im Fußballumfeld, Fanprojekte, Allgemeine Schiedsrichterentwicklung im DFB, Schiedsrichter und -Assistenten, die Opfer von Gewalt auf Fußballplätzen, vor allem im Amateurbereich, geworden sind", zählt Bönig einige mögliche Empfänger auf. Die Liste wurde auch dem DFB übermittelt.

Konkrete Zahlen waren nicht Inhalt des Schreibens. Eine sechsstellige Summe dürfte es in jedem Fall sein, möglicherweise sogar jene 750 000 Euro, die dem Klub bei einem Heimspiel entgehen. Spekulationen, die aber nur theoretischer Natur sein dürften. Die Aussichten, dass das DFB-Sportgericht dem Antrag des Kontrollausschusses nicht folgt und diesen im Sinne St. Paulis modifiziert, sind verschwindend gering. Schon heute wird im Einzelrichter-Verfahren das Urteil gesprochen. Dass dieses akzeptiert werden wird, hatte Schulte bereits am vergangenen Wochenende erklärt. Zu der in letzter Instanz möglichen Anhörung in Frankfurt wird es nicht kommen.

Völlig offen aber erscheint nun, welche Konsequenzen der Becherwerfer zu erwarten hat. Der Verdacht gegen Stefan H., den Familienvater aus Seevetal-Hittfeld, erhärtete sich gestern weiter. Die Polizei vernahm in Lübeck wie angekündigt einen 70-Jährigen, der beim Spiel gegen den FC Schalke 04 in unmittelbarer Nähe von H. auf der Haupttribüne gesessen hatte und diesen nun wie bereits ein erster in Hamburg vernommener Zeuge eindeutig als Täter identifizierte. Ob H., gegen den wegen gefährlicher Körperverletzung ermittelt wird, auch vom Verein finanziell belangt wird, könnte eng mit der Entscheidung des Sportgerichts zusammenhängen. St. Pauli hatte bereits am Abend des Spiels erklärt, den Werfer bei einem Geisterspiel in Regress zu nehmen und die fehlenden Einnahmen umzulegen. Ob dies auch bei der vom Klub angedachten "angemessenen Geldstrafe" der Fall wäre, ist dagegen unklar. "Das ist völlig offen und noch nicht ausdiskutiert", bestätigte Bönig.

Viele Variablen in einem Fall, der eigentlich längst klar schien. Auch die Summe der Mindereinnahmen dürfte tatsächlich deutlich geringer ausfallen. Ein Großteil der Dauerkarteninhaber würde das ihnen zustehende Siebzehntel des Kaufpreises nicht einfordern. Zahlreiche Besitzer von Tagestickets ebenfalls auf die Rückerstattung des Kaufpreises verzichten. Bislang hat sich weder ein Sponsor noch ein Logenmieter gemeldet, der etwaige Ausfallansprüche bei einem möglichen Geisterspiel geltend machen würde. Die Solidarität ist groß, die Haltung des Klubs stößt in Fan-Kreisen und auch in der Mannschaft auf Verständnis. "Es wäre bedauerlich, wenn wir in so einem wichtigen Spiel ohne unsere Zuschauer auskommen müssten", sagt Trainer Holger Stanislawski. "Ein Geisterspiel wäre ein Novum in der Bundesliga", erinnert Kapitän Fabio Morena, "wir Spieler hoffen, dass es nicht so kommt."

Mindestens bis heute Nachmittag bleibt die Hoffnung bestehen. St. Pauli kämpft gegen das Geisterspiel, wenngleich die Verantwortlichen eigentlich wissen, dass sie am Ende genau das bekommen werden, was sie sowieso schon erwartet hatten.