Das 1:2 in Frankfurt bedeutet für den FC St. Pauli eine weitere unnötige Niederlage und die fünfte Pleite in Folge. Lob wandelt sich in Mitleid.

Frankfurt. Er schien gar nicht mehr richtig hinzuhören. Holger Stanislawski rührte gedankenverloren in seiner Kaffeetasse und studierte die Spielstatistiken, während Michael Skibbe auf der Medienkonferenz seiner Erleichterung Luft machte. Teilnahmslosigkeit, die nachvollziehbar war. St. Paulis Trainer schien nur allzu gut zu wissen, was die Analyse seines Frankfurter Pendants beinhalten würde. Die Worte von Stuttgarts Coach Bruno Labbadia, der die Leistung der Hamburger eine Woche zuvor gewürdigt und von einem glücklichen 2:1-Sieg seiner Mannschaft am Millerntor gesprochen hatte, klangen Stanislawski noch in den Ohren. Skibbe bediente sich ebenjener labbadiaschen Spielbewertung in einer Detailliertheit, dass er sich des Plagiats verdächtig machte. Sanktionen sind nicht zu erwarten, allein St. Pauli zeichnete dafür verantwortlich.

Das Lob, der Respekt und die Schulterklopfer, die den Hamburgern fast allwöchentlich begegnen, besitzen inzwischen den Charakter von Mitleidsbekundungen. Oder sind es bereits Beileidsbekundungen? Der Aufsteiger ist in einen steilen Abwärtstrend geraten und rast mit Vollgas auf die Zweite Liga zu. Nach dem 0:2 in Dortmund hatte das späte 0:1 gegen Hannover die Fahrt entscheidend beschleunigt. In Nürnberg, beim 0:5, rissen die Bremsschläuche, gegen Stuttgart drückte ein gewisser Sven Schipplock mit seinem Last-Minute-Treffer zum 2:1 das Gaspedal wieder voll durch, und auch in Frankfurt misslang das abrupte Ende der Schussfahrt - im Gegenteil. Nach der unnötigsten aller 15 Saisonniederlagen befinden sich die Klassenerhalts-Hoffnungen nur noch auf theoretischem Niveau. Mit fünf Niederlagen in Serie, das gab es zuletzt vor sieben Jahren in der Regionalliga Nord, gehen die Hamburger in die Länderspielpause.

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St. Pauli verlor gegen einen Gegner, dessen Verunsicherung allgegenwärtig war, dessen Zuschauer die eigene Mannschaft bereits nach acht Minuten bei jeder misslungenen Aktion, bei jedem Rückpass reflexartig auspfiffen. Gegen einen Gegner, dem die Serie mit keinem Sieg und nur einem Tor aus den vergangenen drei Monaten den letzten Tropfen Selbstbewusstsein abgezapft zu haben schien. Gegen einen Gegner, dessen Elfmeter in der 34. Spielminute den ersten Schuss auf das Tor von Thomas Kessler bedeutete. Eintracht Frankfurt agierte ohne Konzept, ohne Struktur und ohne Spielkultur. Pässe landeten reihenweise im Aus, die Raumaufteilung glich einem willkürlich angeordneten Gebilde, dauerhaft lange Befreiungsschläge in die Spitze waren Ausdruck einer eigentlich fatalen Ideenlosigkeit. Und obendrein wurde St. Pauli von einem Angreifer besiegt, der seit mehr als 700 Minuten nicht mehr erfolgreich gewesen war. Gegen die Braun-Weißen traf Theofanis Gekas wie im Hinspiel doppelt. St. Paulis Abstiegsgespenst ist Grieche.

Dass dessen Doppelpack erst durch einen falschen Elfmeterpfiff - Schiedsrichter Günter Perl hatte eine Abseitsstellung übersehen und war auf einen Täuschungsversuch von Gekas hereingefallen - und einen Ausrutscher von Markus Thorandt, dessen 18-Millimeter-Stollen nicht ausgereicht hatten, um Halt zu finden, ermöglicht worden war, ließ den ohnehin schon bitteren Geschmack der niveaulosen Partie aus Hamburger Sicht am Ende ungenießbar werden.

"Wir dürfen dieses Spiel nie und nimmer verlieren", haderte Stanislawski, der die Leistung seiner im 4-1-4-1-Schema umformierten Mannschaft lobte: "Wir haben in der ersten Halbzeit nichts weggegeben, stattdessen eigene richtig gute Torchancen. Das spricht nach vier Niederlagen für die Jungs. Die Tendenz zeigt klar in die richtige Richtung. Allerdings müssen wir uns für unsere Dominanz auch belohnen."

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Ein entscheidender Nachsatz, der das Hauptproblem kennzeichnet. Wie gegen Stuttgart konnte die Überlegenheit nicht adäquat in Torchancen geschweige denn Toren ausgedrückt werden. Es fehlt an Qualität im Offensivbereich. Charles Takyis verdienter Ausgleich (42.) entsprang wie die Frankfurter Tore dem Zufall, als der in der Mauer postierte Tzavellas den 20-Meter-Freistoß unhaltbar abfälschte. Für Skibbe war "die Leistung zweitrangig. Das war ein ungemein wichtiger Sieg, aber es wird ein harter Kampf im Keller. Da sind so viele Klubs mit 31 oder 32 Punkten." Ein Satz, der Stanislawski dann doch von seinem Statistikblättchen aufblicken ließ. St. Pauli hat 28.

St. Paulis Restprogramm: FC Schalke 04 (H), Bayer Leverkusen (A), VfL Wolfsburg (A), Werder Bremen (H), 1. FC Kaiserslautern (A), FC Bayern München (H), 1. FSV Mainz 05 (A)