Der FC St. Pauli und Mainz 05 arbeiten seit Jahren beharrlich, erfolgreich, mit ähnlicher Philosophie und treffen erstmals in der Bundesliga aufeinander.

Hamburg. Gegründet wurde der FC St. Pauli 1910, fünf Jahre nachdem in Rheinhessen, dort wo der Main in den Rhein fließt, ein Verein namens 1. FSV Mainz 05 aus der Taufe gehoben wurde. Man muss nicht 100 Jahre zurückblicken, um die Basis zu finden, auf der die Erfolge der letzten Jahre fußen. Die beiden Klubs, die am Sonnabend im Top-Spiel des letzten Hinrundenspieltags am Millerntor aufeinandertreffen (18.30 Uhr/Sky und Liveticker auf abendblatt.de) und die eine Schnittmenge verbindet, deren Größe in der Liga ihresgleichen sucht, haben in der jüngeren Vergangenheit viele richtige Entscheidungen getroffen. Parallelität zwischen St. Pauli und Mainz, Parallelität zwischen wirtschaftlicher wie sportlicher Entwicklung.

Es war am 27. Februar 2001, passenderweise einem Rosenmontag, an dem der langjährige Mainzer Spieler Jürgen Klopp nach der Beurlaubung von Eckhard Krautzun zum neuen Chefcoach befördert wurde. Eine ungewöhnliche Entscheidung, die den Startpunkt der Mainzer Lach- und Schießgesellschaft bedeutet. "Damals waren wir die graueste Maus der Zweiten Liga", erinnert sich Manager Christian Heidel. Mit sympathischer Leichtigkeit und Lockerheit sowie attraktivem Offensivfußball begannen sich die 05er ein neues Image zu erspielen. Herzlich willkommen beim Karnevalsverein!

Eine Attitüde, die dem Kiezklub längst anhaftete. Beliebt, aufgrund von wirtschaftlicher Inkompetenz und fußballerischer Limitiertheit aber auch oft belächelt, zog St. Pauli damals durch die Ligen. Bis zur Geburtsstunde des technisch versiert kombinierenden Fußballkollektivs sollten noch fünfeinhalb Jahre vergehen. Am 20. November 2006 übernahm Holger Stanislawski, wie Klopp langjähriger Ex-Profi seines Klubs, das Traineramt, verordnete der Mannschaft eine offensivere Spielweise und stieg aus der Regionalliga binnen dreieinhalb Jahren in die Bundesliga auf. Klopp schaffte den Sprung ins Oberhaus ebenfalls im Express-Tempo, ohne den Kader dabei extrem zu verändern. 2004 ging Mainz 05 erstmals in der Bundesliga an den Start. Nach Klopps Weggang 2008 und dem Intermezzo mit Jörn Andersen wird seine Arbeit nun von Thomas Tuchel fortgeführt. Fachkompetent, jung, sympathisch, eloquent, dynamisch, kommunikativ, schlagfertig, identitätsstiftend und mit der Gabe gesegnet, vor allem junge Menschen für eine Aufgabe, für ein Ziel zu begeistern. Klopp? Tuchel? Stanislawski? Qualitäten, die alle drei starken Charaktere auf sich vereinen. Der sportliche Erfolg der Klubs hat Namen, die Gruppe der "neuen Trainergeneration" trägt ihre Gesichter.

Zeitgleich entwickelten sich die Klubs auch auf dem Wirtschaftssektor, wuchsen organisch und investierten einen Großteil ihres Etats in die Infrastruktur. Zudem stehen beide Präsidien im regen Austausch. Eine Allianz der Traditionalisten, die sich bewusst für das Modell des e.V. und gegen Investoren aussprechen, ist in der Diskussion, beide Klubs gelten als Initiatoren. Und wie beim FC St. Pauli angedacht, bestimmt auch in Mainz Kontinuität die Personalpolitik. Präsident Harald Strutz ist seit 22 Jahren im Amt, Heidel seit 29 Jahren für den Verein tätig. Klopp war 18 Jahre lang eine Institution im Klub, Tuchel vor seinem Engagement für die A-Junioren des Klubs verantwortlich. Spaßattitüde und gepflegtem Anderssein zum Trotz wird an beiden Standorten konservativ und nachhaltig geplant. Was auch für den Stadionbau gilt. St. Pauli werkelt seit Dezember 2006 Tribüne für Tribüne am neuen Millerntor, in Mainz wurde nach über einem Jahrzehnt die neue Arena am Europakreisel realisiert. Im Sommer 2011 soll sie eröffnet werden. Und das unabhängig von der Ligazugehörigkeit. Mögliche Abstiege aus der Bundesliga sind einkalkuliert. Am Bruchweg wie am Millerntor lautet das Ziel: Top 25.

Erreicht werden soll das mit vornehmlich jungen, deutschen Spielern. Während die Talente im Südwesten zuletzt immer seltener den Weg nach Kaiserslautern oder Frankfurt suchten, erwarb sich St. Pauli im Norden den Ruf, Talenten gute Entwicklungsmöglichkeiten zu bieten. Mainz hat Holtby, Schürrle, Risse und Szalai, St. Pauli Oczipka, Zambrano, Kruse und Naki. Profis mit Perspektive, die nicht selten als Leihspieler kommen.

Der FC und der FSV: zwei Klubs, die 520 Kilometer trennen und doch wie Brüder im Geiste sind. Dass sich die Wege nun erstmals in der Bundesliga kreuzen, ist kein Zufall. "Es gibt tatsächlich Ähnlichkeiten zwischen den Klubs", findet auch Stanislawski, "aber man darf nicht vergessen, dass uns die Mainzer in ihrer Entwicklung eigentlich ein paar Jahre voraus sind." Fünf um genau zu sein. Aber das war ja schließlich schon vor mehr als 100 Jahren so.