Bayern-Trainer Louis van Gaal steht immer mehr unter Druck. Ein Sieg gegen St. Pauli (15.30, Liveticker auf abendblatt.de) ist Pflicht.

München. Franck Ribéry dreht in leichtem Trab seine Runden. Der Trainingsplatz des FC Bayern an der Säbener Straße ist schneebedeckt. Der Franzose war mal ein Weltklassespieler. Dann brachten den flinken Dribbler Verletzungen aus dem Tritt. Jetzt sucht er seine Form.

Tags zuvor hat er im bedeutungslosen Champions-League-Spiel gegen den FC Basel zwei Tore geschossen. In den ersten 30 Minuten hatte er gegen die quirligen Schweizer keinen Zweikampf gewonnen. Bayern-Trainer Louis van Gaal hat nach dem 3:0-Sieg gesagt, die Öffentlichkeit und die Medien bewerten Spieler oft nur nach ihren Toren. Er tue das nicht.

Franck Ribéry hat keine Augen für drei St.-Pauli-Fans. Sie haben sich in lustige Kostüme gezwängt und sorgen mit ihren überdimensionalen Bäuchen bei den rund 200 frierenden Trainingsbesuchern für Verwirrung. "97 Prozent der Bayern-Fans fanden das lustig", sagt Britt anschließend über ihre Performance, die dem Kiezklub auch im Süden der Republik Sympathien einbringen soll. Die Münchner hätten schon Humor, meint die Hamburgerin. Auf ihrem dicken Bauch prangt ein riesiger Totenkopf. Manche Experten in München glauben, dass die heutige Partie gegen den Aufsteiger aus Hamburg für Bayern-Trainer van Gaal ein Schicksalsspiel sei.

+++ St. Pauli ohne Takyi, Naki und Zambrano - Bayern ohne Gomez +++

Vor zehn Tagen riss es viele der 2800 Bayern-Mitglieder in der Münchner Olympiahalle immer wieder von ihren Sitzen. Bei der Jahreshauptversammlung vermeldete der Rekordmeister Rekordzahlen. Der Umsatz der Bayern München AG kletterte auf noch nie erreichte 350 Millionen, der Gewinn nach Steuern auf 2,9 Millionen Euro. Die freie Liquidität betrug 63,7 Millionen Euro. Dazu stieg die Zahl der Mitglieder innerhalb von zehn Jahren von 91 288 auf 162 187, die der bundesweiten Fanklubs von 1900 auf 2764. Viel beliebter und erfolgreicher geht nicht.

Eine Kennziffer ist jedoch noch beeindruckender: Das Eigenkapital beträgt 206,4 Millionen Euro. "Sagenhaft", nannte Bayern-Präsident Uli Hoeneß diese Eigenkapitalquote von 65,1 Prozent. Und das in Zeiten der Finanzkrise, "in denen Vereine wie Liverpool oder Manchester United am Abgrund stehen, und Klubs wie Real Madrid oder der FC Barcelona 400 oder 500 Millionen Euro Schulden aufgebaut haben".

In Zeiten auch, assistierte flugs Vorstandskollege Karl Hopfner, in denen "ein Klub wie Real Madrid 136,1 Millionen Euro aus der TV-Vermarktung erhält - und wir aus der Bundesliga-Zentralvermarktung 28,6 Millionen." In der ersten Reihe klatschten Kapitän Mark van Bommel, Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger neben van Gaal artig Beifall. "Damit ist und bleibt unser Klub wirtschaftlich eigenständig und unabhängig von Marktgegebenheiten", bilanzierte Hopfner unter großen Applaus.

Die nackten Zahlen sind das eine. Der Blick auf die Bundesliga-Tabelle ist das andere. Man kann in diesem Fall auch sagen: Eine positive Bilanz schießt keine Tore.

17 Punkte - und 22 (!) Tore - Rückstand auf Spitzenreiter Dortmund werden in München schmerzhaft registriert. Und trotz der souveränen Auftritte in der Königsklasse kann sich van Gaal in der Liga keinen Fehltritt mehr erlauben.

Dazu ist das Grummeln über den angeblich beratungsresistenten Coach mittlerweile zu laut. Und dazu hat sich der herrschsüchtige Holländer mit zu vielen Beteiligten angelegt. Deshalb erklärte Karl-Heinz Rummenigge, Chef der Bayern-AG, ihm bei der Jahreshauptversammlung noch einmal öffentlich die Spielregeln: "Louis, Bayern München funktioniert ganz einfach: Du musst nur die Spiele gewinnen, dann sind wir alle glücklich und zufrieden."

Die Zahl der Unzufriedenen aber wächst. Nachdem Präsident Uli Hoeneß Anfang November die Personalpolitik des Trainers im Fernsehen lautstark kritisiert hatte, ist nichts mehr so wie vorher. Jetzt legte Franz Beckenbauer nach und fand vor den TV-Kameras von Sat.1 deutliche Worte über die Aufstellung: "In der Innenverteidigung wird ständig durchgewechselt. Im letzten Jahr hat van Gaal in der Vorrunde alles durcheinandergeschmissen, jetzt ist es wieder so." Der "Kaiser" kommt zu dem Schluss: "Im Moment passt nichts, es wird zu viel durcheinandergewürfelt."

Ein ehemaliger Bayern-Trainer hatte zeitgleich auch ein paar Ratschläge für den kantigen Niederländer, der immer so schön in die Mikrofone kläfft. "Bei Bayern wird knallhart kalkuliert und abgerechnet. Platz vier ist da schon verboten", sagte Sky-Experte Ottmar Hitzfeld. "Wenn Uli Hoeneß Druck setzt und klare Ziele nennt, weiß man, was die Stunde geschlagen hat. Dann wird es ungemütlich. Dass van Gaal einen Konflikt mit dem Vorstand hat - ich glaube, ich hätte das gar nicht geschafft. Und es ist auch gefährlich, denn es ist ein Vorteil, wenn man Uli hinter sich weiß."

Ribéry hat geduscht und sitzt im Presseraum an der Säbener Straße. Er spricht mittlerweile schon ganz gut Deutsch, nur ein Wort wie "Streicheleinheiten" muss er sich noch übersetzen lassen. Und er schwärmt ein bisschen. Von Hitzfeld, unter dem er seine besten Spiele im Bayern-Trikot gezeigt hat. "Er hat immer mit mir gesprochen. Auf dem Hotelflur, 20 Minuten. Nicht nur über Fußball. Auch über Privates, über meine Familie", sagt Ribéry.

Bei Hitzfeld durfte er auch viel zentraler spielen. Und nicht ganz links draußen, wo er beim 0:2 in Schalke "manchmal acht Minuten" keinen Ball bekommen hatte. "Ich brauche Bälle." Hat er mal mit van Gaal über seine Position gesprochen? "Mit dem Co-Trainer", sagt Ribéry. Warum nicht mit van Gaal? "Weiß nicht", sagt er. Er sagt auch, dass man für einen Trainer wie Hitzfeld immer 100 Prozent gegeben hat.

Und nun kommt St. Pauli. Gibt es wieder zwei Tore von ihm? "Das ist nicht wichtig. Wichtig ist allein ein Sieg." Kennt er einen Spieler der Hamburger? "Nein", sagt der Franzose nach kurzer Bedenkzeit. Aber sie hätten eine gute Mannschaft. Dennoch müssen die drei Punkte in München bleiben. Damit sie endlich auch in der Liga wieder feiern können.

"Du bist unser Feierbiest", hatte Rummenigge auf der Mitgliederversammlung van Gaal noch zugerufen. "Und als Feierbiest hat man natürlich immer die Verantwortung, dafür zu sorgen, dass auch im nächsten Jahr wieder gefeiert wird. Leg los!"

Wenn die Feier wegfällt, bliebe nur noch das Biest.