Abwehrspieler Florian Lechner trägt sein Bekenntnis zum FC St. Pauli auf dem rechten Oberarm

Teistungen. Das Duell, das sich die zwei Profis des FC St. Pauli gestern in der morgendlichen thüringischen Sonne lieferten, hatte es in sich. Kein Quadratzentimeter Rasen wurde hergeschenkt, die Zweikämpfe verbissen und mit vollem Einsatz geführt. Trainer Holger Stanislawski hatte seine Spieler zu schweißtreibenden Eins-gegen-eins-Duellen antreten lassen. Mann gegen Mann. Ohne Entschuldigungen, ohne Ausreden. 60 Sekunden auf engem Raum mit zwei Toren: eins in Miniaturausgabe, das andere in Originalgröße, bewacht von Neuzugang Thomas Kessler, der nicht schlecht staunte, mit welcher Vehemenz Florian Lechner und Bastian Oczipka in ihrer Paarung zu Werke gingen.

Ein Treffer gelang zwar keinem, doch das packende Remis der beiden um einen Platz in der Anfangsformation konkurrierenden Außenverteidiger passte trefflich zu dem in den ersten Wochen dieser Vorbereitung gewonnenen Eindruck, dass man einen alten Bekannten wieder auf der Rechnung haben sollte. "Ich will am 14. August in Chemnitz auf dem Platz stehen", formuliert Lechner sein persönliches Ziel. Er ist wieder da, gesund und auf Augenhöhe mit seinen Konkurrenten. "Lelle ist ein wahnsinniger Pusher für die Mannschaft, ein positiver Charakter mit einem unglaublichen rechten Huf, und er hat jetzt wieder die Geschmeidigkeit früherer Tage und ist für den Gegner richtig eklig zu spielen", lobt Stanislawski. Es steckt wieder eine Extraportion Dynamik, Dampf und Vorwärtsdrang im Trikot mit der Rückennummer zwei, aus dem seit dieser Saison ein auffälliges Tattoo herausragt. Der 29-Jährige hat sich die tiefe Verbundenheit zu seinem Verein auf den rechten Oberarm stechen lassen: Rückennummer und Postleitzahl St. Paulis, umrahmt von einem Stern.

Sein eigener drohte nach einer furiosen Aufstiegssaison 2006/07, an deren Ende St. Pauli die Rückkehr in die Zweite Liga gelang, abrupt zu erlöschen. Kurz vor dem Saisonstart erlitt der gebürtige Schwabe einen Wadenbeinbruch, der ihn inklusive zahlreicher Folgeverletzungen zu einer Pause von 19 Monaten zwang. Die Zweite Liga erlebte er lange Zeit nur von der Tribüne aus, ehe er nach zahlreichen gescheiterten Comebackversuchen im vergangenen Jahr den Weg zurück in den Kader fand. 14 Einsätze weist die Statistik der vergangenen Saison für ihn aus. "Ich habe diese Zeit abgehakt, bin gesund. Es gibt keine Folgeerscheinungen."

Man kann nur erahnen, was er durchgemacht haben muss, wenn man weiß, was der Verein für ihn bedeutet. Lechner, der nimmermüde Kämpfer, der Fußball-Arbeiter, dem die Rolle des unterschätzten Außenseiters wie auf den Leib geschneidert scheint. Lechner, der emotionale St. Paulianer, der sich mit dem braun-weißen Trikot die Tränen aus dem Gesicht wischte, als im Dezember 2006 die alte Südtribüne am Millerntor verabschiedet und abgerissen wurde. Lechner, der Schanzenbewohner, der ganz bewusst eine Wohnung in der Susannenstraße bezogen hat. "Jeder kennt da jeden. Du hast deinen Obsthändler, grüßt den Kioskbesitzer. Und wenn du mal kein Geld dabeihast, dann wird die Rechnung eben am nächsten Tag beglichen", zählt er die Vorzüge auf. Lechner lebt St. Pauli und den FC, mit dem er nun in sein siebtes Jahr geht. Nur Mittelfeldspieler Fabian Boll ist noch länger dabei.

Dass sein vor einem Monat auslaufender Vertrag erst spät und nur um ein Jahr verlängert wurde, ist für ihn unerheblich. "Wir hatten bereits in der Rückrunde ganz gute Gespräche", erzählt er gelassen. "Natürlich habe ich auch Alternativen abgeklopft, Angebote lagen vor. Aber ich bin St. Paulianer und habe hier alles vor der Tür. Und wir haben eine sensationelle Truppe. Da macht die Schinderei im Trainingslager gleich tausendmal mehr Spaß als anderswo. Einen Weggang kann ich mir nicht vorstellen, solange ich hier eine Perspektive habe." Dass diese gegeben ist, bestätigt der Trainer: "Wir haben ja nicht verlängert, weil er so nett ist. Die Frage lautet immer, ob der Spieler reelle Einsatzchancen hat."

Diese versucht er nun täglich aufs Neue zu ergreifen. Mit Händen und Füßen. Der Konkurrenzkampf ist für ihn nicht mehr nur ein Scheingefecht, Teistungen erlebt den alten Lechner in einer Neuauflage. Er war der letzte Spieler, dessen Vertrag verlängert wurde, jetzt rollt das Stehaufmännchen das Feld von hinten auf.