Das Bundesportgericht des DFB entschied: Der FC St. Pauli muss für den Kassenrollenwurf am Millerntor nur 50.000 Euro Strafe zahlen.

Frankfurt. Die ersten Gratulanten waren Nationalmannschafts-Teammanager Oliver Bierhoff und sein Berater Marc Kosicke. Direkt vor der Zentrale des Deutschen Fußball-Bunds (DFB) liefen sich das Duo und die Abordnung des FC St. Pauli zufällig in die Arme. Vizepräsident Gernot Stenger, Sportchef Helmut Schulte und Teammanager Christian Bönig erlaubten sich ein verschmitztes Grinsen im Anschluss an eine erfolgreiche Berufungsverhandlung vor dem DFB-Bundesgericht. Die Hamburger waren erneut nach Frankfurt gereist, nachdem das Sportgericht im Fall des Kassenrollenwurfs vom Millerntor vor viereinhalb Wochen zwar den vom Kontrollausschuss beantragten Ausschluss sämtlicher Stehplatzzuschauer auf die Ränge der Nord- und Südtribüne beschränkt, aber eben nicht komplett aufgehoben hatte. Dies tat nun das Bundesgericht.

Der Kommentar zum Urteil: Kein Anlass zum Jubeln

"Das Urteil vom 27. Februar wird abgeändert. St. Pauli wird wegen mangelnden Schutzes des Gegners zu einer Geldstrafe von 50 000 Euro verurteilt. Die Verfahrenskosten tragen der DFB und St. Pauli jeweils zur Hälfte", sprach der Vorsitzende Richter, Goetz Eilers, um 14.31 Uhr. "Ich habe dazu nichts mehr zu sagen", grummelte Anton Nachreiner und verließ eilig den Sepp-Herberger-Saal. Der Kontrollausschussvorsitzende war ebenfalls in Berufung gegangen und erlebte nun, wie das Strafmaß weiter abgemildert wurde. Stenger, der gestern seinen 55. Geburtstag feierte, sagte dennoch: "Die Strafe ist hoch, das ist viel Geld." Schulte sprach von einem "weisen Urteil".

Am 19. Dezember hatte St.-Pauli-Fan Martin R. in der 48. Minute des Spiels gegen Eintracht Frankfurt eine Kassenbonrolle in die Luft geworfen, die sich nicht wie geplant abrollte und deshalb Frankfurts Mannschaftskapitän Pirmin Schwegler am Kopf traf. "Der FC St. Pauli war deswegen auch zu einer hohen Geldstrafe zu verurteilen", konstatierte der Vorsitzende Richter in seiner siebenminütigen Urteilsbegründung, "das Bundesgericht aber stand vor der Frage, ob ein Teilausschluss als angemessenes Strafmaß zu folgen habe." Was es nicht tat, denn "Tat und Täterverhalten unterscheiden sich erheblich von den sonst im Fußball bekannten Szenen von Fanatismus, Gewalt und Ausschreitungen." Der Täter habe lediglich die Absicht verfolgt, seine Leidenschaft zum Ausdruck zu bringen. "Es gibt in diesem Fall kein Aggressionsverhalten, keinen Hooliganismus und keine Schädigungsabsicht. Und das Strafmaß muss Spiegelbild dessen sein, was die Tat verursacht hat." Eilers folgte damit der Argumentationskette Stengers.

Der Werfer, gegen den der Verein vor drei Wochen ein Stadionverbot ausgesprochen hatte, wird nun in Regress genommen, darf aber auf die Unterstützung der Fanszene hoffen. Es ist davon auszugehen, dass der Großteil der 50 000 Euro in einer Solidaritätsaktion aufgefangen wird und der Werfer im Rahmen der Schadensregulierung ein mehrmonatiges unentgeltliches Praktikum im Klub absolviert. Als der 20-jährige Abiturient erneut glaubwürdig den Tathergang schilderte, sagte Nachreiner: "Ich unterstelle Ihnen keine Absicht. Aber warum haben Sie nicht zur Seite geworfen?"

Der Kontrollausschuss-Vorsitzende erinnerte in seinem Plädoyer an St. Paulis "Wurfhistorie": Am 1. April war Schiedsrichter-Assistent Thorsten Schiffner während der Partie gegen Schalke 04 von einem Bierbecher getroffen worden. Die folgende Platzsperre in Verbindung mit einem Teilausschluss der Öffentlichkeit konnte nicht verhindern, dass im Anschluss an das Heimspiel gegen Erzgebirge Aue am 23. September Schiedsrichter Christian Leicher ebenfalls mit einem Bierbecher beworfen wurde. "Vielleicht waren wir in der Vergangenheit zu nachsichtig", grübelte Nachreiner, "und ich sage Ihnen das ganz offen: Ich hatte zunächst darüber nachgedacht, hier ein Geisterspiel zu verlangen."

Nachreiners bemerkenswertes Argument: "Wir müssen gewisse Pauschalisierungen vornehmen, sonst kommen wir unserer Arbeit nicht mehr nach. Würden wir uns in jedem Fall um alle Hintergründe kümmern, können wir den Kampf gegen die Dinge, die in den Stadien passieren, aufgeben. Eigentlich betreiben wir hier ja nur noch eine Verwaltung von Unrecht." Eilers meinte dazu in seinem Urteil: "Wir teilen nicht die Auffassung, dass Individualitäten zu vernachlässigen sind."

Eine Aussage, die auch mit Blick auf Schultes Erscheinungsbild zulässig war. Der Sportchef hatte seine bewährte Gerichtskrawatte im Schrank gelassen. Statt der schwarzen Variante mit Totenkopf fiel blau-weiß gestreifter Stoff vom Hals abwärts auf sein hellblaues Oberhemd. Ein Accessoire aus seiner Zeit bei Schalke 04, wie das Wappen auf der Rückseite verriet. "Ich dachte, das könnte helfen. Schalke ist momentan sehr erfolgreich." St. Pauli auch, wie nicht zuletzt die Reaktion von Kosicke und Bierhoff verriet.