Der ehemalige Sportchef Helmut Schulte spricht im Interview über drei Trennungen, interne Kritik, Enttäuschungen und seine Zukunftspläne.

Hamburg. Der Pin mit dem St.-Pauli-Zeichen steckt noch immer an seinem Jackett. Helmut Schulte, vor einer Woche vorzeitig aus dem Amt des Sportchefs ausgeschieden, fühlt sich dem Kiezklub weiter verbunden. Beim Abendblatt-Termin kann er seine große Enttäuschung über seine Demission dennoch nicht verbergen.

Hamburger Abendblatt: Herr Schulte, Sie dürften der einzige Manager oder Trainer sein, der bei ein und demselben Verein dreimal das Arbeitsverhältnis vorzeitig beenden musste. Welche Trennung tat am meisten weh?

Helmut Schulte : Die erste, im Februar 1991 als Cheftrainer beim FC St. Pauli. Ich war damals wohl der erste Trainer, der wegen Misserfolgs in Testspielen nach der Winterpause entlassen wurde. Wir waren damals 16., ich konnte es nicht begreifen, als ich von Präsident Heinz Weisener die Papiere bekam. Der Seelenschmerz war unglaublich, schließlich hat mich dieser Klub sozialisiert. Erst Jugendtrainer, dann Co-Trainer, schließlich Cheftrainer mit Aufstieg und Klassenerhalt. Ich habe dann in meiner Trauer auch Fehler gemacht, etwa, dass ich mich beim ersten Spiel nach meiner Entlassung in den Fanblock gestellt habe. Das war gegenüber meinem Nachfolger nicht fair. Aber damals fand ich, dass es zu mir passte.

1998 mussten Sie dann als Manager gehen .. .

Schulte: Ja, aber dies war irgendwie nachvollziehbar. Der gewünschte Erfolg hatte sich nicht eingestellt.

Diesmal tut es also mehr weh?

Schulte: Auf jeden Fall. Ich versuche zwar alles professionell zu sehen. Aber ich bin überzeugt, dass es für den Verein besser gewesen wäre, wenn ich hier hätte weiterarbeiten können. Ich kann jedenfalls jeden Abend mit einem Lächeln ins Bett gehen und morgens mit einem Lächeln wieder aufstehen, weil ich weiß, dass ich hier einen guten Job gemacht habe. Um die sportliche Entwicklung und unsere Transferpolitik wurden wir deutschlandweit beneidet. Leider gab es ab einem bestimmten Zeitpunkt in dieser Saison Probleme in der Zusammenarbeit.

Was meinen Sie damit genau?

Schulte: In einige Entscheidungen, die meinen Arbeitsbereich betreffen, war ich nicht so eingebunden, wie es nötig gewesen wäre.

Das war auch bei der Pressekonferenz zu beobachten, als völlig überraschend der Verbleib von Cheftrainer André Schubert bekannt gegeben wurde. Sie saßen nicht auf dem Podium. Sofort wurde spekuliert, dass Ihr Job gefährdet ist.

Schulte: Das war mir klar. Deshalb hätte ich auch erwartet, dass man meine Position öffentlich stärkt. Das war aber nicht der Fall. Daher habe ich einen Vertrauensbeweis eingefordert.

Sie wollten eine Verlängerung Ihres bis Februar 2013 laufenden Vertrages bis 2016.

Schulte: Gerade nach dieser Debatte um André Schubert ist es wichtig, dass der Verein einen starken Sportchef hat, der den Trainer in einer möglichen Krisensituation stützen kann. Daher wäre eine Vertragsverlängerung wichtig gewesen. Das Präsidium hat jedoch abgelehnt. Dann habe ich gesagt, es ist besser, wenn wir den Vertrag auflösen.

Seitdem sickern verschiedene Vorwürfe durch. Der wichtigste ist nicht wirklich neu. Denn schon vor einem Jahr haben mehrere Spieler Ihnen massiv vorgeworfen, dass Sie sie über ihre Vertragssituation im Unklaren lassen. Drücken Sie sich vor unbequemen Gesprächen?

Schulte: Entschuldigung, aber das ist lächerlich. Jeder Spieler hat immer gewusst, ob wir eine Vertragsverlängerung anstreben oder eben nicht. Wenn die Situation auf der Kippe stand, habe ich die betreffenden Spieler und ihre Berater auch informiert. Ich bin für rund 50 Leute in meinem Verantwortungsbereich zuständig. Da kann ich nicht jeden Tag eine Wasserstandsmeldung abgeben. Alle wissen, dass meine Tür immer offen steht. Wer einen Termin haben will, kriegt einen. Ich mache mir allerdings den Vorwurf, dass ich mich nicht klarer positioniert habe. Ich hätte im Sinne des Vereins die gemeinsam mit dem Trainer gefällten Transferentscheidungen unnachgiebiger durchsetzen müssen.

Sind Sie als typischer Sauerländer vielleicht zu stur?

Schulte: Möglicherweise, aber ich habe kein Interesse an politischer Strippenzieherei. Mein Wahlspruch lautet: 'Ich bin, wie ich bin, so nehmt mich doch hin. Wollt ihr was anderes besitzen, so müsst ihr es euch schnitzen.' Im Übrigen lebt man als Sportchef in einem ständigen Spannungsverhältnis zwischen Mannschaft, Präsidium, Trainer, Fans und Medien. Da kann man es natürlich nie jedem recht machen.

Ein anderer Vorwurf lautet, dass sich die Bauarbeiten am Trainingsgelände an der Kollaustraße zu stark verzögern. Es ist ein Projekt in Ihrem Verantwortungsbereich.

Schulte : Dieser Vorwurf tut mir am meisten weh. Unter meiner Regie wurde uns das Gelände von der Stadt Hamburg für 25 Jahre überlassen, dort wurde ein neuer Trainingsplatz geschaffen, zudem einer der besten Kunstrasenplätze in Deutschland verlegt, wo auch in einem strengen Winter durchgespielt werden kann. Und die Planung für das Funktionsgebäude steht bis in das letzte Detail. Und wir geben keinen Cent zu viel aus.

Fakt ist aber auch, dass die Bagger noch nicht wie versprochen angerollt sind.

Schulte: Es hat sich durch das Durchrechnen der letzten Angebote alles um ein paar Wochen verzögert. Aber wissen Sie was: Das ist Schmuck am Nachthemd. Und ich möchte, dass Sie das genauso schreiben: Schmuck am Nachthemd. Ich würde mir wünschen, dass ich zum Richtfest an der Kollaustraße eingeladen werde. Und dass dann einer mal sagt: Danke, Helmut.

Kritiker bemängeln auch, dass das Nachwuchsleistungszentrum keine Spieler für die erste Mannschaft hervorbringt.

Schulte: Auch dies ist an den Haaren herbeigezogen. Zu Beginn meiner Tätigkeit lagen wir bei einer DFL-Zertifizierung des Nachwuchsleistungszentrums gerade mal bei 30 Prozent. Jetzt liegen wir bei 49 Prozent, ein solcher Sprung ist fast einmalig. Aber es ist typisch FC St. Pauli, dass man stattdessen darüber streitet, warum wir den ersten Stern nicht bekommen haben, der 80.000 Euro Förderung einbringt. Diesen Stern werden wir bei der Nachzertifizierung sehr wahrscheinlich bekommen. U23, U19 und U17 spielen in den höchstmöglichen Klassen. Alle Leistungsmannschaften haben in dieser Saison gegen den HSV gewonnen. Wir sind auf einem sehr guten Weg. Wer aber erwartet, dass wir hier innerhalb kürzester Zeit Toptalente für die erste Mannschaft ausspucken, kennt das Geschäft nicht. So ein Prozess dauert fünf bis zehn Jahre.

Ist mit der Trennung für Sie das Kapitel St. Pauli abgeschlossen?

Schulte: Nein, ich werde immer ein St. Paulianer bleiben. Dieser Verein stand immer dafür, dass Fußball mehr ist als nur ein 1:0. Und das ist genau meine Philosophie. Ich gehe ja auch nicht im Bösen. Im Gegenteil, ich werde weiter mal zur Geschäftsstelle fahren, um mit dem ein oder anderen Kaffee zu trinken.

Ist ein viertes Engagement denkbar?

Schulte (lacht): Mehrere Mitarbeiter haben mir zum Abschied gesagt: Helmut, bis zum nächsten Mal. Vielleicht werde ich ja Platzwart an der Kollaustraße. Nein, im Ernst, derzeit ist ein Comeback eher unwahrscheinlich. Aber man soll nie Nie sagen.

Sie schwebten nach Ihrem schweren Autounfall im Januar 2007 lange in Lebensgefahr. Hat das Ihre Sicht auf eine solche Trennung verändert?

Schulte: Auf jeden Fall. Ich weiß jetzt noch mehr, dass es Sachen gibt, die 10 000-mal wichtiger sind als der Job. Und ich bin seitdem auch nicht mehr bereit, scheinbare Harmonie gegen die eigene Integrität zu tauschen. Den Job irgendwie retten, indem man gute Miene zum bösen Spiel macht, nein, das mache ich nicht mehr.

Und was machen Sie jetzt?

Schulte: Erst mal all die Dinge erledigen, für die keine Zeit war. Steuererklärung machen, Rollrasen im Garten verlegen und so. Und dann bin ich bereit für neue Aufgaben. In der Branche und außerhalb der Branche. Denn ich weiß, dass ich sonst nach ein paar Monaten meiner Familie auf den Wecker gehen werde.