Am Sonntag spielt St. Pauli am Millerntor voraussichtlich zum letzten Mal vor der 51 Jahre alten Gegengeraden. Bildband erscheint im September.

Hamburg. "Wie habe ich es immer geliebt bei Flutlichtspielen auf der Gegengerade das Stadion zu betreten. Das Licht der Scheinwerfer wird gebrochen durch die einzelnen Schichten der alten, morschen Tribüne, durch die Fans, durch das ganz einfache Hin und Her, das da stattfindet. Die geliebte zusammengeflickte Fress- und Saufmeile, die alten Wagen, die mit Aufklebern verzierten Klos. Das Intro zum Einlaufen der Mannschaft, die Fahnen, die großen Fahnen der Passanten und der breiten Masse. Die alten Schilder, die da immer noch an den Toren hängen "Damen und Herren WC Richtung Clubheim" mit Pfeil nach rechts, aber das Klubheim ist schon lange nicht mehr da. "(...) wir sind durch dick und dünn gegangen mit dir, du meine geliebte Gegengerade, und ich werde dich immer lieben, egal was uns der Verein da hinsetzt? Walk on."

Im Internet haben St.-Pauli-Fans wie Forumnutzer "Orsen" längst begonnen, Abschied zu nehmen. Abschied von einer Institution, einem Merkmal und Wahrzeichen des Klubs, dessen DNA auf den Rängen zwischen (altem) Klubheim und Domwache gestrickt wurde. Auch wenn die Liga voraussichtlich bleibt - die Gegengerade verschwindet. Sollte das Wunder von der Relegationsteilnahme ausbleiben, wird am Montag mit dem Abriss des 1961 im Rahmen des Stadionbaus eingeweihten und 27 Jahre später um eine ursprünglich als Provisorium installierte Stahlrohrtribüne erweiterten Abschnitts begonnen.

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Es ist die sagenumwobenste der vier Tribünen des Millerntor-Stadions. Hier, auf der Seite zum Heiligengeistfeld, wehten 1987, als der Klub zum Kultverein wurde, die ersten Totenkopf-Fahnen, hier schlug jahrzehntelang das Herz des FC St. Pauli. Nun, bevor der Abschnitt drei des Stadionneubaus umgesetzt wird, steht das voraussichtlich letzte Fußballspiel vor der alten Gegengeraden an. Es wird Danksagungen, Gesänge, Choreografien und jede Menge Tränen geben.

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Sonntag kommt Paderborn zum Abschiedsspiel für den "liebenswerten Schrotthaufen", wie Susanne Katzenberg sagt. Für die Fotografin, die den Stadionumbau von Beginn an und in den vergangenen drei Jahren mit Olaf Tamm begleitet hat, endet ebenfalls ein Abschnitt. Wenn sie am Sonntag nach Spielende von einer Leiter im Mittelkreis das Abschiedsfoto schießt, ist das Material für den im September erscheinenden Bildband "Millerntor - eine Liebeserklärung an das alte Stadion des FC St. Pauli" komplett. Etwa 4000 Fotos haben Tamm und sie gemacht. "Olaf hat sich eher auf die Fans konzentriert, mein Fokus lag auf der Architektur, den narrativen Szenen rund um das Stadion", sagt Katzenberg, die mit ihrer Arbeit den Altbestand bewahren will: "Es wird ein extrem trauriger Moment. Ich habe hier sieben Jahre lang fotografiert, kenne jede Schraube."

Für Sonntag hofft die 45-Jährige, die 2010 auch das Abschiedsfoto der Haupttribüne schoss, neben gutem Wetter auf die Geduld der Zuschauer. "Es wäre schön, wenn sie noch etwas länger blieben und alles schwenken, was sie haben: Fahnen, Schals, Bierbecher. Das Foto wird auf jeden Fall gemacht - auch wenn wir die Relegation doch schaffen sollten" und die Gegengerade somit noch eine letzte verdiente Zugabe erleben würde ...