FC St. Pauli muss sich zwischen zwei Entwürfen für neue Gegengerade entscheiden. Einer hat die Form einer überdimensionalen Welle.

Hamburg. Das Millerntor-Stadion. Seit fünf Jahren wird es umgebaut, seit 15 Monaten mit Hochdruck an der Planung des dritten der insgesamt vier Bauabschnitte gearbeitet. Und seit einigen Wochen ist der für den Mai 2012 anvisierte Abriss und umgehende Neubau der Gegengerade wieder das alles dominierende Gesprächsthema hinter den Kulissen. "Die infrastrukturellen Herausforderungen werden für uns die Kernthemen in dieser Saison sein", hatte Vizepräsident Bernd-Georg Spies zum Saisonstart im Interview gesagt. Aktuell stehen Präsidium und Verein möglicherweise vor der größten Herausforderung. Denn es ist nicht mehr allein die Frage der weiterhin ungeklärten Finanzierung, welche die Gremien diskutieren. Nach Abendblatt-Informationen wurde dem Verein ein spektakulärer neuer Entwurf für die Gegengerade vorgelegt, der für Wirbel sorgen wird und im übertragenen Sinne auch soll.

Die Pläne, die über ein Hamburger Unternehmen an den Klub herangetragen wurden, beinhalten eine Optik, die den Bezug St. Paulis zum Wasser verdeutlicht und die atmosphärische Bedeutung der Tribüne unterstreicht: Vom Heiligengeistfeld bäumt sich die komplett in Schwarz gehaltene Gegengerade als überdimensionale Welle in Richtung Spielfeld auf. Während im unteren Bereich Steh- und Sitzplätze vorgesehen sind, befinden sich im zweiten, dritten und vierten Rang direkt unterhalb der brechenden Welle weitere "hängende" Stehplätze. Ein imposantes Bauwerk, dessen Ausmaße die bereits fertiggestellten Ränge im Süden und Westen um bis zu sieben Meter überragt. Doch es ist nicht allein die Größe, die die "schwarze Welle" zu einem aufsehenerregenden Projekt macht. Das finanzielle Volumen würde sich im Gegensatz zur ursprünglichen Planung um einen Betrag in siebenstelliger Höhe steigern und sich der Dimension der beiden vorangegangenen Bauabschnitte annähern, die mit ihren Logen und Business-Seats, VIP-Bereichen, dem Klubheim, Fanshop und Geschäftsstelle 14 beziehungsweise 20 Millionen Euro verschlangen. Bei der schwarzen Welle werden Mehrkosten von bis zu vier Millionen Euro erwartet, was den Gesamtpreis auf 13 Millionen Euro in die Höhe schrauben könnte.

In jedem Fall günstiger zu realisieren wäre da der konkurrierende, konservative Entwurf des Architekturbüros ar.te.plan aus Dortmund. Er orientiert sich optisch und bei seinen Ausmaßen an den beiden bereits umgesetzten Bauabschnitten eins und zwei, der Süd- und Haupttribüne. "Wir haben den Anspruch, dass sich die Gegengerade optimal in den bisherigen Stadionbau einpasst", sagt Geschäftsführer Burkhard Grimm, dessen Architekturbüro unter anderem für die Planung der neuen Stadien in Duisburg und Ingolstadt zuständig gewesen war. Seine Berechnungen und Konstruktionen sind abgeschlossen, die Machbarkeit steht außer Frage, während die Gegenseite noch einige Hürden zu überspringen hat. Nicht zuletzt die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt muss dem kühnen Projekt noch zustimmen. Am Ende könnte bereits die Machbarkeits- noch vor der Geschmacksfrage eine Entscheidung herbeiführen.

Gewellt oder gewöhnlich - es ist ein ungleicher, aber eben noch offener Wettstreit. Beide Entwürfe werden derzeit gleichberechtigt verfolgt, ihre Finanzierbarkeit überprüft und am Montag von Vizepräsident Gernot Stenger und Michael Meeske, dem Geschäftsführer der Millerntor-Stadionbetriebsgesellschaft, der Öffentlichkeit präsentiert. Unter den Vereinsverantwortlichen gibt es bereits erhebliche Meinungsverschiedenheiten, unter den Anhängern dürfte das kaum anders sein. Während die einen die finanzielle Belastung des Kiezklubs so gering wie möglich halten wollen und die Welle als teuren PR-Gag ablehnen, verweisen die anderen auf die Unverwechselbarkeit, die das Millerntor mit der Tribüne umso mehr hätte. Gewellt oder gewöhnlich - eine Glaubensfrage.

Gemein haben beide Entwürfe das Fassungsvermögen von 13 000 Zuschauern, ungefähr doppelt so viele wie bisher. Fest steht auch, dass die neue Gegengerade in jedem Fall 10 000 Stehplätze beheimaten wird. In ihren Gemäuern werden neben Stadionkiosken auch Räumlichkeiten für den Fanladen, die Abteilung Fördernde Mitglieder (AFM), Stadionwache und Fanräume e.V. entstehen. Die Initiative Fanräume, die mit der Unterstützung der AFM 400 000 Euro der Kosten übernehmen will und über diverse Aktionen und Spenden bereits 270 000 Euro generieren konnte, wurde bereits über die neuen Entwicklungen informiert.

In jedem Fall steht fest, dass der FC St. Pauli einmal mehr für ein Kuriosum sorgen wird. Der erste Entwurf für das neue Millerntor im Jahr 2006 stammte von agn Niederberghaus & Partner in Ibbenbüren. Architekten, mit denen man tatsächlich aber nur die Südtribüne baute und sich nach einem Streit verglich. Für die Haupttribüne wurde mit SHA Scheffler Helbich eine Dortmunder Firma engagiert, die die Pläne von Niederberghaus überarbeitete, nach der Fertigstellung aber ebenfalls nicht mehr im Team war. Beim dritten Bauabschnitt wird nun fast schon traditionell ein neuer Architekt ins Rennen gehen. Die Frage ist nur, welcher.