Hamburg. Das Nordderby bekam Änis Ben-Hatira am Sonnabend nur am Rande mit. Der frühere HSV-Stürmer musste noch eine Trainingseinheit absolvieren. Und auch am Tag danach stand der 33-Jährige wieder mit der zweiten Mannschaft des HSV auf dem Trainingsplatz, während die Hamburger Profis nebenan noch ihren 2:0-Sieg bei Werder Bremen genossen.
„Es war ein schönes Derby“, sagt Ben-Hatira und erinnert sich an seinen ersten Derbysieg im Februar 2011, als er beim 4:0-Sieg gegen Werder im Volksparkstadion zum Endstand traf. Seine Sturmkonkurrenten damals: Ruud van Nistelrooy, Mladen Petric, Paolo Guerrero und Heung Min Son.
Änis Ben-Hatira hält sich beim HSV II fit
Zehn Jahre danach sitzt Ben-Hatira in einem knallbunten Puma-T-Shirt im Podcast-Studio des Abendblatts und versucht zu erklären, warum er mal wieder vereinslos ist und sich beim Regionalligisten HSV II fit hält. „Für mich ist es derzeit schwierig, was mit meiner Vergangenheit zu tun hat“, sagt Ben-Hatira, der am liebsten im Sommer zu Hertha BSC zurückgekehrt wäre.
„Es war ein Thema“, verrät der Flügelstürmer, der zuletzt bei AE Larisa in der griechischen Liga spielte. „Nach der Rückkehr von Kevin-Prince Boateng wäre beinahe die nächste Bombe geplatzt“, sagt Ben-Hatira, der mit Herthas Co-Trainer Andreas Neuendorf befreundet ist. „Ich hatte mich mit Pal Dardai getroffen und auch mit Fredi Bobic Kontakt. Es wäre eine krasse Geschichte geworden. Am Ende hat es leider nicht funktioniert.“
Ben-Hatira von Verfassungsschutz beobachtet
Wenn Ben-Hatira über gescheiterte Verhandlungen spricht, erwähnt er immer wieder seine Vergangenheit. „Diese Geschichte“, die es ihm so schwer mache, wieder in Deutschland zu spielen. In den vergangenen vier Jahren hat er bei fünf Vereinen in fünf Ländern gespielt: Türkei, Tunesien, Ungarn, Griechenland. Dazu ein kurzes Gastspiel beim Karlsruher SC. Ob er wieder einen Verein findet, ist unklar. Warum eigentlich?
Rückblick: In der Saison 2016/17 steht Ben-Hatira beim damaligen Bundesligisten Darmstadt 98 unter Vertrag. Schon seit längerer Zeit engagierte sich der Fußballer für soziale Projekte und spendete Geld an die muslimische Hilfsorganisation Ansaar International, als plötzlich bekannt wurde, dass der Verfassungsschutz die Organisation beobachtet und als extremistisch-salafistisch einstuft.
„Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen“
Der Verdacht: Die Vereinigung mit Sitz in Düsseldorf würde mit Spendengeldern terroristische Gruppen unterstützen, etwa in Syrien. Ben-Hatira und Darmstadt distanzieren sich schnell von jeglicher Form des Extremismus. Das war im Januar 2017. Mittlerweile hat Innenminister Horst Seehofer die Organisation verboten. Und wegen der Zusammenarbeit mit Ansaar auch die Änis Ben-Hatira Foundation. Ben-Hatira ist es ein Bedürfnis, über den Fall zu sprechen. Noch heute sagt er: „Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen.“
Kontakt mit der Organisation nahm Ben-Hatira vor einigen Jahren auf, als er noch bei Hertha spielte. Der gebürtige Berliner, der im damaligen Problemstadtteil Wedding aufwuchs, suchte einen neuen Empfänger seiner jährlichen Armensteuer, wie sie unter Muslimen üblich ist. „Mein Traum war es, ein Projekt im Gazastreifen zu unterstützen“, sagt Ben-Hatira. „Ich habe viele palästinensische Freunde, mit denen ich groß geworden bin.“ Er stieß auf Ansaar und nahm Kontakt auf. Dann ging es schnell.
Ben-Hatira finanzierte Brunnenbau in Ghana
Ben-Hatira unterstützte mit seiner Spende im Gazastreifen den Bau eines Klärwerks, das aus Salzwasser Trinkwasser filtert und Tausende Menschen beliefert. In Ghana finanzierte er einen Brunnenbau und ein Waisenhaus. So weit, so gut. Bis der Verfassungsschutz auf die Vereinigung aufmerksam wurde. Ben-Hatira distanzierte sich von den Vorwürfen, setzte die Zusammenarbeit aber fort. „Ich wollte meine Projekte nicht stoppen, das habe ich nicht eingesehen“, sagt er heute.
Noch im selben Winter flog er mit Ansaar nach Ghana, um sich selbst vor Ort ein Bild zu machen, was mit seinem Geld passiert. Ben-Hatira besuchte nicht nur die Waisenhäuser, sondern auch die Elektro-Müllhalde Agbogbloshie in der Hauptstadt Accra, auf der Kinder arbeiten mussten. „Was ich gesehen habe, war heftig. Kindersklaven mit Macheten. Davon träume ich heute noch. Diese Erlebnisse haben mich gebrandmarkt.“
Ben-Hatira beendete die Zusammenarbeit mit Ansaar
Doch der politische Wirbel um Ansaar International wurde nach seiner Rückkehr immer größer. Darmstadt und Ben-Hatira sahen sich gezwungen, den Vertrag aufzulösen. Seitdem kämpft der ehemalige Hamburger, der 2007 unter Huub Stevens sein Profidebüt beim HSV feierte, um seine Karriere. „Ich wusste, dass harte Zeiten auf mich zukommen. Aber dass es mir so um die Ohren fliegt, habe ich nicht gedacht. Viele Leute, Trainer und Manager, wollten nichts mehr mit mir zu tun haben.“ Auch der tunesische Fußball-Verband distanzierte sich. Ben-Hatira verpasste die WM 2018.
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Mittlerweile hat Ben-Hatira die Zusammenarbeit mit Ansaar beendet. Er bedauert, wie die Geschichte gelaufen ist. Bereuen tut er sie nicht. „Ich wusste, was ich getan habe. Ich kann in den Spiegel schauen, weil ich immer ehrlich war.“
Hrubesch holte Ben-Hatira zum HSV II
Seine Karriere, die so hoffnungsvoll begann, ging seit dieser Geschichte steil bergab. Nach seinem Aus in Darmstadt erlebte er eine Odyssee durch Europa – und bei Gaziantepspor in der Türkei eine Tragödie. Sein Zimmerpartner, der tschechische Nationalspieler Frantisek Rajtoral, nahm sich das Leben. Im Alter von 31 Jahren. „Das hat mich extrem mitgenommen“, sagt Ben-Hatira.
Nach einem Gastspiel in Griechenland ist er nun wieder zurück in Hamburg. Weil er keinen Verein mehr fand, rief er seinen früheren Trainer Horst Hrubesch an. Unter ihm wurde Ben-Hatira 2009 Europameister mit der deutschen U 21. Hrubesch, heute Nachwuchsdirektor beim HSV, bot Ben-Hatira an, beim HSV II zu trainieren. „Dafür bin ich ihm sehr dankbar. Für Horst Hrubesch würde ich durchs Feuer gehen.“
Ben-Hatira wünscht sich Rückkehr zum HSV
Ben-Hatira hofft, dass sich in Hamburg möglicherweise noch einmal eine Tür öffnet, die er selbst 2011 geschlossen hatte. Noch sieht er sich in der Lage, in der Zweiten Liga eine gute Rolle zu spielen. Aber: „Die Zeit läuft mir davon“, sagt er. Sollte der HSV ihn noch einmal brauchen, wäre er sofort dabei. „Es wäre ein Traum, dahin zurückzukehren, wo alles angefangen hat“, sagt Ben-Hatira. „Dafür würde ich alles geben.“
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