Mit einer Rekordlaufleistung und ganz viel Dusel hat der HSV erstmals nach knapp zwei Jahren wieder zwei Spiele in Folge gewonnen

Hamburg. Der durchaus unterhaltsame Fußballabend im Volkspark war schon eine ganze Weile vorüber, als Rafael van der Vaart am späten Sonnabend durch die Katakomben des Stadions schlurfte. Mit der einen Hand den Rollkoffer hinter sich herziehend, mit der anderen Hand die noch verbliebenen Medienvertreter fröhlich grüßend. „Mann, die haben wir aber ganz schön an die Wand gespielt“, rief der Niederländer den Reportern mit einem breiten Grinsen zu und verabschiedete sich.

2:1 hatte der HSV anderthalb Stunden zuvor Hannover 96 besiegt. Es war das erste Mal seit knapp zwei Jahren, dass die Hamburger wieder mal zwei Spiele in Folge gewinnen konnten. Nur wie dieser erlösende Erfolg zustande gekommen war, konnte auch weit nach dem Schlusspfiff niemand ganz im Ernst erklären. „Diesmal hatten wir einfach riesiges Glück. Spielerisch war uns Hannover in allen Bereichen überlegen“, gab HSV-Trainer Joe Zinnbauer ehrlich zu – und schaute zur Bestätigung noch einmal auf den vor ihm liegenden Statistikzettel: 6:21 Torschüsse, 36:64 Prozent Ballbesitz, 46:54 Prozent Zweikampfquote und 3:10 Ecken waren dort vermerkt. Nur in einer Kategorie hatte sich der HSV durchsetzen können, doch diese war entscheidend. Tore: 2:1. „Wir brauchen uns für diesen Sieg nicht zu entschuldigen. Aber natürlich hat man gesehen, wie ungerecht der Fußball sein kann“, sagte Zinnbauer.

Das Drehbuch dieses 20. Spieltags wirkte im Nachhinein fast schon zu skurril, um wirklich wahr zu sein. So ebneten ein gehaltener Elfmeter (Drobny gegen Joselu/23.), ein Eigentor (Marcelo zum Ersten/26.) und ein halbes Eigentor (Marcelo zum Zweiten/50.) den Weg zum Heimsieg. In der ersten Halbzeit vollbrachten die Hamburger sogar das Kunststück, ohne einen einzigen Torschuss in Führung gegangen zu sein. Hannovers Marcelo hatte eine misslungene Flanke Zoltan Stiebers mit dem rechten Knie ins eigene Netz befördert. „Es war kein Zuckerschlecken, aber so spielt man eben im Abstiegskampf“, sagte Zinnbauer, der keinen Hehl daraus machte, dass ihm eigentlich eine andere Spielart vorschwebt: „Das ist nicht meine Vorstellung von Fußball.“

Dabei schien der gebotene Fußball beim Publikum durchaus anzukommen. Die 51.779 Zuschauer waren mit der gezeigten Leistung jedenfalls zufrieden, feuerten die kämpfenden Profis so lautstark wie schon lange nicht mehr an (das Abendblatt berichtete). „Wir sind momentan nicht in der Phase, in der Fußball gespielt wird“, sagte Heiko Westermann. Beim HSV wird Fußball gearbeitet – und das kommt an.

Mit 129 gelaufenen Kilometern stellte der HSV einen Teamsaisonrekord auf, und auch Stiebers 13,94 Kilometer waren eine Saisonbestleistung. „Das Glück ist eben mit den Tüchtigen“, sagte Westermann, „wir laufen in jedem Spiel mehr als 123 Kilometer im Schnitt. Irgendwann muss man für diesen Einsatz auch mal belohnt werden.“

Irgendwann war am Sonnabend.

Tatsächlich war der HSV die schlechtere Mannschaft, unverdient war der schmeichelhafte Sieg aber nicht. So wussten die Hamburger besonders defensiv zu gefallen. Mit Slobodan Rajkovic und Johan Djourou brillierten erneut die beiden Innenverteidiger, und auch Neuzugang Marcelo Díaz als Abfangjäger vor der Abwehr machte seine Sache sehr ordentlich (siehe unten). „Keiner erwartet momentan Wunderdinge von uns. Wir leben den Abstiegskampf, und nur das zählt“, lobte Marcell Jansen, dessen abgefälschter Schuss – Hamburgs erster Torschuss überhaupt im Spiel – für die 2:0-Vorentscheidung gesorgt hatte.

Dass der so wichtige Sieg nach dem Anschlusstreffer (66.) durch den eingewechselten Sobiech noch mal in Gefahr geriet, war nach der Partie kein Thema mehr. Viel mehr überwog die Freude, sich mit dem zweiten Erfolg in Folge erstmals in dieser Saison ein wenig aus der Abstiegszone abgesetzt zu haben. „Diese Mannschaft ist nicht abzuschreiben. In diesem Team steckt so viel Wille und Charakter“, wurde Sportchef Peter Knäbel am Tag nach dem Sieg fast schon ein wenig pathetisch.

Die Freude ist allerdings verständlich – besonders beim Blick auf die Tabelle. „Mittlerweile ist es ja eine dreigeteilte Meisterschaft“, sagt Knäbel. „Die Bayern spielen den Titel mit sich selbst aus. Dann folgen bis Platz sechs die Europakandidaten. Und von Platz sieben bis 18 kommt der große Rest.“ Dabei sind es gerade mal acht Punkte, die diesen „großen Rest“ zwischen Schlusslicht Stuttgart und dem Siebten Hoffenheim trennen. „Wir sind aber noch lange nicht da angekommen, wo wir hinwollen“, warnt Knäbel vor voreiliger Euphorie, „wir sitzen immer noch im Zug und sind noch lange unterwegs.“

Das nächste Ziel heißt München. Dort wartet dann der nächste Gegner, der an die Wand gespielt werden soll.