Das HSV-Kollektiv überzeugt beim 1:0 in Dortmund mit Leidenschaft und Disziplin

Dortmund/Hamburg. Eigentlich hätte sich Uli Stein, am Sonntag Studiogast beim „Doppelpass“ von Sport1, wie ein Verlierer fühlen müssen. Tat er aber nicht. Stattdessen konnte sich der 59-jährige frühere Ausnahmetorwart ein Grinsen nicht verkneifen. „Wenn er so auf Kritik reagiert, haben wir doch erreicht, was wir wollen.“

Es ging – natürlich – um den Matchwinner vom Sonnabend, Pierre-Michel Lasogga. Was für eine Pointe nach den Attacken im Vorfeld des HSV-Spiels bei Borussia Dortmund. Früher hätte sich Lasogga nur zum Ballnetzträger geeignet, hatte Stein gelästert. Der HSV-Stürmer konterte darauf nicht nur auf dem Rasen, indem er seine 560-minütige Torflaute beendete und für den 1:0-Erfolg beim BVB sorgte. Bei Sky schickte er Stein gleich noch in die Bedeutungslosigkeit: „Ich kenne diese Person gar nicht. Dass Leute meinen Namen in den Mund nehmen, um sich in der Öffentlichkeit wichtig zu machen, interessiert mich nicht. Was er sagt, juckt mich gar nicht.“

Gegenüber dem Abendblatt präzisierte Lasogga später: „Ich persönlich konnte immer in den Spiegel schauen, wenn ich vom Platz gekommen bin, weil ich immer meine Leistung gebracht habe. Ich wusste ja, dass ich das Torschießen nicht verlernt habe. Dieses Mal wurde ich für die Arbeit belohnt, genau wie die ganze Mannschaft. “

Ganz klar: Da es ausgerechnet der Torjäger war, der den ersten Saisonsieg des HSV ermöglichte und zugleich den Auswärtsfluch beendete – zuletzt hatte der Club am 27. Oktober 2013 3:0 in Freiburg gewonnen –, eignete er sich perfekt zur Heldenstory des wiederauferstandenen Stürmers. Den Auftritt der Hamburger im Signal-Iduna-Park nun aber zu einem „Lasogga-erlöst-den-HSV“-Spiel zu küren wäre eine falsche Gewichtung der Ereignisse.

Vielmehr profitierte der Angreifer vom immer besser funktionierenden Teamwork – wie beim Siegtreffer. Dass es Valon Behrami war, der BVB-Angreifer Ramos so nervte, dass dieser einen Fehlpass fabrizierte, war kein Zufall. Mit dem von Trainer Joe Zinnbauer angeordneten frühen, aggressiven Attackieren hielt die HSV-Defensive den Ball nicht nur eine gute Stunde von Jaroslav Drobnys Tor fern. Es ergaben sich auch etliche Gelegenheiten für gezielte Nadelstiche, wie eben in der 35. Minute, als Marcell Jansen den Ramos-Querschläger auf Nicolai Müller weiterleitete, dem wiederum mit seinem Tempo-Dribbling vor dem Pass auf Lasogga der größte Anteil am 1:0 gebührte.

Wer später von einem glücklichen Sieg des HSV sprach, weil es den Dortmundern in den letzten 20 Minuten doch noch gelungen war, sich einige Torchancen herauszuspielen, lag auch falsch, weil die Gäste mit Kontern stets gefährlich blieben. Gierige Zweikampfführung, hohe Laufbereitschaft, diszipliniertes taktisches Verhalten. So lautete die Erfolgsformel beim HSV.

Weniger Euphorie als vielmehr Erleichterung machte sich nach dem Abpfiff breit. „Man hat schon in den letzten drei Spielen gesehen, dass wir auf dem Weg der Besserung sind“, formulierte Lasogga vorsichtig, genau wie Marcell Jansen: „Es bleibt ein langer Prozess. Du kannst die letzten Jahre nicht einfach so abschütteln.“ Auch Tolgay Arslan betonte: „Wir haben noch nichts erreicht. Ich weiß gar nicht, wann wir zuletzt zweimal in Folge gewonnen haben.“ Ihm kann geholfen werden: Es gelang im April 2013 (jeweils 2:1 gegen Mainz und Düsseldorf).

Die neue Bescheidenheit – auch nach solch einem Triumph – passt zur Mentalität, die die Mannschaft unter Zinnbauer an den Tag legt: Sie ist bereit, sich für den Erfolg zu quälen und folgt den Anweisungen ihres Trainers. „Jeder kennt seine Aufgaben, wir machen viel Taktiktraining“, sagte Arslan und frotzelte: „Das ist manchmal ein bisschen langweilig, der Trainer redet ein bisschen zu viel. Aber im Ernst: Wir brauchen einfach auch viele Informationen. In vielleicht noch fünf, sechs Wochen wissen wir komplett, was der Trainer will. Dann wird unser Spiel sicher noch besser funktionieren.“ Die wichtigste Erkenntnis lautete deshalb, dass der HSV nicht nur drei Punkte gewonnen hat, sondern vor allem Zeit, um endlich in Ruhe arbeiten zu können. Nach einer hohen Niederlage wären wohl automatisch Diskussionen aufgeflackert, ob Zinnbauer doch nur ein Übergangstrainer sei.

Dass dieser seinen ersten Bundesliga-Sieg als Trainer gegen den BVB feiern konnte, ist, rein statistisch betrachtet, allerdings keine Überraschung. Schließlich war Zinnbauer der fünfte HSV-Coach nach Thomas Doll, Huub Stevens, Bruno Labbadia und Mirko Slomka in den vergangenen zehn Jahren, der seinen ersten Sieg beim HSV gegen Dortmund feiern dürfte. BVB-Coach Jürgen Klopp hingegen musste die sechste Niederlage gegen den HSV hinnehmen – eine schlechtere Bilanz hat er gegen keinen anderen Club.

Spannend wird nun sein, ob und wie Zinnbauer sein Team gegen Hoffenheim (19.10.) umbaut, schließlich steht wieder Rafael van der Vaart zur Verfügung. Lewis Holtby hat sich in den vergangenen Spielen stets gesteigert und sich seinen Stammplatz verdient. Auch das Duo Behrami/Arslan harmoniert immer besser. Dass Zinnbauer seinen Kapitän zum Bankdrücker degradiert, gilt als ausgeschlossen. Eine mögliche Variante wäre es, Holtby etwas defensiver neben Behrami agieren zu lassen.

Fest steht nur, dass Lasogga seinen Platz im Sturm sicher hat. Und hier kommt wieder Stein ins Spiel. „Ich bleibe dabei, dass er sich nicht für ein Kurzpassspiel eignet. Man muss ihn, wie früher Horst Hrubesch, permanent mit Flanken füttern.“ Da diese auch in Dortmund selten kamen, wollte sich der Kritiker Gedanken über Motivationsmaßnahmen machen: „Mal schauen, was mir einfällt.“ Sollte dann tatsächlich ein Sieg gelingen, könnte man wirklich von einem Befreiungsschlag sprechen, der in Dortmund vorbereitet wurde.