Dauerpatient Marcell Jansen soll den HSV retten – und dann zur WM

Hamburg. Ego de Chevalier schaute am frühen Dienstag schon ganz genau beim Vormittagstraining des HSV hin, bevor es ihm dann doch zu langweilig wurde. Obwohl sein Herrchen eine knappe Stunde von rechts nach links lief, den Ball annahm und auch den einen oder anderen Torschuss wagte, ließ der drei Jahre alte Rottweiler, der sogar eine eigene Facebook-Seite mit knapp 1800 Followern hat, kurz vor Ende der Einheit einfach mal alle Viere gerade lassen. So schaute nur noch Frauchen Jacqueline zu, wie Marcell Jansen nach 55 Minuten das Training ein wenig früher als die anderen abbrach und auf dem Weg in die Kabine von Autogrammjägern umlagert wurde. „Es tut gut, wieder zurück zu sein“, sagte der seit knapp sieben Wochen verletzte Nationalspieler, der sich beim Test Deutschlands gegen Chile in Stuttgart im März zwei Bänder im Sprunggelenk und die Kapsel gerissen hatte.

48 Tage ist die verhängnisvolle Szene nun her, als Chiles Mauricio Isla den Hamburger überhart attackierte – und so sogar aus den unverbesserlichen Optimisten Jansen einen Pessimisten machte. „In diesem Moment war die Saison im Prinzip abgehakt“, sagt der 28 Jahre alte Fußballer, der sich auch keine ernsthafte Hoffnungen mehr auf die WM in Brasilien machen konnte.

Doch Jansen wäre nicht Jansen, wenn die rheinische Frohnatur nach dem ersten Schock nicht den Kampf mit seinem eigenen Körper angenommen hätte. Der gebürtige Gladbacher, auf dessen iPod vor allem Gute-Laune-Musik aus dem Karneval gespeichert ist, wurde noch in der gleichen Woche in Tübingen von Prof. Ulrich Stöckle am rechten Sprunggelenk operiert. Und sobald es sein Fuß zuließ, arbeitete Jansen mit Rehatrainer Markus Günther und Athletiktrainer Nikola Vidovic in Hamburg am Comeback – ohne zu ahnen, dass es tatsächlich die Hoffnung auf ein zeitnahes Comeback noch in dieser Saison geben würde. „Ich musste den Kopf ausschalten und alles probieren“, so Jansen, der über sich selbst sagt, dass bei ihm das Glas Wasser immer eher zur Hälfte voll als zur Hälfte leer ist.

Fast sieben Wochen später hat man das Gefühl, dass das von Jansen bemühte Glas fast überschwappt. Der Linksverteidiger, von 25 Medienvertretern umrundet, steht im Stadion, lächelt und gibt Auskunft über seinen Gesundheitszustand. Hoffnungsträger stehen in Hamburg in diesen Tagen hoch im Kurs – und da kommt die Nachricht vom frühzeitigen Comeback Jansens gerade recht. „Wir sind unserem Zeitplan um zehn Tage voraus“, sagt der Rückkehrer, der eigentlich in dieser Woche erst mit dem Lauftraining beginnen sollte. Ob er denn schon 90 Minuten beim Abstiegsendspiel gegen Augsburg mitmachen könne? „Ich werde nichts Unüberlegtes machen“, antwortet Jansen: „Aber natürlich ist Augsburg mein Ziel.“

Optimist Jansen, davon kann man ausgehen, wird bei der Abfahrt gen Süden am Freitag dabei sein. „Ich finde es gut, dass wir schon einen Tag früher nach Augsburg reisen. Der Druck wird brutal hoch sein“, sagt der Hundenarr, der sich schon zwei Tage vor dem Auswärtsspiel von Ego de Chevalier und Freundin Jacqueline verabschieden muss. Im Dorint-Hotel will die Mannschaft am Freitagabend Stuttgarts Auftritt in Hannover und am Sonnabend die Spiele von Nürnberg und Braunschweig gemeinsam im TV anschauen. „Viel spielt sich in dieser Saisonphase nur noch in den Köpfen der Spieler ab“, sagt der dienstälteste Hamburger, der seit 2008 beim HSV ist, „aber wir dürfen uns nicht darauf verlassen, dass die anderen immer verlieren.“

Jansen weiß, wovon er spricht. Vor zwei Jahren war er mit dem HSV in einer ähnlichen Situation. „Damals standen wir auf einem Relegationsplatz und mussten zum Tabellenletzten nach Lautern. Jeder wusste, dass wir absteigen, wenn wir dieses Spiel nicht gewinnen,“, erinnert sich Jansen, der damals das entscheidende Tor des Tages zum 1:0-Sieg erzielte.

Tatsächlich ist Jansen nach dem Saisonaus von Pierre-Michel Lasogga auch diesmal so etwas wie Hamburgs allerletzter Hoffnungsträger – zumal nun auch noch Johan Djourou mit einem Muskelfaserriss ausfällt. Und Jansen ist sich seiner besonderen Aufgabe bewusst. „Vieles ist hier in den vergangenen Jahren nicht so gut gelaufen, aber wir brauchen jetzt nicht unter jeden Stein zu schauen“, sagt der Führungsspieler, der zu diesem Zeitpunkt nicht über seine Zukunft sprechen möchte. Zur Erinnerung: Sein Vertrag läuft noch bis Sommer 2015, aber bereits in diesem Jahr könnte Jansen für die festgeschriebene Ablöse von fünf Millionen Euro wechseln. Und Interessenten gibt es auch nach seiner Pause mehr als genug.

Das dürfte sich auch nicht ändern, wenn Jansen Ego de Chevalier gleich für zwei Monate in diesem Sommer alleine lässt. Denn nachdem die WM nach der Verletzung schon abgehakt schien, will Jansen nun doch unbedingt mit nach Brasilien. Mit Nationaltrainer Joachim Löw habe er auch während seiner Pause regelmäßig Kontakt gehabt.

Zu viel wolle Jansen aber gar nicht über die WM reden, der HSV gehe momentan vor. Und drei Spiele wolle er vor der WM schon machen. Jansen überlegt kurz, denkt offenbar an die Relegation und verbessert sich: „Oder eben fünf.“