HSV-Trainer Slomka vor dem Hannover-Spiel über Pädagogik, Psychologie und Babos

Hamburg. In der Hamburger-Weg-Loge war Mirko Slomka noch nie. „Da habt ihr euch ja gleich den schönsten Fleck des Stadions für unser Interview ausgesucht“, sagt der Trainer, der auch 51 Tage nach seinem Dienstantritt noch Neues beim HSV entdecken kann.

Hamburger Abendblatt: Herr Slomka, wie war Ihre Gefühlswelt am Sonntagabend? Waren Sie glücklich über Hannovers heftiges 0:3 in Braunschweig, oder haben Sie als früherer 96er mit Ihrem ehemaligen Team gelitten?
Mirko Slomka: Wenn ich ehrlich bin, habe ich mich weder gefreut noch geärgert. Natürlich ist 96 ein ganz besonderer Verein für mich, das ist doch klar. Aber da wir nun am Sonnabend gegen Hannover spielen, habe ich das Spiel nur durch die Brille des HSV-Trainers gesehen. Mein Co-Trainer war im Stadion, und ich habe das Spiel Zuhause im TV verfolgt. Und wir haben dann telefoniert, wenn uns Dinge aufgefallen sind, die uns für die Partie helfen könnten. Für mich war es aber extrem überraschend, dass Hannover überhaupt wieder da unten reingerutscht ist.

Im Dezember wurden Sie in Hannover entlassen, um das Ziel Europa nicht zu gefährden. Nun können Sie Ihren Ex-Club mit dem HSV tief in den Tabellenkeller stürzen. Ganz ehrlich: Empfinden Sie auch ein bisschen Genugtuung?
Slomka: Ganz so war das nicht. Die Begründung für meine Entlassung war, dass Hannover eine ruhige Rückrunde spielen wollte. Man wollte nichts mit dem Abstiegskampf zu tun haben ...

... von einer ruhigen Rückrunde ist Hannover weit entfernt.
Slomka: Das ist richtig. Aber Genugtuung ist fehl am Platz. Ich habe einen Großteil meines Arbeitslebens bei Hannover 96 verbracht, war lange im Nachwuchs, als Co-Trainer und schließlich als Cheftrainer tätig.

Wie lange hat es gedauert, Ihre emotionale Bindung mit Hannover zu kappen?
Slomka: Natürlich richtet sich mein zweiter Blick immer auf das Ergebnis von Hannover. Es wäre Unsinn, wenn ich leugnen würde, dass mich die Entwicklung von 96 nicht interessiert. Und ich hoffe auch, dass Hannover und wir die Klasse halten. Aber das ändert nichts daran, dass ich mit dem HSV am Sonnabend dort gewinnen will.

Beim 0:3 gegen Braunschweig wirkten Hannovers Profis ähnlich von der Rolle wie die Hamburger vor Ihrer Verpflichtung. Wie haben Sie die HSV-Profis so schnell wieder in die Spur bekommen?
Slomka: Ich hatte das Gefühl, dass die Mannschaft eine positive Ansprache brauchte. Sie stand in den vorangegangenen Wochen extrem in der Kritik, da musste man Aufbauarbeit leisten. Ganz wichtig ist aber, dass die Spieler vom ersten Moment verstehen, was der neue Trainer will. Wenn dann das, was der Trainer ändert, auch umgehend zum Erfolg führt, schafft man Glaubwürdigkeit. Der 3:0-Sieg gegen Dortmund bei meinem Einstieg hat uns sehr geholfen.

Sie sind im wahrsten Sinne des Wortes Fußballlehrer, haben Mathematik und Sport auf Lehramt studiert. Inwiefern ist der Trainerjob mit dem Beruf eines Lehrers vergleichbar?
Slomka: Psychologisches Halbwissen kann hilfreich sein (lacht). Aber Spaß beiseite, es geht in beiden Berufen darum, Selbstvertrauen und einen eigenen Willen zu fördern. Ansonsten muss man die jüngeren Spieler ähnlich auf einen guten Weg bringen, wie man es als Lehrer mit seinen Schülern macht, aber im Großen und Ganzen sind die meisten Profis ja gestandene Erwachsene.

Ist der Unterschied zwischen der jüngeren und der älteren Generation in Ihrer Mannschaft gravierend?
Slomka: Die Mischung ist spannend. Weil die Unterschiede erheblich sind, muss man stets eine eigene Ansprache finden. Ich muss mich anders mit einem Jungprofi unterhalten, der sich vielleicht über seinen ersten Luxuswagen definiert, als mit einem 30 Jahre alten Familienvater, den das Lob seiner Kinder nach dem Spiel am wichtigsten ist. Dabei dürfen Sie eines nicht vergessen: Meine öffentlichen Aussagen haben oft einen ganz anderen Tonfall als meine internen Ansagen. Ich kann einem jungen Spieler in der Videoanalyse seine Fehler aufzeigen, würde das so aber niemals vor Kameras tun. Ich habe auch das Gefühl, dass gerade die jüngeren Spieler alles aufsaugen, was man ihnen als Trainer auf dem Weg gibt. Wobei ich auch aufpassen muss, dass ich mir in all den Einzelgesprächen, die ich mit den Jungs so führe, nie widerspreche. Die Spieler merken sich jedes Wort.

Sind diese persönlichen Gespräche der Schlüssel zum Erfolg für Sie?
Slomka: Längere Einzelgespräche sind eminent wichtig. Ich muss als Trainer verstehen lernen, wie die Jungs ticken, was sie bewegt. Bei Jacques Zoua ist gerade seine Frau nach Hamburg gezogen. Das ist wichtig für ihn – und das kann wichtig für die Mannschaft sein. Auch mit Jonathan Tah war ich vergangene Woche länger im Wald laufen, habe mich intensiv mit ihm ausgetauscht.

Und was bespricht man dann so?
Slomka: Ich habe ihn gefragt, wie das mit der Veröffentlichung seines Vertrages in seiner Schule angekommen ist. Er ist gerade aus dem Internat in seine erste eigene Wohnung gezogen. Da will ich ganz profane Dinge wissen, wie er sich jetzt ernährt, ob er kocht oder nur essen geht. Ich will niemanden kontrollieren, will nicht wissen, wer wann auf der Piste war oder Ähnliches. Wenn sich aber ein Spieler zurückzieht, dann frage ich schon nach, ob es ihm gut geht, ob es seiner Frau und seinen Kindern gut geht. Ich bemühe mich, empathisch zu sein. Nur wenn man als Trainer menschlich ist, kann man Dinge erfahren, die einen Spieler beschäftigen. Immer gelingt das nicht. Ich spreche auch mal mit Psychologen, hole mir Ratschläge. Aber als Trainer darf man durch zu viel Nähe zu den Spielern auch nicht die nötige Distanz verlieren.

Wann ist die Grenze überschritten?
Slomka: Ich würde nie mit meinen Spielern nach dem fünften Sieg in Folge in dieselbe Bar auf ein Bier gehen. Das ist ein absolutes No-Go. Aber ich erlaube mir schon, einem Nachwuchsspieler zu sagen, dass er sich vielleicht nicht nach seinem ersten Bundesligaspiel gleich einen Luxuswagen zulegen sollte.

Ihre Tochter Lilith ist mit 16 Jahren zwei Jahre jünger als Tah. Hilft sie Ihnen, die Welt der Jungprofis zu verstehen?
Slomka: Ich weiß nicht ganz genau, ob eine pubertierende 16-Jährge in der gleichen Welt wie beispielsweise Jonathan Tah lebt, aber sie hält mich definitiv jung. Und natürlich lerne ich von ihr genauso, wie ich auch von unseren jungen Spielern lernen kann.

Machen wir einen kleinen Test: Der 20 Jahre alte Hakan Calhanoglu benutzt häufiger das Wort Babo. Wissen Sie überhaupt, was das bedeutet?
Slomka: Da muss ich leider passen.

Babo ist das Jugendwort des Jahres 2013 und bedeutet Anführer, Chef, Boss. Wer ist denn der Babo des HSV?
Slomka: René Adler natürlich, auch Heiko Westermann. Er zeigt jeden Tag im Training, in der Arena und in der Kabine, dass er ein gestandener Profi ist. Man kann sich auf ihn verlassen, auch wenn ihm mal der Ball wegspringt, oder er sich einen Schnitzer erlaubt. Er ist ein echter Typ, von mir aus ein Babo.

Und wer ist der Babo im Hause Slomka?
Slomka: Zuhause brauchen wir keinen. Vielleicht ist auch mein neunjähriger Sohn Luk unser Babo, der hält unseren Laden jedenfalls ganz schön auf Trab.