Der HSV-Kapitän versteht die Enttäuschung der Fans, geißelt aber die Übergriffe nach der Niederlage gegen Hertha. Polizei setzte Tränengas ein.

Hamburg. Als die sechste Niederlage des HSV in Folge – Bundesliga-Negativrekord für Hamburg – besiegelt war, trotteten die meisten Anhänger frustriert nach Hause. Rund 200 Fans jedoch hatten akuten Gesprächsbedarf und fanden sich vor der Haupttribüne ein, wo die Profis in der Regel nach den Spielen die Imtech-Arena verlassen, um mit ihren Autos nach Hause zu fahren. Aber es sollte nicht nur bei Diskussionen bleiben. Das Protokoll einer Nacht des Schreckens und der Angst.

Ganz bewusst hatte die Stadionorganisation nach dem Abpfiff entschieden, die Tore zur Osttribüne nicht zu verriegeln, um einen Austausch zu ermöglichen. In der Kabine forderte Vorstand Oliver Scheel die Mannschaft auf: „Ihr müsst euch den Leuten stellen.“ Als Erste wagten sich kurz vor 21 Uhr Clubchef Carl Jarchow sowie die Führungsspieler René Adler, Heiko Westermann und Marcell Jansen vor die aufgebrachte Menge. „Jarchow raus, Vorstand raus!“ „Scheiß Millionäre!“ „Wir sind Hamburger und ihr nicht!“ – Spieler und Funktionäre mussten sich teilweise derbe Sprechchöre anhören. Doch die Anhänger forderten mehr. Als nächste Gruppe stellten sich Milan Badelj, Ivo Ilicevic, Johan Djourou, Tomás Rincón, Ola John und Jacques Zoua.

Wer zu diesem Zeitpunkt fehlte, war Rafael van der Vaart. Der von der Menge ebenfalls geforderte Niederländer weilte zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in der Kabine, musste aus dem VIP-Raum zurückgeholt werden, wo er sich mit Freundin Sabia und seinen Eltern aufhielt. Als sich der HSV-Kapitän schließlich um 21.20 Uhr bei den Fans einfand, wurde er teilweise übel beleidigt, woraufhin sich auch van der Vaart verbal heftig wehrte und sogar von einem Teil der insgesamt 200 Ordner zurückgehalten werden musste. Einige Eier und Bierbecher flogen durch die Luft.

Angreifer Jacques Zoua erlitt einen Schock, brach in Tränen aus

Auch andere Spieler wie John und Zoua wurden bepöbelt. Letzterer, offenbar mit dieser aufgeheizten Situation völlig überfordert, erlitt einen Schock und brach in Tränen aus. Gerüchte, dass er von einem Gegenstand am Kopf getroffen wurde, bestritt der Spieler am Sonntag jedoch. „Die Lage drohte zu kippen, aber sie kippte nicht“, beschrieb Scheel diese Phase. „Es gab einen emotional geführten, aber noch vertretbaren Austausch zwischen Spielern und Fans.“ Was auch auf den Disput zwischen den Anhängern und van der Vaart zutrifft. Nach einer kurzen Pause diskutierten beide Partien wieder sachlicher und gingen schließlich mit „Shakehands“ auseinander.

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Kritischer stellte sich die Situation beim Parkplatz der Spieler einige Meter weiter dar. Als Tolgay Arslan als einer der ersten Spieler das Gelände verlassen wollte, wurde er von mehreren Fans aufgehalten, die auf seine Motorhaube trommelten und gegen die Türen traten. Erst als Arslan ausstieg und sich stellte, beruhigte sich die Szenerie kurfristig. Wenig später aber, als Ola John in seinem Wagen auftauchte, drohte eine Eskalation der Gewalt. Die Polizei, die den Wagen des HSV-Profis schützen musste, drängte die Fans ab zu einem zuvor niedergerissenen Zaun.

Es kam zu Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Ordnern auf der einen und Fans auf der anderen Seite. Pfefferspray und Schlagstöcke kamen zum Einsatz. 100 Personen sollen den Ordnungsdienst angegriffen und Glasflaschen geworfen haben, zwei Fans wurden vorläufig festgenommen. Auch unter rivalisierenden Fangruppen kam es zu Handgreiflichkeiten und Schubsereien.

„Die Mehrheit der Fans wollte Erklärungen von Fans und Verantwortlichen. Leider gab es vier, fünf Personen, die über die Grenze hinausgeschossen sind“, sagte Stadionchef Kurt Krägel. „Das Hauptproblem waren nicht die Übergriffe auf Spieler, sondern die Attacken untereinander.“ Dabei soll ein Fan am Kopf verletzt worden sein. Gegen Mitternacht kam es am Bahnhof Stellingen auch noch zu einer Messerstecherei. Am Stadion löste sich die Belagerung nach einer Stunde auf. Um 22 Uhr war der Weg wieder frei, und der Bus mit den Hertha-Profis konnte seinen Heimweg nach Berlin antreten. Die restlichen HSV-Spieler wählten dagegen eine alternative Abreise mit dem Pkw, hinter der Südtribüne entlang.

Van der Vaart glaubt, dass nun gerade die jungen Spieler Angst haben

„Natürlich kann ich verstehen, dass die Fans enttäuscht sind“, sagte van der Vaart am Sonntag. „Was die Mannschaft und ich nicht okay finden, ist, dass Spieler angegriffen werden, das passt nicht zu einem schönen Verein wie dem HSV. Mit den Fans kann man eigentlich gut reden, das haben wir ja auch am Stadion gemacht. Aber leider waren auch einige andere dabei. Wir haben viele junge Spieler, denen solche Vorkommnisse in die Knochen gehen, die Angst haben.“

Die Vereinsführung will nun die polizeilichen Ermittlungen abwarten. Sollten gewalttätige Fans identifiziert werden, könnten Stadionverbote verhängt werden. „Das war eine andere Dimension, die es in dieser Form lange nicht gab. Was da passiert ist, geht zu weit“, sagte Scheel. „Der Versuch, Autos von Spielern zu beschädigen, ist nicht hinnehmbar.“ Und weiter: „Wir müssen alles daransetzen, wieder eine Geschlossenheit zu bekommen.“