Als Stiftungsvorstand der Franz Beckenbauer Stiftung engagiert sich der frühere HSV-Mannschaftsarzt Dr. Friedrich Nottbohm für Hilfsbedürftige. Er selbst lebt mit einem Kunstherz.

Hamburg. Der 24. April 1982 im Münchner Olympiastadion ging in die HSV-Geschichte ein. 1:3 lagen die Hamburger beim FC Bayern im „Endspiel“ um die deutsche Meisterschaft zurück, alles schien verloren. Doch nach dem Anschlusstreffer durch Thomas von Heesen (70. Minute) drehte Horst Hrubesch die Partie mit seinen beiden Toren (76., 90.) noch. 4:3! Welch eine Dramatik, welch ein sensationeller Erfolg. Der Weg zum Titel war frei.

Am Tag danach klingelte es bei Dr. Friedrich Nottbohm in Volksdorf. Der lange Mittelstürmer des HSV stand mit einem riesigen Blumenstrauß vor der Tür, sagte nur: „Dieser Sieg gehört dir.“ Monatelang hatte sich Hrubesch mit Leisten- und Schambeinbeschwerden gequält, eine Operation drohte. Bis Nottbohm ihn mit zwei chinesischen Heilverfahren erfolgreich behandelte: Mit Fitness-Akupunktur, bei der Edelstahlnadeln in die Brust und den Körper des Fußballers gestochen wurden, und dem sogenannten Moxen: Das Kraut eines Korbblütlers wurde zu einer Zigarre gerollt und angezündet, der Rauch mit einer Pfeife auf die betroffenen Stellen des Körpers geleitet.

Bis ins letzte Detail sind diese Erinnerungen noch bei Nottbohm, 69, präsent. Wir sitzen in einer Ecke seines Wohnzimmers in Poppenbüttel, wo er heute lebt. Zum Gespräch gibt es Kaffee, frisch geschnittenes Obst. Hinter seinem Sessel hängt ein Gemälde von Franz Beckenbauer – was alles andere als ein Zufall ist. Hier, in diesem Einfamilienhaus des gebürtigen Hamburgers, ist der Sitz der Franz-Beckenbauer-Stiftung.

Vor fast 30 Jahren, Nottbohm war leitender Arzt in der Paracelsus-Klinik in Henstedt-Ulzburg, lernte er über seinen Kollegen und Freund Uli Mann, der seit Jahren für den HSV arbeitete, nach und nach die Spieler kennen und wurde schließlich selbst Mannschaftsarzt. Beckenbauer, der nach seiner Zeit bei Cosmos New York Anpassungsprobleme in der Bundesliga hatte, war sein erster Patient von den HSV-Profis, und über die vielen regelmäßigen Treffen entwickelte sich ein Vertrauensverhältnis, eine tiefe Freundschaft.

So ergab es sich, dass Nottbohm dem Fußballer Beckenbauer durch die Heilung Hrubeschs indirekt nicht nur zu seiner letzten deutschen Meisterschaft verhalf. Als Beckenbauer überlegte, den Erlös von damals 800.000 Mark für sein Abschiedsspiel im Juni 1982 im Volksparkstadion Unicef zu spenden, widersprach Nottbohm: Franz, das geht nicht! Deine aktive Zeit geht zu Ende, aber die zweite Karriere wird noch viel, viel größer. „Und so ist es ja am Ende auch gekommen“, lächelt Nottbohm. Beckenbauer hörte auf seinen Freund, gründete seine eigene Stiftung und berief neben einigen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens auch Nottbohm in den Stiftungsrat. Heute sagt Beckenbauer stets: „Die Stiftung zu gründen, war die beste Entscheidung meines Lebens.“

Wir unterbrechen das Gespräch, damit der Abendblatt-Fotograf das Motiv für die Geschichte erstellen kann. Unter Nottbohms dunklem Jackett wölbt sich dabei ein schwarzer Kasten hervor. Das sichtbare Merkmal dafür, dass sich sein Dasein vor sechs Jahren radikal veränderte, als sein Herz den Dienst quittierte.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Nottbohm wie ein Abenteurer immer neue Aufgaben gesucht. Fallschirmspringer war er, mehrmaliger Hamburger Meister. Auch beruflich liebte er das Risiko. Nach der Wiedervereinigung nahm er das Angebot der Treuhandanstalt an, eine gescheiterte Privatisierung eines Chemiewerkes in Sachsen-Anhalt zu übernehmen.

„150 große Prozesse musste ich über mehrere Jahre führen, um den hinterlassenen Schrott der Treuhandanstalt zu ordnen“, erinnert sich Nottbohm, der schließlich 1996 einen Vergleich mit der BVS (Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben, vormals Treuhand) über 30 Millionen Mark schloss, an dem 40 Parteien beteiligt waren. Fast nebenbei hatte er sich so selbst zum Juristen ausgebildet.

Doch die größte Herausforderung wartete noch auf ihn – der Kampf um sein Leben. Wegen einer nicht ausgeheilten Herzmuskelentzündung lag die Auswurfleistung der linken Herzkammer am Ende bei gerade noch mal 20 Prozent. Nottbohm wurde vom Deutschen Herzzentrum Berlin auf die Liste für Herztransplantationen gesetzt, doch zu dem Eingriff kam es nicht mehr. Wegen terminalem Herzversagen mit Multiorganversagen musste ihm in einer Notoperation ein Kunstherz vom Typ Heart Mate II implantiert werden. „Acht Monate lang lag ich in der Klinik und musste viele schwerste Komplikationen überstehen, man gab mir im Grunde keine Chance“, sagt Nottbohm, der überzeugt davon ist, dass er auch deshalb überlebt hat, weil er immer Sport betrieben und stets Vitamine, Spurenelemente und Mineralien eingenommen hat. „Ich selbst habe niemals daran gezweifelt, dass ich überlebe.“

Seit 2007 lebt Nottbohm nun mit der Tasche am Körper, dem Steuerungsgerät und den Batterien, von dort führt ein Schlauch zur künstlichen Pumpe. Die linke Herzkammer dient nur noch als Reservoir. „Ich kann mich fast als Europameister bezeichnen, denn europaweit leben acht Menschen seit sechs Jahren mit solch einem Kunstherztypen“, sagt er. Und: „Ich kann sehr wohl mit dem Gedanken an den Tod leben, ich hatte als Mediziner automatisch damit zu tun. Man muss das akzeptieren. Ich bin vielmehr dankbar und froh, wenn ich zurückschaue, mit dieser Einstellung gehe ich in jeden Tag.“ Und mit dem Bewusstsein, dass es stets zu Zwischenfällen kommen kann. Wie vor sechs Wochen, als er wegen des Verdachts einer Thrombose im Kunstherzen im Rettungshubschrauber nach Berlin geflogen werden musste.

Dass er sich seitdem aber nur noch schont, davon kann keine Rede sein. Schuld daran ist: Franz Beckenbauer. Vor zweieinhalb Jahren, als der ehemalige HSV-Präsident Wolfgang Klein sein Amt im operativen Geschäft der Stiftung aufgab, riet Nottbohm: „Franz, jetzt musst du dir einen 20 Jahre jüngeren Menschen suchen.“ Von wegen. Kurze Zeit später ließ ihm Beckenbauer über seine Büroleiterin Anita Büchling eine Botschaft zukommen: „Der Franz will dich. Er sagt: Der Friedrich ist der Einzige, der das kann.“

Den Verweis auf seine angeschlagene Gesundheit ließ Beckenbauer – natürlich – nicht gelten, und so leitet Nottbohm seitdem zusammen mit dem Weltmeisterspieler und -trainer die Geschicke der Stiftung. „Franz hat mich damit geadelt“, sagt Nottbohm nicht ohne Stolz. Es gilt, jedes Jahr 2500 Anträge zu sichten und darüber zu entscheiden, wie die eine Million Euro aufgeteilt wird, die jedes Jahr ausgeschüttet wird. Während er jede Akte studiert, liest Beckenbauer eher ungern und entscheidet lieber intuitiv: „Manchmal sagt er zu mir: Erzähl mir mal den Fall.“

Die ursprüngliche Absprache, dass während Nottbohms dreijähriger Amtszeit ein Nachfolger gesucht wird, ist längst überholt. Nottbohm fühlt sich verpflichtet, die Stiftung für die nächsten Jahre existenzfähig zu gestalten: „Ich möchte die Zeit, die mir bleibt, nutzen, um eine dauerhafte Einrichtung zu ermöglichen.“ Die strategische Geldanlage und das Sammeln weiterer Spenden: Darin sieht Nottbohm seine Hauptaufgaben in der Beckenbauer-Stiftung, aber nicht nur das. Weil er dem TSV Rotweiß Niebüll – an der Küste verbrachte er seine Kindheit – sehr viel für seine wichtige Lebensvorbereitung verdanke, spendete Nottbohm in diesem Jahr aus privatem Vermögen 20.000 Euro für die Jugendabteilung.

„Man muss ein Feeling für den Schirm haben und eine Nase für den Wind“, wurde Nottbohm 1984 in der „Ärzte-Zeitung“ zitiert, als er zum elften Mal den Hamburger Titel im Fallschirmspringen gewonnen hatte. Wir verlassen nach dem zweistündigen Gespräch das unauffällige Haus in Poppenbüttel mit dem sicheren Gefühl, dass hier jemand wohnt, der weiß, wohin ihn sein weiteres Leben tragen soll.