Der HSV blamiert sich bei der 0:1-Heimniederlage. Nun droht nach dem Bayernspiel und dem Hinrundenfinale gegen Mainz die Abstiegszone

Hamburg. Am Tag nach der ernüchternden 0:1-Pleite gegen den FC Augsburg gab es Erklärungsbedarf. Die Basis hatte Fragen – und die HSV-Profis mussten ausschwärmen und antworten. René Adler stand beim Fanclub Nordsachsen in Delitzsch Rede und Antwort, Pierre-Michel Lasogga war bei den Lappenrauten in Oldenburg, Hakan Calhanoglu wurde in Bremen von den Hamburger Stadtmusikanten gelöchert. Auch Trainer Bert van Marwijk war beim „Tag der Fanclubs“ in Lingen-Bacum gefragt, eine überzeugende Erklärung hatte aber auch er am Morgen nach dem schwächsten Heimauftritt seiner Mannschaft in dieser Saison nicht parat. Er habe gar nicht geschlafen, antwortete der Niederländer einem Anhänger, der ihm sehr deutlich mitteilte, wie schlecht er nach der Blamage gegen Augsburg genächtigt habe.

„Ich bin sehr enttäuscht“, hatte van Marwijk bereits unmittelbar nach dem Spiel am Sonnabend zugegeben und nicht mit Kritik gespart: „Wir haben ohne Mut gespielt, waren eigentlich immer zu spät und vor allem sehr naiv. Wir haben nie antizipiert, sondern immer nur reagiert.“ Um die Leistung seiner Mannschaft, die nie mittendrin im Geschehen war, sondern zumeist nur passiver Teilnehmer, treffend zu beschreiben, erfand der Holländer sogar ein Wort. Sein Team sei „unkennbar“ gewesen, sagte van Marwijk, der ausdrücken wollte, dass sogar er seine eigenen Spieler nicht wiedererkannt hätte.

Tatsächlich beschlich einen Großteil der 46.213 restlos enttäuschten Zuschauer während der Partie das Gefühl, einen ganz anderen HSV im Vergleich zu den vergangenen Wochen präsentiert bekommen zu haben. Nichts erinnerte mehr an die ordentlichen Auftritte gegen Hannover (3:1), Wolfsburg (1:1) und im Pokal gegen Köln (2:1). So bekamen die Anhänger im gesamten Spiel gegen Augsburg lediglich zwei (!) Hamburger Torchancen innerhalb von 120 Sekunden (64. und 65. Minute) durch Maximilian Beister, der davon am Sonntag in Sittensen zu berichten hatte, zu sehen. Die Augsburger hatten sich dagegen über die ausgenutzte Möglichkeit Raul Bobadillas (18.) hinaus noch eine ganze Reihe von Chancen erspielt.

„Ich habe für diese Leistung keine Erklärung“, sagte Sportchef Oliver Kreuzer, der in einem leidenschaftlichen Monolog nach dem Spiel mehr Engagement als seine komplette Mannschaft in den vorangegangenen 90 Minuten zeigte. „Mit dieser Leistung bekommen wir in München zwölf Stück, weil die Bremer sicher ein Klasse besser waren als wir heute, ohne das Spiel gesehen zu haben“, schimpfte Kreuzer, der im Hinblick auf die Partie gegen Bayern München am kommenden Sonnabend sarkastisch drastische Maßnahmen forderte: „Vielleicht beantragen wir, dass wir mit 13 Profis spielen dürfen. Oder mit zwei Torhütern.“

Ob aber 13 Spieler oder auch zwei Keeper gegen die momentan nicht zu besiegenden Münchner reichen würden, muss nach dem in dieser Form nicht für möglich gehaltenen Rückfall in alte, längst abgehakte Zeiten bezweifelt werden. „Wir sind von ganz weit gekommen, deswegen ist dieser Rückfall umso enttäuschender“, gab van Marwijk unumwunden zu. Geht der HSV in München wie allgemein erwartet unter, droht nach dem Saisonfinale gegen Mainz sogar ein Abrutschen auf einen Abstiegsrang. Frohe Weihnachten ...

Marcell Jansen kritisiert, dass der HSV immer die erste Halbzeit verschläft

Völlig unerklärlich war auch am Tag nach dem 0:1 noch, warum sich der HSV zuletzt immer so schwer zu Beginn der Spiele tat. „Schon in den vergangenen Partien, in denen wir noch gepunktet haben, waren wir in der ersten Halbzeit immer schlecht“, sagte Marcell Jansen, der am Sonntag mit dem wieder genesenen Zhi Gin Lam nach Düdenbüttel musste. Als Beleg für Jansens Gefühl diente das absurd wirkende Torschussverhältnis im ersten Durchgang von 1:8.

Neben dem kritischen Blick zurück wurde Aushilfsrechtsverteidiger Michael Mancienne, der Heiko Westermann und Dennis Diekmeier mehr schlecht als recht vertrat, von den Langenförder Hummels aber auch um einen Ausblick nach vorne gebeten. Anders als der desillusioniert wirkende Sportchef Kreuzer, der am Sonnabend unmittelbar nach der Partie das Weite gesucht hatte und gemeinsam mit Vorstand Joachim Hilke zu Kooperationsgesprächen nach Brasilien gereist war, bemühte sich Mancienne um einen etwas positiveren Ausblick. „Unser Spiel gegen Augsburg war einfach so schlecht, da müssen wir es ja nun gegen die Bayern besser machen“, sagte der Engländer, der es in München aller Voraussicht nach mit Franck Ribéry als direkten Gegenspieler zu tun bekommen wird. „Franck ist derzeit der beste Spieler der Welt, aber daran darf ich im Spiel nicht denken“, sagte Mancienne.

Über die Leistungsstärke Ribérys sollte der frühere Chelsea-Profi, der bereits mit Augsburgs Tobias Werner restlos überfordert war, auch lieber nicht allzu viel nachdenken. Dabei wurde Mancienne in seiner Harmlosigkeit gegen die kompakt spielenden Augsburger bestens von seinen Abwehrkollegen unterstützt. Auch Marcell Jansen (gegen den früheren Hamburger André Hahn) und Jonathan Tah (gegen Bobadilla) erwischten einen schwarzen Tag. Am schlimmsten präsentierte sich allerdings Johan Djourou, dessen Darbietung nur entfernt etwas mit Profifußball zu tun hatte. Seine möglichen Gegenspieler am kommenden Wochenende heißen übrigens Mario Götze, Mario Mandzukic – und Claudio Pizarro. Letztgenannter ist lediglich Reservestürmer, hat aber eine ausgesprochene HSV-Affinität. Beim 9:2-Sieg in der vergangenen Saison traf er – viermal!