Verteidiger Heiko Westermann steht bei vielen HSV-Fans seit langer Zeit schwer in der Kritik. Manch ein Anhänger der Rothosen will ihn lieber heute als morgen bei einem anderen Verein sehen. Wie geht er damit um?

Hamburg. Der Sonntag gehörte den Töchtern, fünf und drei Jahre alt. „Es tut immer gut, sich mit den Kindern zu beschäftigen“, sagt er. Die Kleinen fragen nicht nach Fehlpässen und Ergebnissen, Niederlagen und Patzern. Für die ist Papa immer der Größte und Beste. Sie wollen immer, dass er spielt. Das unterscheidet sie von vielen HSV-Fans. Die beurteilen Heiko Westermann ganz anders.

Die Leistung des Verteidigers am Sonnabend beim 3:5 in Leverkusen war tatsächlich so schlecht, wie viele extrem kritische Vereinsanhänger den 30-Jährigen schon seit Langem beurteilen. „Westermann, sorry, aber Du musst raus aus der Truppe“ von „HSVertotal“ im Abendblatt-Blog „Matz ab“ ist noch einer der zurückhaltenderen Kommentare. Seit seinem Wechsel aus Gelsenkirchen im Sommer 2010 für 7,5 Millionen Euro Ablöse wird er äußerst kritisch gesehen. Sogar bei einem Testspiel gegen den FC Valencia im August 2011 wurde er im eigenen Stadion ausgepfiffen. Der ehemalige Schalker ist für einige immer ein Sündenbock, „Westermann-Bashing“ ist seit Langem in.

Er wusste natürlich, dass er nach Leverkusen auf die Ohren kriegt, schließlich war es „eines der schlechtesten Spiele meiner Karriere“. Die Noten der Spielbeobachter schwankten zwischen „Fünf“ und „Sechs“. Er versucht mit der Kritik und den Anfeindungen klarzukommen. Aber wenn man beim Gespräch genau hinhört, dann merkt man doch diesen angefassten Unterton. Natürlich ist es nicht leicht, der Prügelknabe für ein Versagen der ganzen Mannschaft zu sein. „Wenn jemand denkt, ich sei an allem schuld, dann kann er ja mal auf mich zukommen und es mir persönlich mitteilen“, sagt Heiko Westermann: „Diese Art der Kritik geht mir doch am Arsch vorbei.“

Doch die Fehler im Spielaufbau und die technischen Unfertigkeiten fallen eben auf. Die große Kopfballstärke und meist gutes Antizipieren von Passspielsituationen weniger. Westermann in Normalform ist ein solider Innenverteidiger, der eben auch außen und im defensiven Mittelfeld eingesetzt werden kann. Deshalb auch gehört er immer noch dem Kader der Nationalmannschaft an. 26 Länderspiele hat er bisher bestritten, am Montag fuhr er wieder zum Treffpunkt der DFB-Auswahl in Frankfurt für die Testspiele an diesem Freitag (20.45/ZDF und im Liveticker auf abendblatt.de) in Italien und am 19. November (21 Uhr/ARD und im Liveticker auf abendblatt.de) in England. Nimmt man da die Krise aus der Liga nicht mit? „Nein“, behauptet er, „die Nationalmannschaft und der HSV sind zwei Paar Schuhe.“

Man möchte ihm wünschen, dass er im Kreise der deutschen Elitekicker das Erlebnis Leverkusen abstreifen kann. Nur 18 Prozent gewonnene Zweikämpfe ermittelten die Statistiker dort für ihn, immer wieder konnte Heung Min Son ihm über die rechte Außenbahn entwischen. Dazu diese kläglichen Flanken, die allesamt hinter das Tor segelten, statt wie noch in Nürnberg punktgenau den Kopf eines Angreifers zu erreichen. „Es hat nichts funktioniert, aber das gehört auch mal dazu“, erklärt Westermann. Dass die rechte Außenbahn in Vertretung des langzeitverletzten Dennis Diekmeier seine Position nicht ist, dass er sich als Innenverteidiger am stärksten sieht und am wohlsten fühlt, das will er öffentlich nicht thematisieren. „Ich habe nie etwas dazu gesagt“, stellt er klar, „ich spiele auf der Position rechts, wenn der Trainer das sagt.“

Da ahnt man so etwas wie einen Korpsgeist. Jetzt nicht öffentlich anfangen, seine eigenen Interessen über die der Mannschaft zu stellen. Westermann macht seinen Job, wenn er gebraucht wird und gefragt ist. In 59 Bundesligaspielen hatte er ununterbrochen 90 Minuten auf dem Platz gestanden, seit er nach Hamburg gekommen war, dann ereilte ihn eine Gelbsperre. Es folgten bis zum vergangenen Sonnabend weitere 54 Partien ohne Pause. Nicht einer der sechs HSV-Trainer in dieser Zeit dachte daran, auf Westermann in der Startaufstellung zu verzichten. Deshalb wohl machen im anonymen Internet Gerüchte von einer vertraglich zugesicherten Startplatzgarantie die Runde.

Als Führungsspieler war er verpflichtet worden, unmittelbar nach seinem Wechsel nach Hamburg wurde er von Trainer Armin Veh zum Kapitän des Teams ernannt. Zeit zur Eingewöhnung gab es nicht. Immer wieder gab er Statements zum Spiel ab. Auch wenn er lieber geschwiegen hätte. „Ich musste sehr oft Erklärungen finden, wenn etwas schieflief. Das fiel mir schwer“, gab der gebürtige Franke zu. Als Rafael van der Vaart Anfang April von Trainer Thorsten Fink zum Kapitän gemacht wurde, war das für Westermann durchaus eine Erleichterung.

Bis 2015 steht er beim HSV unter Vertrag. Und unter Beobachtung. Ein Fehlpass nur im nächsten Heimspiel gegen Hannover 96 am 24.November, sollte er denn wieder auflaufen, und das Murren und die Pfiffe werden zunehmen. Einfach kann diese Situation nicht sein. „Ich habe oft genug meinen Mann gestanden“, sagt Heiko Westermann. Gekämpft hat er immer, gewonnen nicht, gestellt hat er sich meistens. Das spricht für einen starken Charakter. Vielleicht hilft es, wenn man weiß, dass man zu Hause immer der Held ist – egal, was da draußen passiert.