Levin Öztunali profitiert von der Jugendförderung des nächsten HSV-Gegners. in Leverkusen wohnt der 17-Jährige bei Organisator des Kinder-Fanclubs.

Hamburg. Sie telefonieren oft und intensiv. Ein Vater will immer wissen, wie es seinem Kind geht. Vor allem, wenn es in einer fremden Stadt wohnt, 350 Kilometer entfernt. Erstmals weg von Zuhause, der Abnabelungsprozess hat eingesetzt. „Es geht ihm sehr gut“, sagt Mete Öztunali nach den ersten vier Monaten, „er fühlt sich wohl und ist rundum zufrieden.“ Es hört sich glaubhaft an.

Er, das ist Levin Öztunali. Uwe Seelers Enkel. Anfang des Jahres der Aufreger in Hamburg, als er bei Bayer Leverkusen unterschrieb. Vorwürfe wechselten hin und her. „Öztunali hätte man halten können – und müssen“, sagte der seit Sommer amtierende Sportchef Oliver Kreuzer, der Nachfolger von Frank Arnesen, nach „Akteneinsicht“: „Wenn man verschiedene Leute nicht verärgert hätte, wäre es machbar gewesen.“

Vielleicht. Die Nachwuchsförderung von Leverkusen unter der Leitung des ehemaligen Bundesligatrainers Jürgen Gelsdorf hat allerdings einen exzellenten Ruf. Bislang jedenfalls hat sich die Entscheidung aus Sicht von Levin Öztunali als absolut richtig herausgestellt. Am 10. August bereits kam Levin gegen den SC Freiburg zu seinem Bundesligadebüt und ist damit im Alter von 17 Jahren und 146 Tagen der jüngste Spieler, der je in der ersten Liga das Bayer-Trikot getragen hat.

Eigentlich war der Hamburger bei Bayer vor allem für die U23 in der Regionalliga vorgesehen. Doch in der Saisonvorbereitung überzeugte er Trainer Sami Hyypiä. „Mir gefällt seine Mentalität. Er arbeitet jeden Tag an sich“, sagt der Finne. „Er muss den großen Willen haben, jeden Tag hart zu arbeiten. Aber er ist für sein Alter wirklich schon sehr weit, auch im Kopf.“

Großvater Uwe wundert das nicht: „Der Junge hebt nicht ab, alles ist ganz normal. Da passen wir schon auf.“ Das HSV-Idol ist seit Jahren auch Mitglied bei Bayer Leverkusen, man kennt und schätzt sich. „Zuletzt war er Ende September beim Abschied unseres langjährigen Geschäftsführers Wolfgang Holzhäuser hier“, erzählt Bayer-Sprecher Meinolf Sprink, „er erkundigt sich natürlich regelmäßig, wie es Levin so geht. Man merkt, wie wichtig dieser Familie Ausbildung und Normalität ist.“

Auf drei Erstligaeinsätze hat es Öztunali in Bayers Spitzenmannschaft schon gebracht, in der Regionalliga hat er seinen festen Stammplatz. Im Oktober warf ihn jedoch eine Kapselverletzung zurück. Gegen seinen ehemaligen Verein wird er im Bundesligaspiel am Sonnabend (15.30/Sky und abendblatt.de) eher nicht im Kader stehen. Hyypiä denkt jedoch grundsätzlich: „Es kann sehr gut sein, dass Levin noch das eine oder andere Mal reinkommt.“

Doch die Priorität ist erst einmal eine andere. Im Sommer will Öztunali sein Abitur machen. Er besucht die zwölfte Klasse des Landrat-Lucas-Gymnasiums, an dem Bayer schon vor 13 Jahren seine „Sportklasse“ einrichten konnte, in der Schule und Spitzensport in Einklang gebracht werden. Der ehemalige Basketballer John Ecker, der Ehemann von Heide Rosendahl, ist an der Schule für die Sportförderung tätig. Die Strukturen für den Nachwuchs sind seit Langem aufgebaut und haben sich bewährt. Dabei sieht Leverkusen von der Internatstruktur ab, wie sie unter anderem beim HSV besteht. In Leverkusen werden die heranwachsenden Jungprofis von Gasteltern aufgenommen. Sieben Familien bieten den angehenden Fußballstars derzeit ein zweites Zuhause.

„Die Jungs kommen in einem wichtigen Alter zu uns, wir haben viel Verantwortung für die Spieler und der können wir so besser gerecht werden“, begründet Frank Ditgens, Bayers pädagogischer Leiter, die Entscheidung gegen das „Wohnheim“ und für die „Ersatzfamilie“. Ein Blick nach Ochsenzoll scheint ihm recht zu geben. Gerade auch beim HSV gab es in der Vergangenheit im Nachwuchsinternat immer wieder disziplinarische Zwischenfälle. Bei Gasteltern sind die Abläufe natürlich anders. Essen in der familiären Gruppe, Möglichkeiten zu Gesprächen und auch die Übernahme kleiner Pflichten. „Die familiäre Atmosphäre gibt den Jungs eine gute Basis, um die Ausbildung und ihr Ziel Profifußballer zu werden, optimal zu verbinden“, lautet das Credo in Leverkusen.

Ersatzpapa organisiert den Kinder-Fanclub

Auch Levin Öztunali hat sich bei seiner Familie glänzend eingelebt, berichtet sein „richtiger“ Vater. Sein Sohn lebt bei Marc Jansen, 37, der auch Organisationsleiter des Kinder-Fanclubs von Bayer ist, und dessen Frau, einer Lehrerin. Demnächst übrigens, wird Levin ein „Brüderchen“ bekommen. „Er wohnt dort sehr gut, Heimweh hat er offenbar nicht“, sagt Sprink. Die „richtigen“ Eltern kommen auch ab und an aus Hamburg vorbei. „Sie sind sehr zurückhaltend und diskret. Mete Öztunali ist überhaupt kein typischer ,Spielervater‘, der sich irgendwie einmischt.“

Bayers Erfolge sprechen fürs Gasteltern-Konzept. Einschließlich Levin Öztunali gehören zurzeit sieben aktuelle und ehemalige Nachwuchskräfte dem Bundesligakader an. Die Leverkusener Stammspieler Stefan Reinartz und Gonzalo Castro sind ebenfalls „Eigengewächse“. Gemeinsam repräsentieren sie laut „Transfermarkt.de“ einen Marktwert von 17,5 Millionen Euro.

Levin Öztunali lebt erst seit dem Sommer in Leverkusen, aber die Chancen scheinen gut, dass er seine Ziele und Wünsche dort tatsächlich verwirklichen kann. Erst Abitur, dann Vollprofi. „Er ist sehr gut angekommen“, freut sich sein Vater. „Es läuft bislang sogar besser als geplant.“