Der HSV siegt dank zweier Treffer von Rafael van der Vaart mit 2:1 gegen Düsseldorf. Darf nun doch wieder europäisch geträumt werden?

Hamburg. Auch 18 Stunden danach war Rafael van der Vaart ein gefragter Mann. Nach dem Vormittagstraining und noch vor dem gemeinsamen Grillen (siehe unten) wurde der Niederländer am Sonntagmittag von Fans umkreist, denen er immer wieder seine beiden Geniestreiche vom Vortag erklären musste.

"So schlecht waren die beiden Tore nicht, oder?", fragte der Neu-Kapitän ganz bescheiden zurück. Dabei war es doch nur konsequent, dass der neue Kopf der Mannschaft den glücklichen, aber verdienten 2:1-Sieg gegen Düsseldorf erstmals überhaupt per Kopf einleitete, dann beim zweiten Tor gleich drei Fortunen im Fünf-Meterraum austanzte. Es waren die Höhepunkte einer Partie, nach der nun zwangsläufig das große Rechnen folgt.

Wahrscheinlich gehört es zu den Besonderheiten des Fußballs, dass der HSV nach seiner - höflich formuliert - wechselhaften Saison, vier Spieltage vor dem Ende plötzlich wieder mittendrin im Kampf um einen europäischen Startplatz steckt. "Jetzt ist alles wieder drin", hatte auch Matchwinner van der Vaart unmittelbar nach dem Sieg gegen Düsseldorf am Sonnabend erkannt, als er von den anderen Ergebnissen gehört hatte. Und tatsächlich trennen die Hamburger auf Platz acht gerade mal zwei Punkte vom FC Schalke 04 auf Platz vier, der sogar zur Qualifikation zur Champions League berechtigt. "Diese Rechnerei darf uns überhaupt nicht interessieren", warnte Marcell Jansen, der sich von der Friede-Freude-Eierkuchen-Stimmung nach Spielschluss nicht anstecken lassen wollte und an die große Schwäche dieser Saison erinnerte: Mathematik hin oder her - dieser HSV ist unberechenbar.

Diese Erkenntnis wurde auch am Sonnabend nachdrücklich unter Beweis gestellt. So startete die Mannschaft von Trainer Thorsten Fink, die zuvor zwei Monate lang vergeblich auf einen Heimsieg gewartet hatte, so engagiert wie schon lange nicht mehr. Ob sich aber tatsächlich Finks deutliche Ansprache beim Abschlusstraining am Freitag ("Ihr Penner!") ausgezahlt hatte, beantwortete van der Vaart, der sein Team als Kapitän zu sechs Punkten in zwei Spielen führte, mit einem Grinsen: "Wir waren zumindest wach."

Wer nach den beiden früheren Toren zur 2:0-Führung nun aber mit einem entspannten Fußballnachmittag im ausverkauften Volkspark gerechnet hatte, der hatte sich geirrt. So brauchten die unberechenbaren Hamburger nicht mal eine Viertelstunde, um aus totaler Dominanz eine regelrechte Zitterpartie zu machen. Ein Doppelfehler von Dennis Aogo, der zunächst einen überflüssigen Freistoß verursachte und anschließend auch noch Gegenspieler Dani Schahin aus den Augen verlor, reichte, um das zuvor einseitige Spiel spannend zu machen. "Heute hat man wieder mal gesehen, dass unsere Mannschaft noch nicht so gefestigt ist", sagte Fink, der mit dem Gesamtauftritt dennoch zufrieden war: "Mir hat besonders die Ausstrahlung gut gefallen."

Für den Coach diente die Partie gegen Düsseldorf als Blaupause für die gesamte Saison. Immer dann, wenn seine Spieler am Boden waren, kamen sie wieder zurück, um anschließend dann doch wieder einzubrechen. "Irgendetwas scheint doch in dieser Mannschaft zu stecken. Es ist jedenfalls nicht alles schlecht", sagte Fink, der vier Spieltage vor Schluss einen nicht mehr für möglich gehaltenen Europapokalplatz nun auch angreifen will: "Wenn wir die Chance schon haben, dann wollen wir sie auch wahrnehmen."

Die Begegnung gegen Schalke am kommenden Sonntag dient dabei nicht als Endspiel, sondern eher als Halbfinale. Verliert der HSV, sind sämtliche Träumereien von der Champions League endgültig vorbei, die theoretische Chance auf die Europa League aber bleibt zunächst bestehen.

Gewinnen die Hamburger aber tatsächlich, dürfen sie sich in den verbliebenen drei Spielen gegen Wolfsburg, Hoffenheim und Leverkusen über drei echte Europa-Finalspiele freuen. "Wenn wir gegen Schalke gewinnen, kann sich ja jeder selbst die Tabelle ausrechnen", sagt Fink, der in Gelsenkirchen allerdings auf den gelbgesperrten Rechtsverteidiger Dennis Diekmeier verzichten muss. Zhi Gin Lam oder Jacopo Sala sollen ihn ersetzen, Jeffrey Bruma spielt in Finks Plänen dagegen keine Rolle mehr: "Ich will jetzt nur noch auf die setzen, die Gras fressen."

Etwas mehr von dieser Mentalität hätte sich Sportchef Frank Arnesen bereits am Sonnabend gegen Düsseldorf gewünscht. Mit etwas drastischen Worten beschrieb der sonst meist gut gelaunte Däne sein Gefühlschaos, nachdem er bis zur letzten Sekunde um den erhofften Sieg zittern musste. "Mit den drei Punkten bin ich sehr zufrieden, aber ich bin richtig pissed off, weil wir die Initiative des Spiels weggegeben haben." So hätte sich auch niemand beschweren dürfen, hätte Düsseldorfs Martin Latka kurz vor Schluss nicht die Latte, sondern das Tor getroffen. Es wäre die logische Folge eines unlogischen Spielverlaufs gewesen.

Doch mit der Logik ist es beim HSV in dieser Saison so eine Sache: sie ist einfach nicht berechenbar.

Statistik

HSV: Adler – Diekmeier, Mancienne, Westermann, Jansen – Badelj (69. Rincon), Aogo – Skjelbred, Jiracek – van der Vaart (90.+1 Rajkovic), Son (80. Rudnevs). – Trainer: Fink

Düsseldorf: Giefer – Levels, Latka, Malezas (86. Ilsö), van den Bergh – Oliver Fink, Tesche (74. Woronin) – Lambertz, Bellinghausen – Omae (17. Schahin), Reisinger. – Trainer: Meier

Schiedsrichter: Robert Hartmann (Wangen)

Tore: 1:0 van der Vaart (13.), 2:0 van der Vaart (20.), 2:1 Schahin (34.)

Zuschauer: 57.000 (ausverkauft)

Gelbe Karten: Diekmeier (5), Jansen (6) – Lambertz (8), Oliver Fink (4), Levels (4)