Nach einer starken ersten Halbzeit muss sich der HSV am Ende mit einem glücklichen Unentschieden beim VfL Wolfsburg zufriedengeben.

Wolfsburg. Kurz vor der Abfahrt mit dem Mannschaftsbus zurück nach Hamburg war sich HSV-Trainer Thorsten Fink gestern Abend immer noch über die eigene Gefühlswelt im Unklaren. Sollte er sich nun über den erkämpften Auswärtspunkt in Wolfsburg freuen oder dem durchaus möglichen Sieg hinterhertrauern? "Ich ärgere mich", sagte der von einem Pulk von Medienvertretern umgebene 45-Jährige im dritten Stock der Volkswagen-Arena, "aber eigentlich können wir auch zufrieden sein". Auf dem Statistikzettel, den Fink kurz zuvor intensiv studiert hatte, schien die Sachlage doch eigentlich klar: Bei 22:9 Torschüssen, 53 zu 47 Prozent Ballbesitz, zehn zu fünf Ecken und 57 zu 43 Prozent gewonnenen Zweikämpfen hatten die Wolfsburger die Nase vorn, doch unterm Strich stand ein Wert, der alle anderen Statistiken in den Schatten stellte: 1:1 nach Toren. "Wenn man ehrlich ist, dann geht dieses Unentschieden wohl in Ordnung", sagte der Trainer.

Anders als zunächst angedacht hatte sich Fink zwei Stunden zuvor entschieden, im zentralen Mittelfeld doch besser etwas defensiver aufzustellen als während der Trainingswoche einstudiert. Statt Ivo Ilicevic als Ersatz des gesperrten Van-der-Vaart-Ersatzes Tolgay Arslan spielen zu lassen, vertraute der Coach lieber Tomas Rincon und Milan Badelj als zentrales Mittelfeldpärchen. Und während Rincon einen klassischen Ausputzer alter Schule spielen durfte, sollte sich Badelj immer wieder in die Offensive mit einschalten.

Die Rolle van der Vaarts übernahm nach 25 Spielminuten kurzzeitig aber weder der Kroate noch der Venezolaner - sondern ein Lette. Mit einem Zauberpass, den auch van der Vaart nicht besser hätte spielen können, schickte Artjoms Rudnevs Sturmpartner Maximilian Beister steil. Und wie schon in der Vorwoche ließ sich der U21-Nationalspieler auch dieses Mal nicht zweimal bitten, schob den Ball platziert links an Diego Benaglio zum 1:0 ein und ließ sich anschließend gebührend von den mitgereisten Fans feiern. So schön kann Fußball sein.

Die frühe Führung war wie schon am Dienstag gegen Schalke keinesfalls Zufall, sondern viel mehr die Konsequenz einer besonders in der ersten Hälfte taktisch erstklassigen Leistung. "In den ersten 45 Minuten haben wir Vollgas gespielt", sagte Diego-Bewacher Rincon, der sich im neuen 4-4-2-Rautensystem genauso wohl wie der Rest seiner Kollegen fühlte. Ohne die Stammspieler van der Vaart, Arslan, Marcell Jansen und Petr Jiracek verteidigte Finks Mannschaft gegen die zunächst zahnlosen Wölfe geschickt, ließ im ersten Durchgang gerade mal eine Halbchance durch Diego (44.) zu und wusste auch offensiv zu gefallen.

Einmal jedoch hatte der HSV Glück, als Bruma der Ball an den Ellenbogen sprang und Schiedsrichter Peter Sippel auf Freistoß entschied, obwohl Bruma im Strafraum stand (4.). Dennoch: Hätte der kurz vor der Halbzeit völlig freistehende Badelj seine in den ersten 45 Minuten herausragende Leistung mit einem Treffer gekrönt, wäre wohl niemand überrascht gewesen.

Doch bekanntlich gewinnt man im Konjunktiv keine Spiele, was sich in der zweiten Halbzeit schnell rächen sollte. Zunächst konnte Beister, der wegen Muskelproblemen später ausgewechselt wurde, kurz nach dem Wiederanpfiff den schönsten Spielzug des Tages nicht zur Vorentscheidung nutzen (52.), was Wolfsburgs Simon Kjaer eine Viertelstunde später auf der Gegenseite bestrafte. Der Däne köpfte Marcel Schäfers sehenswerte Flanke zum 1:1 ein (68.), was besonders René Adler maßlos ärgerte. Der Grund: Direkt vor dem Gegentreffer war der HSV-Torhüter von Ivica Olic im Fünfmeterraum bedrängt worden, der fällige Pfiff blieb allerdings aus. "Wahrscheinlich hat jeder im Stadion gesehen, dass es ein Foul war. Aber ich will mich gar nicht aufregen, wir haben auch schon mal von einer Schiedsrichterentscheidung profitiert", sagte Fink, der sich ärgerte, dass seine Mannschaft nach dem Gegentor das Spiel plötzlich aus der Hand gab.

Tatsächlich hatte Wolfsburg durch Vieirinha (76.), Schäfer (79.) und Fagner (87.) noch dreimal die Möglichkeit gegen den tapfer kämpfenden HSV, das Spiel zu entscheiden, was des Guten am Ende doch ein wenig zu viel gewesen wäre. "Das Unentschieden war ein gerechtes Ergebnis", sagte Sportchef Frank Arnesen, "wir können mit einem guten Gefühl und weiterem Selbstvertrauen nach Hause fahren." Und mit diesem positiven Gefühl konnte sich letztendlich auch Fink arrangieren: "Jetzt wollen wir eben am Freitag gegen Hoffenheim dafür sorgen, dass wir uns über eine positive Hinrunde freuen."