Heute spielt Rafael van der Vaart mit Holland gegen Deutschland. Vater Ramon erzählt, wie die Karriere des HSV-Spielmachers begann.

Hamburg. Das Gesicht ist etwas runder, ein paar Falten sind zu sehen und auch die Haare sind an einigen Ecken spärlicher. Aber das Lächeln ist das gleiche. Wie der Sohn so der Vater. Ramon van der Vaart bestellt sich einen Kaffee, schwarz, und lässt sich tief in seinen Sessel im Foyer des Elysée-Hotels an der Rothenbaumchaussee fallen. "Ich wusste von Anfang an, dass Rafael ein einmaliges Talent hat", sagt der stolze Papa, der seinem Sohn mit drei Jahren die ersten Fußballschuhe (Schuhgröße 24) kaufte, "aber trotz seiner Erfolge als Fußballprofi bleibt er immer mein Kleiner vom Campingplatz".

Heute (20.30 Uhr/ARD) spielt nun der Kleine vom Campingplatz, mittlerweile Schuhgröße 42, in der seit Wochen ausverkauften Amsterdam-Arena mit der Elftal gegen das deutsche Nationalteam. Die ganze Familie van der Vaart ist natürlich im Stadion. "Zehn Tickets habe ich besorgt für das Spiel", sagt Rafael van der Vaart. Es ist nur ein Testspiel, aber für ihn ist es "ein besonderes Spiel". Für 90 Minuten ist es eine Rückkehr in die Vergangenheit.

"Manchmal muss ich mich schon kneifen, wenn ich mich mal wieder daran erinnere, wie alles angefangen hat", sagt Vater van der Vaart, der früher mit seiner Familie in einer Caravan-Siedlung in Heemskerk, gut 30 Kilometer von Amsterdam entfernt, gewohnt hat. "Wir hatten nicht wirklich viel Geld, aber für uns war es ganz normal, in einem Wohnwagen zu wohnen", sagt der 51-Jährige, der damals als Feinmechaniker für Supermarktwagen gearbeitet hat. Seine Eltern wohnten auf dem Campingplatz, ein Großteil seiner sieben Geschwister lebte dort, und selbstverständlich schlug auch er mit Ehefrau Lolita und den beiden Söhnen Rafael und Fernando sein Quartier hier auf. "Mir hat es in Heemskerk gefallen", sagt Rafael, "ich hatte immer Freunde in der Nachbarschaft zum Spielen."

Fußballspielen hat der heutige HSV-Profi aber im fünf Kilometer entfernten Beverwijk gelernt, wo Papa van der Vaart an jedem Wochenende für den Viertligisten BVV de Kennemers auf Torejagd gegangen ist. Noch heute trifft sich Ramon jeden Sonntag hier mit einer Altherren-Auswahl, um einfach zu kicken. "Als Kind wollte Rafa unbedingt zu meinen Spielen mitkommen. Er nahm sich dann immer einen Ball und rannte 90 Minuten lang um den Platz herum." Aber als Rafael vier Jahre alt war, wollte er nicht mehr nur um den Platz herumlaufen. "Eigentlich müssen Kinder sechs Jahre alt sein, um in der F-Jugend zu spielen, aber ich habe zum Trainer gesagt, dass er gut genug sei." Und Jur Zandbergen, Rafaels erster Fußballtrainer, stimmte zu.

Sechs Jahre lang dribbelte sich Rafael durch die verschiedenen Jugendmannschaften vom BVV de Kennemers. "Oft trainierte er zusätzlich in einer älteren Jugendmannschaft mit, weil es ihm sonst zu langweilig wurde", erinnert sich Ramon, der seinen Filius "eher bremsen als motivieren" musste. Sein Sohn sei zwar gerne zur Schule gegangen, habe aber vor allem schnell gelernt, wie Klassenkameraden seine Hausaufgaben übernehmen konnten, damit er noch mehr Fußball spielen konnte. Und trotzdem war irgendwann klar, dass es für Rafael in Beverwijk zu klein werden würde. Als Papa van der Vaart von Ajax Amsterdams Talenttagen hörte, wo jeden Sommer 1500 bis 1600 Kinder vorspielen dürfen, übernahm er die Initiative. "Ich schrieb einen Brief an Ajax, ob auch mein Sohn vorspielen darf." Rafael durfte, begeisterte und wurde schließlich als eines von zehn Talenten für die Ajax-Schule ausgesucht. "Ich wusste damals noch gar nicht genau, was das eigentlich bedeutete. Aber ich war einfach glücklich, noch mehr Fußball spielen zu können", sagt der heute 29-jährige Wahl-Hamburger.

Für Lolita und Ramon, die seit 31 Jahren verheiratet sind, wurde die Fußball-Begeisterung ihres Sohnes zu einer echten Belastungsprobe. Jeden Tag musste Rafael nach der Schule zum Training gebracht und abgeholt werden, 30 Kilometer hin, 30 Kilometer zurück. Van der Vaart junior, in der Kindheit noch ein großer Fan von Romário und vom PSV Eindhoven, hatte von nun an nur noch den Traum, irgendwann Profi in Amsterdam zu sein. "Er hat sein erstes Ajax-Trikot den ganzen Tag getragen: in der Schule, zu Hause, im Bett", erinnert sich sein Vater, für den die täglichen Fahrten nach Amsterdam auch finanziell eine Herausforderung wurden. "Natürlich wusste ich, dass wir nicht so ganz viel Geld hatten. Deswegen muss ich heute sagen, dass ich wohl niemals Profi geworden wäre, wenn mich meine Eltern nicht so toll unterstützt hätten", sagt van der Vaart.

Die Mühe sollte sich lohnen. Mit 17 Jahren und zwei Monaten wurde Rafael zum drittjüngsten Profi der Ajax-Geschichte. Papa Ramon war gerade in der Nähe von Alkmaar unterwegs, als sein Sohn ihn am Autotelefon erreichte. "Ich konnte das gar nicht glauben. Ich bin dann dreimal um den Kreisverkehr gefahren und habe immer wieder gefragt, ob das wirklich wahr ist." Und es war wahr. "An einem Montag wurde mir gesagt, dass ich am Mittwoch mein erstes Spiel haben werde", sagt Rafael, der sich auch noch gut an das anschließende Telefonat erinnert: "Ich musste Papa immer wieder sagen, dass es kein Spaß ist."

Fast wäre van der Vaarts Profikarriere am nächsten Tag aber mit einem Reinfall gestartet. "Rafaels erstes Profitraining sollte um 9.30 Uhr beginnen. Wir sind extra eine halbe Stunde vorher losgefahren, aber ausgerechnet an diesem Tag gab es einen Riesenstau. Schließlich kamen wir um 9.29 Uhr am Trainingszentrum an", sagt Ramon. Einen Tag später debütierte van der Vaart beim 1:1 gegen den FC Den Bosch, war nicht mehr aus Ajax' Profimannschaft wegzudenken. In der nächsten Saison wurde er unter Trainer Co Adriaanse Stammspieler und von den Fans zum Talent des Jahres gewählt.

Und obwohl seine Karriere von nun an erst so richtig beginnen sollte, wusste Rafael schon damals ganz genau, bei wem er sich zu bedanken hatte. "Mein Papa hat alles für mich getan", sagt van der Vaart, der seinen Eltern von seinem ersten Profigehalt ein Reihenhaus aus rotem Backstein in Beverwijk kaufte. Papa Ramon, der seit vier Jahren auch sein Berater ist, Mama Lolita, 52, und Bruder Fernando, 24, wohnen noch heute dort.

Wenn Rafael van der Vaart heute Abend aufläuft, wird es sein 103. Länderspiel sein. Viermal spielte er bisher gegen Deutschland, der einzige Sieg liegt zehn Jahre zurück (3:1 in Gelsenkirchen). Danach folgte ein 1:1 bei der EM 2004, ein 2:2 2005 und das 1:2 bei der EURO in diesem Jahr.

Auf einen Treffer gegen den Nachbarn wartet Rafael van der Vaart noch. Sollte ihm seine Torpremiere gelingen, hätte dies direkte Auswirkungen: Dann müsste Wettpartner René Adler am Donnerstag beim HSV-Training mit einem Oranje-Trikot auflaufen. Gewinnt jedoch Deutschland, muss van der Vaart das DFB-Shirt tragen. Sein gespielt schmerzverzerrtes Gesicht im Quartier der Niederländer in Noordwijk bewies, wie ungern er die Wette einlösen würde.