Nach dem Aus im Pokal verliert der HSV auch sein erstes Bundesliga-Heimspiel gegen Nürnberg. Die Stürmerbilanz: Zwei Vorlagen, null Torschüsse.

Hamburg. Es ist ein beliebtes, zuletzt fast inflationär genutztes Motiv, um den vom Aussterben bedrohten Schatz des HSV sichtbar zu machen: Immer dann, wenn der Klub inmitten einer sportlichen Krise steckt, geht der Blick Richtung Nordwestecke der Imtech-Arena, wo die ewige Bundesligauhr des HSV tickt. Dieses Mal jedoch schauten wohl mehr Zuschauer als sonst schon vor dem Spiel gegen Nürnberg hin, in zu düsteren Farben wurden die jüngsten Prognosen gezeichnet.

Exakt 49 Jahre, 22 Stunden, 31 Minuten und 55 Sekunden zeigten die digitalen Ziffern an, als die Hamburger mit dem ersten Pfiff von Schiedsrichter Marco Fritz in ihre 50. Erstligasaison gingen. Als der HSV sein erstes Heimspiel der Jubiläumssaison 0:1 gegen den 1. FC Nürnberg verloren hatte, übernahmen die Anhänger das Pfeifen und jagten ihr Team vom Platz. Die schlimmsten Befürchtungen der Fans waren noch übertroffen worden. Das Schlimme daran: Die Spieler sahen das genauso. "Es wird absolut eine ganz schwierige Saison, genauso wie die vergangene", orakelte ein entsetzter Kapitän Heiko Westermann.

Gefühlt steckt der HSV schon nach dem ersten Spieltag mitten im Abstiegskampf, passend dazu belegt der Verein mit Rang 15 genau wieder den Platz vom 34. Spieltag der Vorsaison. Was sich die HSV-Spieler an Fehlpässen leisteten, war haarsträubend und brachte die zaghaften Aufbaubemühungen bereits im Ansatz zu Fall, obwohl die Nürnberger genauso limitiert zu Werke gingen.

Ausschließlich nach Standardsituationen gelang es der Mannschaft von Trainer Thorsten Fink, einige wenige Torchancen zu kreieren. Die Offensiven Marcus Berg und Heung Min Son kamen zusammen nur auf zwei Torschussvorlagen bei null Torschüssen - was aber nicht nur ein Beleg für die Harmlosigkeit des Duos war, sondern auch für die mangelhaften Zulieferdienste des Mittelfelds. Erschütternd, dass ein Per Skjelbred als zentraler Mittelfeldspieler in seinen 70 Einsatzminuten nur 33 Ballkontakte hatte und 69 Prozent seiner Zweikämpfe verlor.

+++ Adler war der Lichtblick eines ganz finsteren Saisonauftakts +++

Die Defensive hingegen untermauerte beim 0:1 durch Hanno Balitsch nach einer Ecke (68.) ihre Anfälligkeit bei ruhenden Bällen. Schon in der Vorsaison erreichte der HSV mit 26 Gegentoren nach einer Standardsituation ligaweit den negativen Bestwert. Es scheint sich nichts geändert zu haben.

+++ Arnesens Schicksalswoche +++

Fast genauso ratlos wie seine Spieler wirkte Fink bei seiner Spielanalyse. Der Trainer schien nach einem Kompass zu suchen, der ihm Lösungswege aufzeigt. "Wir haben im Moment nicht die Überzeugung, in Führung gehen zu können", sagte der HSV-Trainer und stellte fest, dass es klar sei, dass die Mannschaft nicht vor Selbstvertrauen strotze, wenn sie ein Jahr kritisiert werde und im Pokal ausgeschieden sei. "Heute konnte sie jedenfalls nicht richtig damit umgehen." Auf eine Qualitätsdiskussion wollte sich Fink jedoch nicht einlassen: "Die Mannschaft hat das Zeug, nicht im Abstiegskampf zu stecken." Sein anschließendes Treuebekenntnis ("Ich werde nicht müde, an meine Mannschaft zu glauben") glich jedoch eher einer klassischen Durchhalteparole nach dem 28. Spieltag. Die Frage, die er sich selbst in einer stillen Stunde stellen sollte, lautet: Warum hat er es in der langen Vorbereitung nicht geschafft, eine positive Aufbruchstimmung zu erzeugen? Und was haben Trainer und Spieler eigentlich geübt? Nach Fußball sah es jedenfalls nicht aus.

+++ Leitartikel: Falsche Bescheidenheit +++

Passend zur allgemeinen Stimmungslage gab es ein ausgewachsenes Pfeifkonzert, als Robert Tesche für Jacopo Sala ins Spiel kam. Wann hat es das zu Beginn einer Saison jemals gegeben? Allzu strapazierfähig dürfte die Geduld und Treue der Fans jedenfalls nicht mehr sein. "Wir brauchen die volle Unterstützung der Fans, da frage ich mich schon, was das sollte. Das gehört sich nicht", äußerte Tesche sein Unverständnis. Dabei galten die Pfiffe eher Fink, der nicht Maximilian Beister brachte. "Ich hatte eben meine taktischen Überlegungen und habe Robert dort hingestellt, weil er der torgefährlichste Mittelfeldspieler ist hinter einer Spitze", verteidigte sich der Coach.

Was die Klubsympathisanten jedoch sehen wollen, ist eine (noch so kleine) Weiter- und keine Rückwärtsentwicklung, eine logische Konstanz in den Handlungen der Führung. Da schien es wenig Sinn zu machen, in einer entscheidenden Phase einen Spieler zu bringen (Tesche), dem mitgeteilt wurde, dass er den Klub verlassen könne, während einem Talent (Beister) nicht das Vertrauen über mehrere Spiele gegeben wird. Dem Anhang bleibt nur die Hoffnung, dass Neuzugänge wie Milan Badelj und Petr Jiracek (siehe S. 20) für einen Umschwung sorgen.

+++ Jansen war einer der wenigen, die so etwas wie Fußball boten +++

Doch nicht nur rund um den HSV, sondern auch innerhalb des Kaders machen sich Zweifel breit, ob sich der Klub auf dem richtigen Weg befindet. "Nürnberg hat auswärts gespielt und trotzdem mehr Chancen als wir erspielt", kritisierte Marcell Jansen. "Es ist ähnlich wie im letzten Jahr. Das Spiel zeigt, dass wir keine Entwicklung gemacht haben. Wir dürfen keine Ausreden haben, immerhin haben wir noch den sechsthöchsten Gehaltsetat der Liga. Irgendwas läuft falsch bei uns."

Rene Adler hat den verpatzten Bundesliga-Start des Fußball-Erstliga-Dinos eingeräumt, hält aber die Diskussionen über einen bevorstehenden Kampf um den Klassenerhalt für voreilig. „Der Start ist missglückt, aber nach dem ersten Spieltag als Abstiegskandidat zu gelten, ist ein bisschen verfrüht,“ sagte der ehemalige Nationaltorhüter im Sportclub des NDR.

Dennoch, so Adler weiter, stehe dem HSV eine schwierige Zeit bevor: „Wir brauchen positive Ergebnisse, aber momentan geht es nur über den Kampf. Wir haben willige, junge Spieler, die aber noch nicht das nötige Selbstvertrauen haben.“

Auch bei Jansen, der noch positiv herausstach, wächst die Sorge, dass der Fehlstart aus der Vorsaison (ein Punkt nach sechs Spielen) sogar noch getoppt werden könnte: "Wenn wir nach vier oder fünf Spielen immer noch ohne Punkte dastehen, dann wird es ganz eng." Dabei will der HSV doch bald groß feiern. Am 29. September soll es eine große Party zum 125. Geburtstag geben. Aber im Grunde passt das Jubiläum ganz gut in die Szenerie. Derzeit lebt der HSV nur noch von der Erinnerung - und einer Digitaluhr im Stadion.

Mit Material von SID