Ohne Berührungsangst beweist der Nationaltorhüter schon in den ersten Tagen beim HSV seine dringend benötigten Führungsqualitäten.

Finkenberg/Hippach. "Druck!", schallt es über den Platz des SK Hippach. Und noch mal: "DRUCK!" René Adler ist sauer. Gerade hat er während einer Trainingsform ein vermeidbares Tor kassiert, was ein anklagendes "Hey!" (übersetzt: Was soll das?) Richtung Abwehr zur Folge hat.

"Tendenziell bin ich total ehrgeizig und will jedes Trainingsspiel gewinnen", gibt Adler eine Stunde später zu. Der "Königstransfer des HSV" sitzt in der Lobby des Mannschaftsquartiers "Stock" und bestellt sich einen Latte macchiato. Seine zuvor schneidende Stimme hat längst einen moderaten Ton angenommen, als er davon erzählt, dass er sensibel darauf achtet, damit sein ausgeprägter Ehrgeiz nicht zu blockierender Verbissenheit mutiert.

Überhaupt, die Stimme. Während Jaroslav Drobny mit der Herausgabe seiner Worte so geizig umging, als handele es sich um Diamanten, sind Anweisungen für Adler eine Selbstverständlichkeit. Schließlich habe er die beste Übersicht aufs Spielfeld und könne die vor ihm postierten Spieler im besten Fall so stellen, dass der Gegner überhaupt nicht zu einer Chance komme.

Mit dem Ziel, die Kommunikation auf dem Platz zu verbessern, war Thorsten Fink beim HSV angetreten, doch am Ende der vergangenen Saison blieb die Erkenntnis, dass die Hamburger noch immer ein viel zu ruhiges Ensemble sind. Besonders das angedachte Innenverteidigerduo Michael Mancienne und Jeffrey Bruma soll Adler unterstützen. "Clever sprechen", nennt das der Torwart und meint, es bringe nichts, nur aktionistisch rumzuschreien.

Mit Fink hat Adler schon mehrfach über die Möglichkeiten der Spieleröffnung gesprochen. Der 27-Jährige, dessen fußballerische Fähigkeiten bereits hier in Österreich positiv auffallen, wird in Zukunft nicht nur als Dirigent der Defensive, sondern auch als erster Anspieler, als Spieleröffner fungieren. Erste Übungselemente ließen dies deutlich erkennen. "Für jeden Spieler sollte klar sein, wie es weitergeht, diese Automatismen gilt es, in jedem Training einzuüben, das gibt Sicherheit. Ab einer gewissen Zone gibt es Platz für Kreativität, für Risiko", so Adler.

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Aus der Mannschaft und dem Betreuerstab kommen positive Signale, wenn die Sprache auf ihn kommt. Ohne jede Berührungsängste oder Standesdünkel eines Nationaltorhüters scheint sich der frühere Leverkusener schnell zu integrieren - und dürfte auf Anhieb die Führungsrolle einnehmen, die sich auch die Verantwortlichen von ihm erhoffen. Denn wenn es eine Erkenntnis aus der jüngsten Zeit gab, dann die, dass es der im Umbruch befindlichen Mannschaft an Führung fehlt und an einer stabilen Hierarchie.

"Die Stärke eines Führungsspielers erkennt man auch daran, dass er weiß, welchem Spieler er härtere Worte an den Kopf werfen kann und bei welchem Kollegen es unangebracht wäre, weil er womöglich sofort anfangen würde zu zittern", sagt Adler ganz allgemein. Aber es wird deutlich, dass er gerade seinen Führungsstil beschreibt.

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Wenn Adler, der sich so fit präsentiert, als sei er nie verletzt gewesen, gestikuliert, kommt sein dezentes Tattoo am rechten Unterarm zum Vorschein. Das Datum "6.3." ist das Geburtsdatum seines Bruders Rico, der wiederum die Zahlen "15.1." von René trägt. Ein Ausdruck der Verbundenheit und der Freundschaft. "Rico ist mit der wichtigste Bezugspunkt in meinem Leben", sagt Adler und beschreibt seinen Bruder, mit dem er bis vor Kurzem noch unter einem Dach lebte und der jetzt als Unternehmensberater nach Stuttgart zieht, als einen gewissenhaften Arbeiter, der sich immer "brutal gut" vorbereitet. So wie er selbst. Einen Fototermin vor dem gestrigen Testspiel gegen eine Zillertalauswahl lehnte der gebürtige Leipziger ab, da ihm sonst die Zeit für die Vorbereitung fehlen würde.

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Adler plaudert über die Vorfreude, seine neue Heimat Hamburg zu entdecken, mit seiner Freundin durch Cafés zu tingeln, einen Lieblings-Italiener zu finden. Doch spätestens im zweiten Satz kehrt er zum eigentlichen Thema zurück, zum Erfolg, den er mit aller Macht anstrebt. Er, der ansonsten eher kontrolliert seine Worte wählt, spricht plötzlich von der nötigen "Geilheit am Laufen", von der "Freude am Jagen". Und er sagt ganz offen, dass er bereit ist, gerne Verantwortung zu übernehmen und ein gutes Gefühl habe in den ersten Tagen. "Das Klima ist gut, abends wird auch mal zusammen gepokert. Ich bin zuversichtlich, dass wir uns als Mannschaft weiterentwickeln. Der Respekt der jungen Spieler zu den Älteren ist vorhanden."

Und was die Trainingsarbeit auf dem Platz betrifft, so dürfte Adler, wenn nötig, dafür sorgen, dass sich bezüglich Konzentration und Disziplin keine Nachlässigkeiten einschleichen. Einer wie er, das ist der klare Eindruck nach dem 30-minütigen Gespräch, hat dem HSV gefehlt. Ein lautstarker Typ, der aber kein Lautsprecher ist.