An diesem Sonnabend soll Hamburgs Krise, die ihren Ursprung vor zwei Jahren hatte, vorerst gestoppt werden. Gegner heute wie damals: Bremen.

Hamburg. Michael Oenning wollte am Freitag keine großen Reden mehr schwingen. Der HSV-Trainer, der bereits am Donnerstag die Bedeutung der Partie bei Werder Bremen (Sa, 18.30 Uhr im Liveticker auf abendblatt.de) medial unterstrichen hatte, übernahm zumindest am Anfang des Abschlusstrainings in der Imtech-Arena die Rolle des stillen Zuschauers. Mit verschränkten Armen stand der Coach wahlweise am Mittelkreis oder am Spielfeldrand, nickte mal hier, mal da und klatschte bei besonders guten Aktionen aufmunternd in die Hände. "Jungs, wir stehen hinter euch" stand auf einem Plakat, das Fans auf Höhe der Mittellinie angebracht hatten. Ein dickes Ausrufezeichen unterstrich die Ernsthaftigkeit der Botschaft. Vier Spiele ohne Sieg, Tabellenplatz 18, 14 Gegentore. Keine Frage, die Lage ist ernst, so ernst wie lange nicht mehr.

Sollte der HSV auch das fünfte Bundesligaspiel in dieser Saison nicht gewinnen, dürften die sogenannten Mechanismen der Branche trotz aller Dementis früher oder später auch in Hamburg greifen. Dabei gibt es einen Konsens, dass sich die aktuelle Krise frühzeitig, weit vor der Zeit Oennings, angekündigt hatte. Als Ausgangspunkt der Misere darf der 7. Mai vor zwei Jahren herangezogen werden. Hamburgs damaliger Gegner: Werder Bremen.

Es wurde schon viel über die "Mutter aller Niederlagen", als der HSV im Rückspiel des Uefa-Cup-Halbfinals 2:3 gegen den Nordrivalen verlor und ausschied, geredet und geschrieben. Es wurde von Papierkugeln berichtet, von einer historischen Chance, die verpasst wurde, und vom Fußballgott, den es seit jenem Mai-Tag nicht mehr gibt. Fakt ist, dass sich der HSV von dieser Pleite, einer von dreien gegen Bremen innerhalb von zwei Wochen, nie mehr erholt hat. "Dieses Trauma wird immer bleiben", sagte damals Ex-HSV-Chef Bernd Hoffmann in einem Abendblatt-Interview.

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Wenig später folgte die Demission von Sportchef Dietmar Beiersdorfer, der sich mit Hoffmann irreparabel über die Frage gestritten hatte, ob man die Saison mit zwei Halbfinalteilnahmen als Erfolg einordnen durfte. Hoffmann fehlten die Siegertypen in einer Mannschaft, die zweifelsfrei zu den besten der Bundesliga gehörte, der aber der ganz große Wurf nicht gelingen wollte. Ohne Sportchef verpflichtete der HSV im folgenden Jahr Altstars wie Zé Roberto und Ruud van Nistelrooy, leistete sich teure Fehlgriffe wie Marcus Berg (zehn Millionen Euro) und David Rozehnal (5,13 Millionen Euro) und setzte mit Bruno Labbadia auf einen Trainer, der - trotz der erneuten Teilnahme am Europa-League-Halbfinale - derart viel zerbrochenes Porzellan hinterließ wie wohl kein HSV-Coach zuvor.

Als unter Labbadia auch noch die Qualifikation für die Europa League verpasst wurde, auch wegen einer entscheidenden 0:2-Niederlage in Bremen, setzte Hoffmann in der folgenden Saison auf die älteste und zugleich teuerste HSV-Mannschaft aller Zeiten sowie auf Trainer Armin Veh. In einer konzertierten Aktion sollte diesem Haufen von Gestrigen ein historischer Erfolg gelingen. Das Ergebnis ist bekannt: Veh wurde entlassen, der HSV wurde nur Achter und auch Hoffmann musste nach wochenlanger Schlammschlacht seinen Stuhl räumen. Unter Nachfolger Carl Jarchow wurde das zuvor heillos überzogene Budget zusammengekürzt, ein Umbruch verkündet und das Prinzip Jugend forscht propagiert. Neu-Sportchef Frank Arnesen musste mehr Geld einnehmen als ausgeben, Neu-Trainer Michael Oenning auf Talente statt auf Altstars setzen. Es ist ein "alternativloser Weg", so Jarchow, den der HSV bestreiten wollte und musste.

Vier Bundesligaspiele ohne Sieg später ist klar, dass nur ein Sieg an diesem Wochenende die Wende zum Guten bringen kann. "In unserer Lage ist jeder Punkt wichtig", sagt Slobodan Rajkovic, "jeder Punkt!" Der Neuzugang aus Chelsea soll erneut mit Heiko Westermann ein Bollwerk in der Innenverteidigung bilden. Den Vorwurf von Werders Torhüter Tim Wiese, er und die anderen Neu-Hamburger könnten die Bedeutung des 175. Derbys gar nicht begreifen, will Rajkovic auf dem Platz kontern. Verbal sehr viel deutlicher wurde dagegen Abwehrkollege Westermann, der ausnahmsweise in die Offensive ging: "Es ist bekannt, dass Tim Wiese eine lockere Zunge hat. Ich hoffe, dass wir ihm den Mund stopfen können."

Spätestens an diesem Sonnabend um 18.30 Uhr ist die Zeit der großen Worte vorbei. "Ein Derby ist ein Derby", sagt Westermann. Und dieses Derby, das wissen Westermann und Co. ganz genau, sollte der HSV besser gewinnen.