Der frühere HSV-Kapitän David Jarolim spricht Tacheles. Er fordert vor dem Nordderby gegen Bremen am Sonnabend mehr Konzentration.

Hamburg. Vor zwei Jahren noch Mannschaftskapitän, gilt David Jarolim auch nach seiner Demission als einer der absoluten Führungsspieler beim HSV. Dennoch blieb er zu Saisonbeginn von Trainer Michael Oenning unberücksichtigt. Im Nordderby am Sonnabend (18.30 Uhr im Liveticker auf abendblatt.de ) bei Werder Bremen soll der 32-jährige Tscheche wieder als Leader fungieren und das Bundesliga-Schlusslicht mit seiner Erfahrung in höhere Tabellenregionen führen. Im Abendblatt spricht der dienstälteste Hamburger Profi über seinen persönlichen Saisonstart, fehlenden Mut und über die Gründe, warum der HSV in Bremen gewinnen wird.

Hamburger Abendblatt: Herr Jarolim, würden Sie mit dem HSV notfalls auch in die Zweite Liga gehen?

David Jarolim: Diese Frage ist schwierig. Eigentlich darf ich sie gar nicht beantworten, weil ich mich mit dem Thema Abstieg gar nicht befassen möchte. Und ehrlich gesagt mache ich es auch nicht. Im Gegenteil: Wir sind stark genug, um nicht in Nöte zu geraten. Und ich werde am Sonnabend zusehen, dass ich meinen Teil dazu beitrage, jede Spekulation zu beenden.

Nimmt die Mannschaft tatsächlich nur Befürchtungen von außen wahr, oder ist Abstiegsangst intern ein Thema?

Jarolim: Dass wir einen schlechten Start hingelegt haben, ist Realität. Das wissen wir. Und darüber sprechen wir natürlich auch. Immerhin weiß jeder von uns, wie schnell es in die falsche Richtung gehen kann, wenn man nicht aufpasst. Für die Standortbestimmung reicht ein Blick auf die Tabelle. Aber wir wissen, dass wir besser werden.

Sie sprechen die Leistungssteigerung gegen Köln an. Wie viel ist die wert, wenn man letztlich keine Punkte geholt hat?

Jarolim: Das gute Spiel gegen Köln ist sehr viel wert, wenn wir jetzt gegen Bremen die Leistung bestätigen und in Punkte umsetzen. Es war eine deutliche Leistungssteigerung zu erkennen. Direkt nach dem Köln-Spiel saßen wir in der Kabine und waren einfach nur sauer. Sauer auf uns selbst, weil wir einen eigentlich sicheren Sieg durch einfachste Fehler verschenkt hatten. Da gab es keine Schuldzuweisungen, aber wir wussten: So darf es einfach nicht weitergehen. Ansonsten müssten wir uns doch mit dem unaussprechlichen Wort beschäftigen.

Trainer Michael Oenning sprach die vielen Gegentore als Hauptproblem an. Wie kriegt der HSV das in den Griff?

Jarolim: Indem wir noch kompakter werden. Zuletzt wurde das besser, auch wenn das bei vier Gegentoren gegen Köln seltsam klingt. Denn: Unsere Gegentore resultieren nicht aus einem Qualitätsmangel, sondern aus Konzentrationsschwächen. Wir haben Tore nach Standards bekommen, weil wir nicht das gemacht haben, was angesagt war. Aber ansonsten standen wir kompakter in der Verteidigung, haben das Zentrum vernünftig gesichert. Es ist jetzt ein ganz anderes Gefühl als in den ersten drei Spielen. Trotzdem muss uns allen klar sein, dass wir noch besser werden müssen. Gerade gegen Bremen.

Warum gerade gegen Bremen? Wegen des erhöhten Prestige-Grades eines solchen Nordderbys?

Jarolim: Klar. Werder-Spiele sind immer etwas Besonderes. Die Papierkugel, die uns vor zwei Jahren das Aus im Uefa-Pokal-Halbfinale bescherte, ist unvergessen. Bei den Fans wie bei uns Spielern. Ich habe schon Spiele gegen Bremen erlebt, die echt bitter waren. Aber andere waren auch wieder grandios. Es ist ein ganz besonderes Derby, für alle Beteiligten, auch für mich.

Weil es aktuell Ihr 300. Bundesligaspiel ist? Oder weil Sie gegen Bremen 2004 Ihr bislang einziges Kopfballtor in der Bundesliga erzielt haben?

Jarolim (lacht): Klar, das war geil. Langer Pass auf Mpenza, und ... nein, egal! Das ist Vergangenheit. Jetzt müssen wir in Bremen punkten. Nichts anderes zählt. Das haben wir auch den Neuen schon erklärt. Die wissen alle, wie wichtig gerade dieses Spiel ist.

+++ Schwaches Spiel starkgeredet +++

+++ HSV-Legenden in großer Sorge +++

Hat der Trainer Ihnen eigentlich erklärt, weshalb er in den ersten drei Spielen auf Sie verzichtet hat?

Jarolim: Ja, ich habe ihn angesprochen und gefragt. Das ist geklärt. Es ist auch nicht der Zeitpunkt, als Spieler Kritik zu äußern. Ich komme damit klar.

Zumal Sie das schon von den anderen HSV-Trainern kennen ...

Jarolim: Ja. Irgendwie ist das jedes Jahr so. Aber bis auf dieses Jahr habe ich dann trotzdem immer begonnen. Deshalb war ich anfangs schon überrascht.

War der Umbruch vielleicht zu radikal?

Jarolim: Das weiß ich nicht. Ich halte aber nichts davon, jetzt nach dem schlechten Start alles infrage zu stellen. Wir müssen das jetzt auch konsequent durchziehen und dazu stehen. Auch wenn wir dabei vielleicht am Anfang zu schnell zu viel verändern wollten. Unsere Neuen sind jung, teilweise gerade erst 18, 19 Jahre alt, und brauchen natürlich noch Zeit. Der eine mehr, der andere weniger. Wir haben im Moment sicherlich kein internationales Niveau. Bei Dortmund ging nach dem Umbruch aber auch nicht alles sofort gut. Und trotzdem, wenn ich mir unsere erste Elf ansehe, sehe ich genug Erfahrung auf dem Platz. Unser Kader sollte uns nicht beunruhigen. Wichtig ist, dass wir endlich anfangen zu punkten. Wir selbst sind doch für ein ruhiges Umfeld in Hamburg verantwortlich.

Empfinden Sie das denn schon als laut? Bislang halten sich die Pfiffe im Stadion doch noch in Grenzen.

Jarolim: Das stimmt, unsere Fans haben uns bislang bedingungslos unterstützt, wobei wir uns das gegen Köln erstmals in dieser Saison auch erarbeitet und verdient hatten. Und wenn uns Köln etwas gelehrt hat, dann, dass wir jetzt endlich aggressiver werden müssen. Wir müssen uns nicht schwachreden, sondern mutig sein. Dass wir richtig gut sein können, wissen wir. Diesmal wird Bremen für uns der Start in eine positive Serie.