St. Paulis André Schubert und HSV-Coach Michael Oenning diskutieren über den Zirkus Profifußball, Berufsalternativen und Dirk Nowitzki.

Hamburg. Der vereinbarte Treffpunkt liegt nahezu in der geografischen Mitte zwischen HSV und FC St. Pauli. Zum Abendblatt-Interview im Hotel Gastwerk erscheinen Michael Oenning und André Schubert sportlich gekleidet. Auch sonst haben die Cheftrainer der Hamburger Klubs viele Gemeinsamkeiten. Beide haben Germanistik und Sport studiert, beide nie höherklassig Fußball gespielt. Doch es gibt auch Unterschiede. Beim Blick in die Speisekarte entscheidet sich Schubert für Rumpsteak, Oenning wählt Schnitzel.

Abendblatt: Herr Oenning, Herr Schubert, Sie trennt ein Altersunterschied von sechs Jahren. Fühlen Sie sich trotzdem einer Trainergeneration zugehörig?

Michael Oenning: Ich halte von dem Begriff nichts. Ich bin 45 Jahre alt, damit sind sehr viele Trainer jünger als ich. Wir sind alles Einzelkämpfer, keine Trainergeneration.

André Schubert: Jeder hat seine Idee vom Fußball im Kopf. Man kann aber sagen, dass wir auf einer Wellenlänge liegen. Bei der letzten Trainertagung saßen wir sogar nebeneinander.

Was gab es zu besprechen?

Schubert: Ich habe Michael nach seiner Aufgabe beim HSV befragt, die damals ja nicht ganz einfach war.

War es tatsächlich so schwer?

Oenning: Natürlich war die Zusammensetzung unserer Mannschaft problematisch. Zusätzlich entstanden viele Probleme, die es durch die zahlreichen Baustellen im Verein gab.

Eine echte Mannschaft auf dem Feld haben die Fans vermisst.

Oenning: Das ist richtig, es gab zu wenige, die Verantwortung übernahmen. Wir hatten keinen charakterlosen Haufen, aber ein echter Mannschaftsgeist hat sich eben auch nie entwickelt.

Geben Sie die Hierarchie der Mannschaft vor, indem Sie Kapitän und Mannschaftsrat bestimmen?

Schubert: Ich bestimme den Kapitän, lasse das Team aber seinen Mannschaftsrat wählen. Eine Hierarchie kann man nicht bestimmen. Jürgen Klopp hat mal gesagt: "Der eine Chef auf dem Platz ist eine Legende." Er hat recht. Viele Spieler in einem Team sollten Verantwortung übernehmen.

Oenning: Ich habe mich noch nicht mal entschieden, ob ich den Kapitän bestimme oder ihn wählen lasse. Das hängt ganz einfach von der Zusammenstellung des Teams ab. Wenn die Spieler von alleine auf den gleichen Kapitän kommen wie ich, dann brauche ich auch keinen zu bestimmen.

Welche Qualitäten machen den Erfolg eines Trainers wahrscheinlicher?

Oenning: Der Fußball unterliegt einer ständigen Veränderung, und wir versuchen, ein Stück weit darauf Einfluss zu nehmen. Einen guten Trainer zeichnet aus, wenn er es schafft, seine Ideen mit der Mannschaft umzusetzen. Es reicht dabei nicht, heute eine Idee zu haben und die dann 30 Jahre lang zu verfolgen.

Schubert: Ich gucke mir ständig Fußball in unterschiedlichen Ligen an, um zu sehen, wie das Tempo ist, wie die Mannschaften agieren, wie sie bestimmte Situationen lösen. Man kann als Trainer keine Schablone haben.

Was hat Jürgen Klopp vergangene Saison besser gemacht als alle anderen?

Oenning: Ich kann nur meine Eindrücke aus den Spielen gegen Dortmund als Grundlage nehmen, und da waren die uns in vielen Dingen voraus. Aber lösen wir uns mal von Klopp und nehmen den FC Barcelona. Alle wollen so spielen wie die, aber das funktioniert nicht. Ich kann nicht sagen, jetzt spielen wir nur noch flache Bälle. Ich muss meine eigene Idee entwickeln.

Können Sie in wenigen Worten erklären, was Ihre Idee vom Fußball ist?

Oenning: Grundsätzlich kann man sagen, dass ich jemand bin, der sehr gerne offensiv spielen lässt. Mir ist wichtiger, dass man Tore schießt, als Tore zu verhindern. Trotzdem würde ich nie sagen, dass wir mit Hurra-Fußball nach vorne laufen.

Schubert: Bei mir ist das ähnlich wie bei Michael. Ich bin grundsätzlich auch offensiv ausgerichtet. Hinter dem Ball herlaufen ist totaler Mist. Es ist immer angenehmer, wenn du den Gegner laufen lässt, das Tempo variierst, Lücken suchst und dann auch noch Tore erzielst.

Es wird immer gesagt, man brauche die richtigen Charaktere in einer Mannschaft. Kann man als Trainer auch als Erzieher wirken?

Oenning: Als Trainer bist du Animateur, Dompteur, Psychologe, beim einen oder anderen auch Vaterersatz, du bist Regulativ, manchmal aber auch einfach nur Mittel zum Zweck. Aus einer Gesamtverantwortung kommst du also gar nicht heraus. Bei einer Gruppe von 25 Leuten kannst du den Einzelnen aber gar nicht hundertprozentig genau kennen. Zumal du ihn nur in der Berufswelt erlebst. Ich würde daher nie so vermessen sein, den Charakter eines Spielers verändern zu wollen.

Schubert: Die Frage ist doch auch, was überhaupt ein guter Charakter ist. Wie man das bewertet. Spieler sollen immer supernett sein, zur Begrüßung am Tisch aufstehen und beim Guten-Tag-Sagen in die Augen schauen. Aber auf dem Platz sollen sie kleine Drecksäue sein und sich wehren. Schwierig ist für mich ein Spieler, wenn ihn nicht interessiert, was die anderen machen, wenn ihm persönliche Ziele wichtiger sind als die der Gemeinschaft.

Muss man als Trainer auch mal gezielt in eine bestimmte Rolle schlüpfen?

Schubert: Also ich verstelle mich nicht, sondern verhalte mich so, wie ich es in einer bestimmten Situation für richtig halte. Das Ziel ist immer, dass der Spieler funktioniert. Dafür versuche ich mit ihm eine Ebene zu finden, auf der ich ihn unterstützen kann. Ich freue mich, wenn wir ein richtig gutes Verhältnis haben, aber ich möchte nicht mit einem Spieler befreundet sein.

Kann man den Beruf des Lehrers mit dem des Trainers vergleichen?

Oenning : Das ist schon sehr artverwandt, wir heißen ja auch Fußballlehrer. Wir stehen nur häufiger mal in kurzen Hosen auf dem Platz und die in der Turnhalle. Beides hat viel mit Kommunikation, mit Vermittlung zu tun.

Schubert: Im Profifußball kannst du anders als in der Schule von einer anderen Leistungsbereitschaft ausgehen. Bei den Spielern ist die in der Regel extrem hoch, in der Schule ist das nicht zwingend so. Da musst du damit leben, dass jemand sagt: "Wenn ich in dem Fach eine Vier habe, ist es auch gut."

Ist es ein Vor- oder ein Nachteil, dass Sie beide selbst nie in der Bundesliga gespielt haben?

Schubert: Mich hätte das für meine jetzige Arbeit nicht weitergebracht. Ich habe Fußball aus einem anderen Blickwinkel kennengelernt. Für die Spieler ist es entscheidend, wie kompetent du bist.

Oenning: Es gibt auch Trainer, die Weltmeister geworden sind, aber keinen Trainerschein hatten. Dass ein ehemaliger Bundesligaspieler der bessere Trainer ist oder eben nicht, kann niemand belegen. Es gibt einfach nur gute und schlechte Trainer.

Herr Schubert, Sie haben mal behauptet, dass Sie sich auch gut vorstellen könnten, abseits des großen Bundesligazirkus als Trainer zu arbeiten, beispielsweise als Jugendtrainer. Das klingt zu schön, um wahr zu sein.

Schubert: Ich meine das tatsächlich so, wie ich es gesagt habe. Mir bringt mein Job als Profitrainer wahnsinnig viel Spaß, aber ich bin nicht abhängig von dieser ständigen Aufmerksamkeit, die in unserem Geschäft normal ist. Ich glaube, dass man es als früherer Profi sehr viel schwieriger hat, aus diesem Zirkus mal auszubrechen. Wenn einem schon als Spieler jahrelang eingebläut wird, wie toll man doch ist, dann glaubt man es auch irgendwann.

Jeder Mensch braucht Bestätigung.

Schubert: Völlig richtig. Auch ich freue mich über Lob, Bestätigung und Anerkennung. Aber ich fühle mich trotzdem unabhängig genug, von heute auf morgen etwas völlig anderes zu machen. Ich empfinde zumindest nicht den Druck, unbedingt bis ans Ende meiner Tage als Profitrainer zu arbeiten. Ich hätte keine Probleme damit, wieder als Verbandssportlehrer anzufangen. Ich brauche lediglich so viel Geld, dass ich meinen Lebensstandard, der nicht sehr hoch ist, halten kann. Ich habe keine drei Frauen und keine zwei Autos.

Oenning: Man muss sich eine gewisse Unabhängigkeit bewahren, sonst geht man innerlich kaputt.

Sie könnten ohne Probleme von einen auf den anderen Moment aufhören?

Oenning: Niemand wird gerne entlassen. Aber wenn eines Tages der Tag gekommen ist, dass ich keine Lust mehr habe, dann höre ich eben als Bundesligatrainer auf. Es kann auch sein, dass ich bis zum Rentenalter Bundesligatrainer bleibe, aber ich spüre keinen Druck. Ich habe schon genügend andere Dinge im Leben gemacht, sodass ich weiß, dass es auch ein Leben abseits der Bundesliga gibt. Ich habe eine geistige Unabhängigkeit von der künstlichen Fußballwelt, die ich mir unter keinen Umständen nehmen lassen möchte.

In der vergangenen Bundesligasaison wurden 13 Trainer verschlissen. Kann oder muss man sich als Trainer an diese Kurzweiligkeit des Jobs gewöhnen?

Oenning: Wie sagt man so schön? Ein Teil des Trainergehalts ist Schmerzensgeld. Ich glaube aber schon, dass zumindest kurzfristig bei dem einen oder anderen Verantwortlichen ein Umdenken stattgefunden hat. Die zahlreichen Trainerwechsel sind jedenfalls eine Bankrotterklärung für den Fußball.

Machen langfristige Verträge für Trainer überhaupt noch Sinn?

Schubert: Gegenfrage: Machen kurzfristige Verträge mehr Sinn? Vielmehr muss man die Frage stellen, womit man die Position als Trainer stärken kann. In Spanien gibt es beispielsweise die Regel, dass man bei einer Entlassung sofort den Trainer bis zum Vertragsende ausbezahlt. Das hat aber nicht unbedingt dazu geführt, dass weniger Trainer entlassen, sondern dass mehr Ein-Jahres-Verträge abgeschlossen wurden. Als Trainer und somit Teil des Systems ist es schwierig, gegen das System etwas zu sagen.

Man kann also gar nichts machen?

Schubert: Wenn man als Trainer kein Erfolg hat, dann ist man weg. So einfach ist das. Wenn ich heute mit handelnden Personen zusammensitze und meinen Vertrag bespreche, dann weiß ich doch auch, dass sie es sind, die mich bei einem negativen Lauf entlassen werden. So ist nun mal das Geschäft. Trotzdem arbeite ich vertrauensvoll mit ihnen zusammen.

Die Vielzahl der Entlassungen in der vergangenen Saison bleibt ungewöhnlich.

Schubert: In der Gesellschaft gibt es nur noch Schwarz oder Weiß, warum soll das im Fußball anders sein. Man konnte in der vergangenen Woche den Eindruck gewinnen, dass Dirk Nowitzki nach dem Meistertitel in der NBA über das Wasser laufen kann. Bei allem Respekt vor seiner überragenden Leistung, aber da wurde medial übertrieben.

Oenning: (lacht) Wenn einer über das Wasser laufen kann, dann Nowitzki.

Schubert: Na ja, er ist 2,13 Meter groß. Vielleicht ragt sein Kopf ja aus dem Wasser. Aber im Ernst: Heutzutage muss alles immer besser, schneller oder größer sein. Es geht nur noch um Extreme. Deswegen ist es für mich nicht überraschend, dass auch im Fußball so viele Trainer entlassen wurden.

Oenning: Im Endeffekt ist es doch immer das Gleiche. Wahrscheinlich werden die Trainer als Konsequenz der vergangenen Saison zunächst mal ein wenig geschützt. Und irgendwann gibt es dann die nächste Entlassungswelle. Man mag das gut oder schlecht finden, ändern wird man es nicht können.

Ist es tatsächlich so einfach, wie es sich anhört?

Oenning: Kein Trainer wird sich über die Zustände ernsthaft beschweren, weil sie so sind, wie sie sind. Das ist wirklich so einfach. Womit man sich als Trainer dagegen manchmal schwertut, ist diese temporäre Hetzjagd. Verliert man zweimal, wird der Daumen gesenkt gewinnt man zweimal in Folge, ist man dagegen der Heilsbringer. Rational ist das nicht zu erklären.

Ihre Beförderung zum HSV-Chef an der Seitenlinie wurde schon mit Skepsis aufgenommen. Hat Sie das getroffen?

Oenning: Das darf einen Trainer persönlich nicht treffen. Jeder Cheftrainer muss wissen, dass er mit seinem Vertrag gleichzeitig auch seine Entlassung unterschreibt.

Sie gelten bei Wettanbietern bereits als Topkandidat für die erste Entlassung.

Oenning: Ich nehme es schmunzelnd zur Kenntnis, dass ich bei den Wettanbietern als Topkandidat aller Trainer, die als Erste fliegen, gehandelt werde. Ich bin Tabellenführer, das kann nicht jeder von sich behaupten.

Herr Schubert, sind Sie dagegen über den Vertrauensvorschuss, den man Ihnen in der Öffentlichkeit entgegenbringt, überrascht?

Schubert: Ich habe mir keine Gedanken über mögliche negative Reaktionen gemacht, aber ich war positiv überrascht, das muss ich zugeben.

Oenning: Der FC St. Pauli hat genau die richtige Entscheidung getroffen. Es ist wirklich keine einfache Aufgabe, einen Verein, der gerade abgestiegen ist, zu übernehmen. Aber ich traue André diese Aufgabe voll und ganz zu.

Die große Rivalität, die man St. Pauli und dem HSV nachsagt, scheint es zwischen Ihnen ja nicht zu geben.

Schubert: Eine gewisse Rivalität zwischen den beiden Vereinen habe ich als Zugereister schon mitbekommen. Michael und ich kennen uns ganz einfach schon etwas länger.

Was trauen Sie sich denn gegenseitig in der kommenden Saison zu?

Oenning: Ob St. Pauli aufsteigt, kann in diesem Moment weder ich noch André beantworten. Ein zweiter Bundesligaverein in der Stadt würde Hamburg aber sicherlich gut tun.

Schubert: Was den HSV betrifft, so ist es vielleicht gar nicht so wichtig, wie der Verein die kommende Saison abschließt. Viel wichtiger ist es doch, dass der Klub nach all den Trainerwechseln in den vergangenen Jahren mal zur Ruhe kommt und konsequent eine Strategie verfolgt. Es mag Wunschdenken sein, aber nur so wird der Verein auch langfristig wieder Erfolg haben.