Frank Arnesen war vor Ort und hat sich für den bisherigen HSV-Co-Trainer als Chefcoach entschieden. Aber ist er auch der Richtige?

Hamburg. Nach Wochen des Zögerns ging gestern Nachmittag plötzlich alles ganz schnell. Mittags landete Frank Arnesen am Hamburger Flughafen, traf sich zunächst mit seinen Vorstandskollegen und anschließend mit Interimstrainer Michael Oenning. Knapp drei Stunden später, kurz bevor sich der designierte Sportchef zurück zum Flughafen kutschieren ließ, stand fest, was sich seit fünf Wochen ohnehin schon angedeutet hatte: Oenning, der noch vor Ostern einen neuen Vertrag unterschreibt, bleibt auch nach der Saison Cheftrainer des HSV.

Obwohl Arnesen stets nachgesagt wurde, dass er im Gegensatz zu seinen Vorstandskollegen Kopenhagens Stale Solbakken präferiere, stand die Entscheidung zugunsten Oennings intern schon seit einigen Tagen fest. Die neue HSV-Führungsspitze mit Carl Edgar Jarchow und Joachim Hilke hatte sich frühzeitig für den gebürtigen Münsterländer starkgemacht. Zum einen wollte man für Arnesens Favoriten Solbakken keine fällige Ablöse zahlen, die dessen unterzeichneter Vertrag als Norwegens Nationaltrainer vorsah. Zum anderen traute man Oenning das Großprojekt einer zu verjüngenden Mannschaft eher als dem Bundesliga-unerfahrenen Norweger zu. Nun soll die Ära Oenning bereits heute Vormittag beginnen, wenn der 45-Jährige seine erste Einheit als offizieller Cheftrainer leitet.

Aber was kann dieser Oenning eigentlich, was Armin Veh und Bruno Labbadia nicht konnten? Beide Vorgänger wurden nach nicht mal einem Jahr auf der HSV-Bank entlassen. "Michael Oenning hat in Nürnberg ein Bewusstsein implementiert, mit jungen Nachwuchsspielern erfolgreich zu arbeiten", sagt Nürnbergs Manager Martin Bader, der Oenning vor drei Jahren zu seiner ersten Stelle als Cheftrainer verhalf. "Michael ist ein kommunikativer Trainer, der aber nicht alles so verbissen sieht", lobt Bader, der dem HSV zu der Trainerentscheidung gratuliert.

Oenning hatte die alternde Klub-Mannschaft von Vorgänger Thomas von Heesen in der Saison 2008/09 im Mittelfeld der Zweiten Liga übernommen, holte im Winter die damals völlig unbekannten Talente Stefan Reinartz, Marcel Risse (beide Leverkusen), Dennis Diekmeier (Werder Bremen II) und Ilkay Gündogan (VfL Bochum II) und stieg am Ende der Saison nach einem formidablen Endspurt über die Relegation auf. Der studierte Deutsch- und Sportlehrer, der stets die Trainingsjacke dem edlen Sakko vorzog, verkörperte perfekt das Klischee des "jungen Wilden" auf der Trainerbank, der dem Nachwuchs endlich eine Chance gab.

Oennings Jugendkonzept stand in Nürnberg nie infrage, einzig die Fortsetzung in der Bundesliga gestaltete sich schwieriger als erwartet. Als nach dem rasanten Aufstieg Co-Trainer Peter Herrmann die Franken gen Leverkusen verließ, ging mit ihm auch ein entscheidender Faktor im damaligen Erfolgsgespann auf der Trainerbank. Viele Beobachter vermuteten, dass der jetzige Assistent von Jupp Heynckes in Nürnberg für die entscheidenden Trainingsinhalte gesorgt hatte, Oenning nur stiller Betrachter gewesen sei. Als bald darauf der sportliche Erfolg ausblieb, wurde Oenning vorgeworfen, die Mannschaft nicht mehr im Griff zu haben. "Der Trainer hat Veränderungen vorgenommen, doch diese haben nicht gegriffen", sagte Bader damals. Dabei wurde Oenning in Nürnberg ausgerechnet sein Vertrauen in den Nachwuchs zum Verhängnis. Vertrauen sei etwas, das man sich erarbeiten müsse, sagte Routinier Andreas Wolf und kritisierte Nürnbergs vermeintlichen Jugendwahn. Oenning blieb seiner Linie treu - und musste nach einer Serie von vier Niederlagen in der Winterpause 2009/10 gehen.

Beim HSV will der Vielgelobte das Projekt "Jugend forsch" trotz seiner Erfahrungen beim Klub wieder aufnehmen. Noch vor seiner Beförderung zum Cheftrainer überzeugte er Vorgänger Veh, Heung Min Son und Muhamed Besic aus dem Nachwuchs zu den Profis zu holen. Und während Son sofort einschlug, will Oenning Besic langsam aufbauen. Auch Gündogan musste zunächst ein halbes Jahr bei den Profis in Nürnberg mittrainieren, ehe er ihn für seine Geduld am letzten Spieltag der Aufstiegssaison belohnte. In der folgenden Saison machte Oenning den gereiften Gündogan zum Stammspieler.

Viele Grundsatzänderungen in der Stammformation beim HSV hat Oenning nach der Entlassung Vehs nicht vollzogen. Dem furiosen Auftaktsieg als Cheftrainer gegen Köln folgten drei alles in allem enttäuschende Unentschieden gegen Hoffenheim, Dortmund und Hannover. Eine faire Bewertung seiner Arbeit muss allerdings bis in den Sommer verschoben werden, wenn Oenning aus den kostengünstigen Bausteinen, die Arnesen ihm dann zur Verfügung stellt, ein neues Haus errichten soll.

"Michaels größtes Plus ist seine Empathie. Er kann sehr gut mit jungen Menschen umgehen, auch weil er die Gabe hat, sich selbst nicht so wichtig zu nehmen", sagt Marc Kosicke, der Oenning seit zwei Jahren beratend zur Seite steht. Der frühere Nike-Manager, der auch Dortmunds Jürgen Klopp, Stuttgarts Bruno Labbadia und St. Paulis Holger Stanislawski betreut, ist von Oennings fachlicher Qualität überzeugt: "Nicht umsonst hat er lange Marcel Reif als Co-Kommentator geholfen."

Oennings Co-Zeiten beim HSV sind dagegen endgültig vorbei. Seine erste Amtshandlung hatte allerdings nur wenig mit Taktik oder Technik zu tun. Anders als unter Vorgänger Veh erlaubte der Hobby-Pianist seinen Profis, in der Kabine wieder Musik zu hören. Lediglich bei der Auswahl und der Lautstärke wolle er als "sanftes Regulativ" fungieren. Ob Oenning aber auch abseits der Kabine wieder für Musik beim HSV sorgen kann, wird sich wohl erst in den kommenden Monaten zeigen.