Zu Beginn der Saison in der Bundesliga war der Jubel beim Hamburger SV und FC St. Pauli groß, jetzt herrscht in der Hansestadt Ernüchterung.

Hamburg. Nach dem steinigen Weg in die Top 20 Europas droht dem HSV erneut eine lange Leidenszeit. Neu-Chef Jarchow will die Hoffnung aber nicht aufgeben.

Im letzten Heimspiel gegen Hannover 96 war es mal wieder soweit. Gut eine Stunde war das Spiel alt, zweimal hatte Mladen Petric auf das Tor geschossen, dreimal hatten Hannovers Fußballer einen Versuch gewagt. Ansonsten passierte auf dem Rasen vor allem eines: nichts. Und gerade als es auf der Nordtribüne, wo die Treusten der Treuen stehen, unruhig zu werden drohte, stimmten einige HSV-Anhänger "Hermann Rieger"-Sprechchöre an. Zehn Minuten ging das so: auf dem Feld passierte nichts, auf den Rängen wurde Hamburgs Kultmasseur bejubelt.

"Es ist bezeichnend, wenn der größte Held eines Klubs nicht auf dem Platz steht, sondern der Masseur ist." Diesen Satz hat Ex-HSV-Chef Bernd Hoffmann gesagt. Nicht nach dem Spiel gegen Hannover vor zwei Wochen, sondern vor sechs Jahren in einem Hamburger Café. Und bevor Missverständnisse aufkommen, muss hinzugefügt werden, dass Hoffmann keineswegs Riegers Verdienste missen wollte. Viel mehr ging es dem damaligen Klubchef darum, für Aufbruchstimmung zu sorgen. "Das Mittelmaß lag wie Mehltau auf dem HSV", sagte Hoffmann, und kündigte tollkühn an, dass er "mit einer Mischung aus Selbstbewusstsein und hanseatischen Understatement" innerhalb von fünf Jahren unter die Top 20 Europas, nach zehn Jahren unter die Top Ten wolle: "Ohne Ziele wirst du nichts."

Was aus den Hoffmannschen Zielen wurde, ist längst bekannt. Der HSV steigerte seinen Zuschauerschnitt von 46 000 auf 54 000, den Jahresumsatz von 66 auf 146 Millionen Euro und die Mitgliederzahl von 17 000 auf 71 283. Vor allem aber schaffte es der HSV tatsächlich vom 92. auf den 13. Platz der europäischen Rangliste zu klettern, aktuell belegt er immerhin Platz 19. Nur ein Ziel, und das wurde einmal mehr im Spiel gegen Hannover deutlich, wurde verfehlt: Auch sechs Jahre nach Hoffmanns angekündigter Offensive ist der größte Held des Klubs keiner der Fußballmillionäre, die erfolglos einem Titel hinterher jagen, sondern noch immer die einzige Konstante des Vereins neben dem Chaos: Kultmasseur Rieger.

Hoffmann ist mittlerweile Geschichte beim HSV. Nun ist es Nachfolger Carl-Edgar Jarchow, der für echte Aufbruchstimmung sorgen soll. Der gerade erst bestellt Vorstandsvorsitzende sitzt im Stadionrestaurant "Die Raute", guckt auf den grünen Rasen und rührt langsam mit einem Löffel in seinem Tee herum. Sein Problem: Der Weg seines Vorgängers war nicht nur steinig, sondern auch teuer. Sehr teuer. So kündigte Jarchow als erste Amtshandlung an, den stetig gewachsenen Etat "drastisch zu senken", den Gehaltsetat sogar von 47 Millionen Euro auf 35 bis 37 Millionen Euro zu reduzieren. "Unter meiner Führung wird es keine horrende Neuverschuldung geben", sagt er.

Aber auch Jarchow kennt Hoffmanns Motto "Ohne Ziele wirst du nichts." Der FDP-Politiker ist optimistischer Realist, will sich und den Fans das Träumen nicht verbieten. "Meine Vision ist es, in den kommenden fünf Jahren einen Titel zu gewinnen", sagt Jarchow dem Abendblatt, und fügt ein leises "mindestens den DFB-Pokal" hinzu. Wichtiger als ein kurzfristiger Titelgewinn ist dem 56-Jährigen, dass der Verein nach zwei wahrscheinlichen Jahren Europa-Abstinenz möglichst bald wieder dort vertreten ist, wo der Klub unter Hoffmann siebenmal in Folge war. "Mein Ziel ist es, dass wir irgendwann dauerhaft um die Champions-League-Plätze mitspielen können", sagt Jarchow. Und natürlich weiß der frühere Westkurvenfan, dass man für derartige Vorhaben auch Geld braucht. Jede Menge Geld. "Vereine wie Hannover und Mainz zeigen doch, dass man auch mit einem kleinen Etat im Konzert der Großen mitspielen kann", kontert Jarchow, gibt aber zu, dass man "natürlich Geld benötigt, um sich im Konzert der Großen zu etablieren."

Die Liste mit Namen, die den Verein in diesem Sommer verlassen sollen, ist längst geschrieben. Lang ist sie geworden. Jarchow hofft nun, dass mit Sportchef Frank Arnesen und Trainer Michael Oenning, der im Rahmen seiner Co-Moderatoren-Tätigkeit gestern für Sky das Champions-League-Duell zwischen Real Madrid und Barcelona verfolgte, endlich Ruhe in den Verein einkehrt. Vorstand und Aufsichtsrat arbeiteten schon immer hart, meist nur gegeneinander und gern öffentlich. "Hier wird es ja nie langweilig", sagt Jarchow, der früher selbst Hermann Rieger mit Sprechchören gefeiert hat. Jarchow nimmt einen Schluck, versichert, dass viele wichtige Entscheidungen in den kommenden Wochen getroffen werden und verabschiedet sich.

Abwarten und Tee trinken eben, auch das ist ein Motto.

(Von Kai Schiller)

Mit dem Aufstieg machte der FC St. Pauli Hamburg zur Fußballhauptstadt. Auch nach einem Abstieg will der Verein seinen Prinzipien treu bleiben.

Helmut Schulte erscheint mehr als die akademische Viertelstunde zu spät zum Termin. "Wichtige Gespräche", entschuldigt er sich und fügt schnell hinzu: "Ich werde nicht sagen, mit wem ich gesprochen habe."

Der Sportliche Leiter des FC St. Pauli führt derzeit viele Gespräche. Mit potenziellen neuen Trainern, neuen Spielern und mit denen, die derzeit im Verein angestellt sind. Keine leichte Aufgabe, denn die ungeklärte Trainerfrage bremst die Kaderplanung für die neue Saison. "Unsere Mühlen mahlen langsam", gibt Schulte zu. Ein neuer Trainer, der laut Schulte vom Präsidium und ihm selber gesucht wird, muss auf allen Ebenen, also auch vom Aufsichtsrat abgesegnet werden. Das sei etwas altmodisch, aber ein Prinzip des Vereins. Dadurch sind die Möglichkeiten, mit eventuellen Neuzugängen zu verhandeln, stark eingeschränkt. "Je schneller wir einen Trainer finden, desto besser. Es wäre wünschenswert, dass der neue Trainer bei Spielerverpflichtungen schon mitredet."

Doch es geht nicht nur um Neuverpflichtungen, sondern auch um verdiente Spieler des derzeitigen Kaders. "Wir wollen alle Stammspieler halten", sagt Schulte und meint damit die 16 Spieler mit den meisten Einsätzen. "Das könnte schwierig werden, wenn wir die Klasse nicht halten." Klar ist, dass Bastian Oczipka, Gerald Asamoah und Thomas Kessler den Verein verlassen, wenn der Abstieg nicht noch verhindert wird. Auch Carlos Zambrano, dessen Vertrag auch für die Zweite Liga gilt, hat Schlupfwinkel in seinem Kontrakt stehen, die ihm andere Perspektiven ermöglichen. Max Kruse kann selbst entscheiden, ob er beim FC St. Pauli bleibt oder nicht, kündigte aber an in der Bundesliga spielen zu wollen. Die gute Nachricht: Laut Schulte gibt es für Matthias Lehmann bislang kein offizielles Angebot eines anderen Vereins. Das ändert aber nichts daran, dass sich die Mannschaft und der Trainerstab zur neuen Saison stark verändern werden. Es steht ein sportlicher Umbruch bevor, insbesondere dann, wenn die Zukunft Zweite Liga heißt.

Von der sportlichen Veränderung weitgehend unberührt bleibt das Hauptziel des Vereins bestehen: Die Etablierung unter den Top-25 Vereinen in Deutschland. Der mögliche Abstieg käme zwar früh, doch die gefestigten Strukturen des Vereins werden daran nicht zerbrechen. Der Klub ist wirtschaftlich auf die Zweite Liga vorbereitet - und macht sogar einen Schritt nach vorne. "Der Zweitliga-Etat läge bei rund 24 Millionen Euro", sagt Geschäftsführer Michael Meeske. Das wären zwar 16 Millionen Euro weniger als in der derzeitigen Bundesliga-Saison, aber fast ein Drittel mehr als in der letzten Spielzeit im Unterhaus 2009/2010. Die größten Verluste müsste der Verein durch die geringeren TV-Einnahmen verkraften, die Verträge mit den wichtigsten Sponsoren sind jedoch langfristig angelegt und werden lediglich "angepasst", wie Meeske erläutert. Auch in der neuen Spielzeit machen die Einnahmen aus dem Sponsoring rund 40 Prozent des Etats aus. Zudem verlängern sich die meisten Verträge im Hospitality-Bereich. Der Verein hatte mit 25 Prozent Kündigungen im Businessbereich zum 31. März kalkuliert, letztlich haben weniger als 20 Prozent der Kunden ihren Platz aufgegeben. "Unsere Struktur funktioniert auch in der 2. Liga", sagt Meeske. Diese beinhaltet unter anderem das Prinzip der Erfolgsbeteiligung. Alle Angestellten des Vereins müssen im Falle des Abstiegs mit einer Gehaltsreduzierung rechnen, dafür müssen aber keine Stellen gestrichen werden. Zudem werden Investitionen in Projekte, die langfristig Einsparungen bringen könnten, kurzfristig aber keinen Ertrag für den sportlichen Bereich beisteuern, auf Eis gelegt.

Auch der nächste Schritt vom Projekt Stadionausbau ist nicht in Gefahr. "Wir haben von Anfang an so kalkuliert, als würden wir langfristig in der Zweiten Liga spielen", sagt Meeske. "Es ändert sich nichts an den Fakten. Das heißt aber auch, dass wir Finanzierungshilfen einer Bank brauchen."

Die Finanzierung eines neuen Funktionsgebäudes am Trainingszentrum an der Kollaustraße sei laut Meeske als Bundesligaklub zwar einfacher, aber auch in der Zweiten Liga realisierbar. Dass der Um- und Neubau nicht bereits begonnen hat, wie es ursprünglich geplant war, begründet Schulte, der das Projekt betreut, mit den Verzögerungen, die es schon beim Bau des Rasen- und Kunstrasenplatzes gegeben hatte. Und das finale Okay von der Vereinsspitze fehle noch. "Aber irgendwann wird der Bagger kommen", sagt Schulte. Die Mühlen mahlen langsam beim FC St. Pauli. Aber sie mahlen stetig.

(Von Bastian Henrichs)