Der Vertrag von Michael Oenning läuft bis 2012 - sein Engagement als neuer Trainer des Hamburger SV allerdings nur bis Saisonende.

Hamburg. Michael Oenning hatte kaum Platz genommen, da wurde der neue Cheftrainer des HSV auch schon mit der ersten heiklen Frage seiner Amtszeit konfrontiert. "Oha, da gehen wir ja gleich in die Vollen", antwortete Oenning, angesprochen auf die Personalie Frank Rost. Ob der Torwart, der sich nach dem 0:6 in München äußerst kritisch über die Vereinsführung und die derzeit vorherrschenden Arbeitsbedingungen beim HSV geäußert hatte, auch am Sonnabend gegen Köln zur Startelf gehören wird? "Vereinspolitisch gibt es noch eine andere Ebene", verweist der Trainer auf den Vorstand, "aber bei mir steht er im Tor. Ich habe mit ihm lange gesprochen. Und wir sind uns beide einig, dass wir der Mannschaft noch viel geben können."

Mit Rost als Torwart und Oenning als Cheftrainer - als Nachfolger des am Sonntag beurlaubten Armin Veh.

Dabei will er die neue Rolle ausdrücklich nicht vermisst haben. Als beurlaubter Cheftrainer des 1. FC Nürnberg war der Münsterländer zu Saisonbeginn als Assistent Armin Vehs zum HSV gekommen. Ein Karriere-Rückschritt, den der 45-Jährige bewusst getan hatte. Der ihn sogar befreit hatte. "Ich finde es angenehmer, nicht mehr die Bürde der Entscheidung zu tragen", hatte er damals gesagt. Und er klang glaubhaft.

Heute widerlegt er sich selbst: "Es wird eine andere Rolle auf mich zukommen - jetzt als Entscheider." Oenning scheut die neue Verantwortung nicht. Auch wenn er die heikle Entscheidung in der Personalie Rost wieder an den Vorstand zurückgab. Immerhin leitete Oenning bereits seit der Wintervorbereitung die Trainingseinheiten, während Veh eher als Beobachter am Rande stand.

Oennings erster Auftritt als Cheftrainer überzeugte. Mit einer großen Portion Selbstkritik und geschliffener Rhetorik wusste der studierte Deutsch- und Sportlehrer auch schwierigste Fragen nachvollziehbar zu beantworten. Immer mit dem Tenor, sich selbst nicht zu wichtig zu nehmen und den Teamgedanken in den Vordergrund stellen zu wollen, erzeugte der ehemalige Verbandstrainer sympathische Aufbruchsstimmung und einen Hauch lange vermisster Harmonie. "Wir müssen hier nichts schönreden", sagte er offen. "Es ist schon eine besondere Situation, die besonders kluge Reaktionen braucht. Ich werde mit der Mannschaft versuchen, dass alle das Gleiche denken und alle das Gleiche machen. Es wäre vermessen, hier jetzt in dieser Situation große Ziele zu erklären. Aber es ist klar, dass wir das alles noch schaffen können." Und, klare Ansage: "Die erste Reaktion davon will ich schon am Sonnabend gegen Köln sehen."

Und zwar eine offensive. So wie sich Oenning für seinen Anteil an der bisher enttäuschenden Saison nicht verteidigt ("Ich habe alle Entscheidungen voll mitgetragen. Hätte auch ich gehen müssen, hätte ich das akzeptiert"), will er seine Spieler agieren sehen. "Ich schieße lieber viele Tore, als nur welche zu verhindern. Ich mag die Dinge lieber selbst regeln", so Oenning, der für seine künftigen Entscheidungen den ehemaligen HSV-Profi und zuletzt Trainer der eigenen U 23, Rodolfo Cardoso, als Assistenten bekommt. Er kennt den Argentinier schon lange und nennt ihn "einen sehr positiven Menschen", der viel Ahnung von Fußball habe.

Gemeinsam wolle man andere Akzente setzen. "Aber klar ist, dass ich hier nichts grundlegend verändere. Ich bin kein Freund von Aktionismus."

Oenning gilt zwar als durchaus ehrgeizig, aber eben auch besonnen. Der ehemalige Band-Musiker ist klar strukturiert und hat seinen Lebensplan, wie er sagt, bislang immer umsetzen können. Er ist frei von Eitelkeiten, trägt lieber lässige Freizeitkleidung als Anzüge.

Jetzt also Cheftrainer. "Das bin ich gern." Nur: wie lange? Sein Vertrag läuft zwar bis 2012, die neue Rolle als Cheftrainer aber vorerst nur bis Saisonende. Er weiß, dass der künftige Sportchef Frank Arnesen einen Trainer für die nächste Saison sucht. In Dänemark wird spekuliert, dass Nationaltrainer Morten Olsen ein neuer Kandidat sein könnte "Wenn man mich fragt, kann der Verein die Suche einstellen", sagt Oenning.

Selbst wenn es beim HSV nicht über die Saison hinaus weiterginge, könnte er es ertragen: "Ich werde eh nicht bis 65 in kurzen Hosen am Rande stehen." Alternativen zum Fußball habe er genügend. "Geistige Freiheit" nennt Oenning die Ursache für seine spürbare Gelassenheit. Vielleicht ist es genau das, was dem HSV in den derzeit so stürmischen Zeiten helfen kann.