Vor dem Derby am Sonntag wird wieder viel über vermeintliche Unterschiede zwischen dem HSV und dem FC St. Pauli berichtet. Warum eigentlich?

Hamburg. Als am 2. Mai 2010 der sich ankündigende Aufstieg St. Paulis in die Bundesliga auch rechnerisch feststand, fasste Bernd Hoffmann gleich zwei Beschlüsse. Erstens: Der HSV-Chef ließ einen offiziellen Brief aufsetzen - von ihm und Vorstandskollegin Katja Kraus unterschrieben -, mit dem er dem Lokalrivalen offiziell zur Rückkehr in die Bundesliga gratulierte. Und zweitens: Hoffmann drängte auf ein zeitnahes Meeting auf der Geschäftsstelle, bei dem besprochen werden sollte, welche Auswirkungen St. Paulis Aufstieg - sportlich, wirtschaftlich und vor allem perspektivisch - unmittelbar für den HSV haben könnte.

Beide Vereine freuen sich über Rekordeinnahmen aus dem Sponsoring

Fast neun Monate später und wenige Tage vor dem Derby in der Imtech-Arena am kommenden Sonntag haben Hamburgs Verantwortliche Gewissheit, dass Hoffmanns Sorge vor der ungewohnten Situation unbegründet war. "Trotz der neuen Konkurrenzsituation konnten wir unsere Zahlen auf einem hohen Niveau halten", sagt HSV-Vorstand Kraus, die erkannt hat, dass Hamburg offenbar groß genug ist, um zwei Bundesligaklubs zu beheimaten. Der eine oder andere Stadionbesucher mag zwar die Farbenkombination von Schwarz-Weiß-Blau zu Braun-Weiß gewechselt haben, der große Kampf um Geldgeber blieb aber aus. Der HSV - Gesamtetat: 140 Millionen Euro - konnte seine Sponsoreinnahmen auf 43 Millionen Euro in die Höhe treiben, dazu wurden 97 Prozent der 50 vereinseigenen Logen, die pro Saison zwischen 85 000 und 250 000 Euro einbringen, verkauft. Und auch der FC St. Pauli - Gesamtetat: 40 Millionen Euro - hat keinen Grund zu klagen. Obwohl am Millerntor noch immer keine Ecke und kein Foul von einem Presenter angekündigt wird, hat der Kiezklub seine Werbeinnahmen durch insgesamt 108 Sponsoren nach der Rückkehr in die Beletage des Fußballs auf 16 Millionen Euro gesteigert. Zudem wurden 100 Prozent der 39 Logen, die ganz kreativ Separees genannt werden und immerhin zwischen 60 000 und 90 000 Euro einbringen, verkauft. Finanziell hat sich der Aufstieg also für St. Pauli gelohnt, dem HSV aber gleichzeitig nicht geschadet.

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Hauptgrund dafür ist nach Meinung von Hartmut Zastrow, Vorstand der Sponsoringberatung Sport + Markt, das starke Markenprofil, das sowohl den HSV als auch den FC St. Pauli auszeichnet. "Der HSV und der FC St. Pauli sind beide sehr starke Marken. Und beide Vereine können durch ihre Marke sehr gutes Geld verdienen." So stehe der HSV vor allem für das alte Hamburg, für die Hansestadt und für das Establishment. St. Pauli gelte dagegen als rebellisch, unkonventionell und unberechenbar. "Die Verantwortlichen des Klubs haben es erstklassig geschafft, dieses etwas andere Image nachhaltig zu vermarkten. St. Pauli kommerzialisiert die Idee, nicht kommerziell zu sein", sagt Zastrow, der im Markenbereich beide Klubs auf Champions- League-Niveau sieht: "Im Imagebereich ist St. Pauli auf Augenhöhe mit dem HSV." Ohnehin muss die Frage erlaubt sein, ob sich die beiden einstigen Erzfeinde nach all den Jahren in unterschiedlichen Ligen - nach der einzigen Heimniederlage 1977 spielten der HSV und St. Pauli in insgesamt 26 von 34 Jahren in unterschiedlichen Klassen - tatsächlich noch so fremd wie früher einmal sind. Während St. Paulis Fans zu Zweitligazeiten Hansa Rostock zum neuen Feindbild auserkoren hatten, ist beim HSV die Abneigung zum Nordrivalen Werder Bremen stetig gewachsen. "Natürlich ist bis mindestens Sonntag St. Pauli unser großer Konkurrent. Allerdings hat sich die Rivalität in den vergangenen Jahren etwas zu Bremen hin verschoben", gibt HSV-Sportchef Bastian Reinhardt offen zu. Während die neue Konkurrenz zwischen Werder und dem HSV ausschließlich sportliche Gründe aufweist, hat die fehlende Brisanz zwischen St. Pauli und dem HSV auch ideologische Gründe. Denn anders als früher geht es beim Spiel zwischen dem HSV und St. Pauli nicht mehr um ein Duell reich gegen arm und schon gar nicht um rechts gegen links.

Beim HSV gibt es mittlerweile genauso viele Bündnisse gegen Homophobie, Fremdenhass und Sexismus wie es sie seit Ewigkeiten beim Stadtrivalen gibt. Auf beiden Seiten ist es selbstverständlich, politisch aktiv zu sein - außerhalb und innerhalb des Vereins. Während die einen als Sozialromantiker gegen zu viel Vermarktung und Kommerz kämpfen, lehnen sich die anderen gegen Investoren und Fremdkapital auf. Beim Bier in der Kneipe - das würde so wohl nie einer aus den beiden Fangruppen zugeben - dürften sich die Anhänger des HSV und von St. Pauli ganz vorzüglich verstehen. Aus den Welten, die früher die beiden Hamburger Klubs trennten, sind heutzutage nur noch die 5,81 Kilometer zwischen den beiden Stadien geblieben.

Beide Vereine überlegen, diesmal mehr Derbystimmung als 2010 zu erzeugen

Und auch auf offizieller Ebene versteht man sich bestens. Vor dem Hinspiel duellierten sich Reinhardt und St. Paulis Präsident Stefan Orth fleißig beim Tischfußball, die Trainer tranken an der Außenalster ein Glas Wein zusammen, und HSV-Profi Guy Demel und St. Paulis Charles Takyi trafen sich zum verbalen Freundschaftsspiel vor dem Spiel. "Es fehlte nur noch, dass wir uns alle rosa Röckchen anziehen", kritisierte nur HSV-Haudegen Frank Rost die neue Friede-Freude-Eierkuchen-Beziehung der beiden Klubs.

Ganz so harmonisch soll es in dieser Woche allerdings nicht zugehen. Mit der einen oder anderen verbalen Spitze darf durchaus gerechnet werden. Die beiden Klubs sollen sogar überlegt haben, diesmal ganz bewusst etwas mehr Derbystimmung zu erzeugen, heißt es.

Wirklich nötig ist das wohl nicht. Der Klassenkampf mag zwar Geschichte sein, ein Derby bleibt aber ein Derby. Zumindest für 90 Minuten.