Mit seinen Nachwuchs-Teams spielt der Hamburger SV noch in einer anderen Liga als St. Pauli - Derbysiege feiert trotzdem der Kiezklub.

Hamburg. Wenn St. Pauli am Sonntag das Stadtduell gegen den HSV gewinnen sollte, wäre es nicht der erste Derbysieg in dieser Saison, der am Millerntor bejubelt würde. Vor zweieinhalb Wochen gab es schon mal großen Applaus, als Stadionsprecher Rainer Wulff bei der Partie gegen Hoffenheim den 3:1-Erfolg der braun-weißen B-Jugend in der Bundesliga Nord/Nordost gegen den Erzrivalen verkündete. Auch die U-14- und U-11-Mannschaften des Kiezklubs haben zuletzt vorgemacht, wie man den HSV ärgern kann.

Für das Team um Leiter Joachim Philipkowski in St. Paulis Nachwuchsleistungszentrum am Brummerskamp in Schnelsen ändern die jüngsten Erfolge dennoch nichts an der Tatsache, dass man zwar häufig in einer Klasse mit dem HSV, aber insgesamt noch längst nicht in der gleichen Liga spielt. "Wir wollen irgendwann deren Level erreichen", sagt Philipkowski, der als Trainer die U 19 des Kiezklubs betreut und diese in die A-Junioren-Bundesliga führen will, wo sich die Talente dann ebenfalls mit dem HSV messen könnten.

Wie unterschiedlich die Möglichkeiten in der Nachwuchsförderung bei den Vereinen noch sind, lässt sich unter anderem an Sternen ablesen. Diese vergeben der Deutsche Fußball-Bund und die Deutsche Fußball-Liga per Zertifikat. Während der HSV seit diesem Jahr über das Maximum an drei Sternen verfügt, würde man sich bei St. Pauli über den ersten freuen. Vor Kurzem gaben Philipkowski und Co. der Kommission schriftlich Auskunft zu über 500 Punkten vom Ausbildungsplan bis zur Personalausstattung. Ende des Monats kommen die Inspektoren zum Praxistest, führen Gespräche, beobachten Trainingseinheiten und Spiele. "Wir hoffen, dass wir die nötige 50-Prozent-Bewertung erreichen", sagt Philipkowski. 2007 bei der ersten Zertifizierung hatte St. Pauli nur 33 Prozent erreicht.

Seither hat sich allerdings viel getan, die sportmedizinische Betreuung wurde verbessert, Mentalcoaching eingeführt. "Wir sind personell und auch durch viele Projekte jetzt viel besser aufgestellt", meint Claus Teister, Sozialpädagoge und Leiter von St. Paulis 2004 für 278 000 Euro eingerichtetem Jugendtalenthaus, in dem fünf Spieler dauerhaft und ein Gast wohnen können.

Bei der Sichtung setzt St. Pauli auf kurze Wege, gemeint ist ein Radius von rund 150 Kilometern. "Ich habe schon viele Spieler gesehen, die mit 15 oder 16 Jahren aus ihrem Umfeld gerissen wurden", sagt Philipkowski. "Viele fühlen sich dann nicht wohl, können sich deshalb gar nicht optimal entwickeln." Ziel der Nachwuchsabteilung ist es, mindestens ein Talent pro Jahrgang bereit für den Sprung in den Lizenzspielerkader zu machen. In den vergangenen Jahren gelang dies beispielsweise bei Davidson Drobo-Ampem, Dennis Daube oder Jan-Philipp Kalla. Rundum zufrieden ist Philipkowski, der eng mit Profitrainer Holger Stanislawski zusammenarbeitet, dennoch nicht. "Wir wollen sie so ausbilden, dass sie auch spielen", sagt Philipkowski. "So weit sind sie bislang noch nicht." Zuletzt erhielt mit U-19-Akteur Deniz Herber einer von insgesamt drei aktuellen Junioren-Nationalspielern einen Profivertrag.

Etwa eine Million Euro steckt St. Pauli pro Jahr in die Nachwuchsarbeit, hinzu kommen 375 000 Euro von der Abteilung Fördernde Mitglieder (AFM), mit denen unter anderem die laufenden Kosten für das Jugendtalenthaus gedeckt werden. Einen mit 5,5 Millionen Euro deutlich höheren Jugendetat hat der HSV. Dafür herrscht aktuell eine etwas hektisch wirkende Umbruchstimmung. Hauptverantwortlich hierfür zeichnet Paul Meier, der neue sportliche Leiter der HSV-Jugend. Der vom kurzfristig abgesprungenen Urs Siegenthaler Installierte sorgt mit seiner Art für Aufsehen. Immer wieder unterbrach er Trainingseinheiten, stellte sich auf den Platz und zeigte, wie er sich besseres Training vorstellt. Was anfänglich als respektlos empfunden wurde, stößt inhaltlich inzwischen auf Gegenliebe. "Meiers Trainingsinhalte, seine Verbesserungsvorschläge bieten eigentlich immer gute, neue Ansätze", weiß Pit Reimers, Trainer der D2-Jugend.

Auch ein Grund, weshalb Meier inzwischen den langjährigen Jugendchef Stephan Hildebrandt ablöste. "Unter meinem Vorgänger Dietmar Beiersdorfer ist schon sehr viel angeschoben worden", sagt HSV-Sportchef Bastian Reinhardt, "und diesen Weg werden wir jetzt forcieren." Konzeptionell wusste Reinhardt am Dienstag bereits den Aufsichtsrat zu begeistern, inhaltlich soll Meier jetzt die neuen Strukturen umsetzen. So wird künftig in allen Jugendteams das gleiche 4-4-2-System gespielt. Ausnahmen gibt es nicht. "Wir müssen unseren Nachwuchs taktisch besser schulen", sagt Reinhardt, wissend, dass der HSV trotz seiner großen Möglichkeiten in den Jugend-Bundesligateams schon der Konkurrenz im Norden (Hannover, Bremen, Wolfsburg, Hertha BSC) hinterherläuft. "Es muss unser Anspruch sein, bundesweit wieder konkurrieren zu können."

Denn, obwohl der HSV 13 (plus fünf weitere, die dabei waren, aber aktuell nicht nominiert sind) Jugendnationalspieler in den eigenen Reihen weiß, ist die Durchschlagquote vergleichsweise gering. Mit Heung-Min Son rückt gerade wieder einer der 15 Internatsspieler (inklusive Son) ins Profiaufgebot, zudem steht mit Muhamed Besic ein weiteres Talent im Bundesligakader.

Und obwohl das jährlich 400 000 Euro teure Leistungszentrum des HSV bei der Zertifizierung bundesweit am besten abschnitt, hat es in den letzten Jahren kein Talent wirklich geschafft. Eric-Maxim Choupo-Moting durfte wie Sidney Sam (jetzt Leverkusen) und Änis Ben Hatira (eigene Zweite) Profiluft schnuppern. Zwar hat der HSV bundesweit die drittmeisten Spieler des Jahrganges 1990 und jünger im Profibereich, Stammspieler wurde aus der HSV-Jugend in den letzten zehn Jahren aber niemand. Ausgenommen vielleicht jetzt Rouwen Hennings. Aber der wurde es ausgerechnet beim FC St. Pauli.