Im Sommer wird ein Umbruch forciert. Noch haben die Profis vier Spieltage Zeit, sich zu empfehlen - Gladbachs Dante im Gespräch.

Hamburg. Das Bild, das sich Bernd Hoffmann am Abend des 7. Mai im vergangenen Jahr in der Kabine bot, hat sich bis heute im Kopf des HSV-Chefs festgesetzt. Gerade hatten seine Hamburger 2:3 gegen Werder Bremen verloren, waren somit zum zweiten Mal in zwei Wochen in einem entscheidenden Halbfinale an dem Nordrivalen gescheitert und drohten auf der Zielgeraden der Saison sämtliche Ziele zu verpassen. Als also Hoffmann nach dem Schlusspfiff gegen 22.45 Uhr in die Katakomben der Nordbank-Arena eilte, konnte der Klubboss nicht fassen, was ihn dort erwartete: statt am Boden zerstörte Fußballer und weinende Männer sah der HSV-Boss, wie ein Spieler einen Tisch beim Italiener bestellte und ein anderer mit seiner Frau am Telefon scherzte - ein Anblick, das schwor sich Hoffmann, den er so nie wieder sehen wollte.

Fast ein Jahr ist dieses Szenario nun her, und noch immer beschäftigt die Führungsriege die Frage, ob das Team mittlerweile charakterlich gefestigt ist. Noch vier Bundesligaspiele dauert die Bewährungsphase, dann will man im Sommer die Entwicklung der einzelnen Profis genau analysieren. Hoffmann möchte mit jedem Spieler Einzelgespräche führen, entschlossen Perspektiven oder eben fehlende Perspektiven aufzeigen. Gemeinsam mit Vorstandskollegin Katja Kraus, dem designierten Sportchef Urs Siegenthaler und Trainer Bruno Labbadia will er die endgültige Charakterfrage stellen - und nur wer sie zufriedenstellend beantworten kann, soll auch im kommenden Jahr für den HSV auflaufen dürfen. "Unsere Planungen laufen bereits seit einiger Zeit, jetzt werden die Gespräche noch mal intensiviert", sagte Labbadia.

Nach Abendblatt-Informationen ist bereits jetzt klar, dass sich das Gesicht der Mannschaft grundsätzlich verändern soll. Während Frank Rost als Führungsspieler im Tor noch ein letztes Jahr gesetzt bleibt, wird die Defensive vor ihm eine Zäsur über sich ergehen lassen müssen. So soll Guy Demel ernsthafte Konkurrenz auf der rechten Außenbahn bekommen, zudem wird unter Hochdruck nach einem Nachfolger Jerome Boatengs in der Innenverteidigung gesucht. Nach Abendblatt-Informationen dürfen sich neben Gladbachs Brasilianer Dante (26) in erster Linie hochkarätige Talente aus Deutschland, Frankreich und der Schweiz Hoffnungen auf den Platz neben Joris Mathijsen in der Zentrale machen. Keine große Rolle in den Planungen spielt trotz seiner stattlichen Körpergröße dagegen David Rozehnal, der zwar keinen Charaktertest befürchten muss, allerdings sportlich nicht überzeugen konnte. Linksverteidiger Dennis Aogo muss sich keine Gedanken machen, er bleibt gesetzt.

Aus Beraterkreisen erfuhr das Abendblatt, dass neben einem Innen- und einem Außenverteidiger besonders auch ein zentral-defensiver Mittelfeldspieler gesucht wird. Bislang galten vor der Abwehr die reifen David Jarolim und Zé Roberto als gesetzt, allerdings ist es kein Geheimnis, das der Brasilianer ein gut dotiertes Angebot von Red Bull New York vorliegen hat. Sein Weggang würde schmerzen, allerdings ist der frühere Bayernstar nach einigen Eskapaden intern nicht unumstritten. Stimmt die Ablöse, würde man Zé Roberto wohl ziehen lassen. Durch die netto zehn Millionen Euro für Boateng, die Manchester City auf einen Schlag überweisen muss, und einem Gewinn von bislang sieben Millionen Euro aus der Europa League, der durch eine Finalteilnahme auf zehn Millionen Euro steigen könnte, sind finanzielle Mittel für den Umbruch vorhanden.

Im offensiven Mittelfeld gilt alleine Marcell Jansen als gesetzte Stammkraft. Eljero Elia hat zweifellos großes Potenzial, allerdings scheint die mentale Stärke des Niederländers nicht mit der fußballerischen Entwicklung mithalten zu können. Ein Verkauf dürfte aber nur bei einem Millionen-Angebot zur Debatte stehen. Anders ist die Sachlage bei Piotr Trochowski, der in den Plänen Labbadias offenbar keine Rolle spielt. Bleibt der Trainer, dürfte der Nationalspieler das Weite suchen. Wolfsburg und Leverkusen sollen Interesse haben. Ein möglicher Nachfolger stünde in den eigenen Reihen parat: der an Kaiserslautern ausgeliehene Sydney Sam. Der Flügelflitzer wurde in den vergangenen Wochen intensiv beobachtet, eine Zukunft in Hamburg gilt zwar als unwahrscheinlich, aber eine Entscheidung soll erst in Kürze folgen.

Im Angriff wurde in dieser Woche die erste Entscheidung gefällt: Macauley Chrisantus wird ein weiteres Jahr an den KSC ausgeliehen. An der ersten Sturmreihe mit Mladen Petric und Ruud van Nistelrooy dürfte sich auch im kommenden Jahr nichts ändern, allerdings steht noch immer ein kleines Fragezeichen hinter der Zukunft von Paolo Guerrero. Schraubt dessen Berater Rodger Linse die Gehaltsforderungen nicht deutlich nach unten, dürfte der Peruaner im Sommer ablösefrei wechseln.

Fragt man Bernd Hoffmann nach den offenen Personalien, betont dieser, dass der Charakter den Ausschlag geben wird. Schließlich weiß auch er, dass nach drei Trainern in drei Jahren, mehr als jeweils 20 Ein- und Verkäufen in den vergangenen zwei Jahren und nun auch noch einen neuen Sportchef bei ausbleibendem Erfolg zukünftig noch ganz andere Fragen gestellt werden könnten. Diese ehrlich zu beantworten, wäre dann ein echter Charaktertest.