Ottmar Hitzfeld lobt den DFB-Chefscout, der beim HSV im Sommer wohl Sportchef wird. Oliver Bierhoff freut sich für den 62-Jährigen.

Hamburg. Bruno Labbadia? Der Trainer hält dicht. "Nicht meine Baustelle." Bernd Hoffmann? Die gleiche Mauertaktik, wenn auch löchriger. "Wenn die Aufsichtsratssitzung schon gewesen wäre, könnte ich mich äußern", kommentierte der HSV-Vorsitzende die Personalie Urs Siegenthaler. Der Schweizer, bis zum 31. Juli noch beim Deutschen Fußball-Bund als Chefscout unter Vertrag, soll nach der WM den seit Juni verwaisten Posten des Sportchefs in Hamburg besetzen. Die Details des Vertrages sind besprochen. Gut möglich, dass der 62-Jährige wie zuvor Dietmar Beiersdorfer einen Vorstandssitz erhält. Denkbar auch, dass Siegenthaler bei der Sitzung der Kontrolleure am Dienstag selbst sein Konzept vorträgt.

Erst am Abend lüftete Oliver Bierhoff den Vorhang des Schweigens. "Siegenthaler hat mich schon vor längerer Zeit angesprochen", bestätigte der Nationalmannschaftsmanager in Barsinghausen beim Jahrestreffen des Niedersächsischen Fußballverbandes das Werben des HSV. "Wir freuen uns, wenn Kräfte, die wir in der Nationalmannschaft installiert haben, bei Bundesligisten auf Interesse stoßen. Wir haben Siegenthaler die freie Wahl der Entscheidung gelassen, unter der Voraussetzung, dass er bis nach der WM bleibt."

Dass der HSV mit Siegenthaler einen guten Fang machen würde, davon ist Ottmar Hitzfeld fest überzeugt. "Ich kenne Urs seit vielen Jahren, habe früher beim FC Basel mit ihm zusammen gespielt", sagte der Schweizer Nationaltrainer zum Abendblatt. "Er war ein ganz guter Verteidiger, schaffte es ja auch ins Nationalteam. Und er kann Spiele hervorragend analysieren."

Da Siegenthaler seit 2005 eine Vielzahl an Spielen und Spielern für den DFB unter die Lupe genommen habe, besitze dieser laut Hitzfeld "erstklassige Kenntnisse über den internationalen Spielermarkt. Für eine Sportchef-Rolle ist genau diese Vernetzung sehr wichtig. Er wäre bestimmt eine gute Wahl für den HSV."

Die HSV-Profis Marcell Jansen und Piotr Trochowski wissen die wertvollen Informationen Siegenthalers vor Länderspielen zu schätzen. Dank der Programme der Düsseldorfer Firma Mastercoach kann Siegenthaler nicht nur DVDs mit Auffälligkeiten des Gegners zusammenstellen, sondern auch die Leistungen der deutschen Teams sezieren - sogar im Trainingsbetrieb. Das System, das computergestützte Analysen ermöglicht, indem Spielzüge aus der Totalen aufgenommen werden, nutzen in der Liga etliche Klubs - auch der HSV.

"Er ist eine Bereicherung für jeden Klub, seine Analysen sind super, Urs ist ein sehr positiver Mensch, der seine Arbeit extrem genau und gut macht", lobt Jansen, und Trochowski pflichtet bei: "Er hat uns immer bestens vorbereitet." Auch mithilfe von Studenten der Kölner Sporthochschule, die Zeitungsberichte aus aller Welt auswerteten. Ein Auge hat Siegenthaler aber nicht nur für Taktiken oder Standardschwächen. Seinen Job versteht er so, die schadhaften Stellen im System aufzuspüren. Diese können genauso im emotionalen Bereich eines Mannschaftsverbundes (Nerven, Stress, Ärger) liegen.

Siegenthaler soll jedoch vor allem das Konzept der gezielten Nachwuchsförderung, verbunden mit einer entsprechenden Persönlichkeitsentwicklung beim HSV, vorantreiben. "Ein Fußballspieler muss lernen, eine Aufgabe konzentriert und systematisch anzugehen", sagte Siegenthaler in einem "Spiegel"-Interview. "Im modernen Fußball sind Fähigkeiten gefragt, die man nicht auf dem Fußballplatz erlernt, sondern in der Schule."

Sätze wie diese dürften Hoffmann und Vorstandskollegin Katja Kraus von Siegenthaler überzeugt haben. Zentraler Kritikpunkt von Hoffmann an Beiersdorfer war in der Vergangenheit die zuletzt wenig berauschende Bilanz beim Nachwuchs. Nach Beiersdorfer haben auch Bernd Legien (Scouting) und Jens Todt (Leiter des Nachwuchsleistungszentrums) den Klub verlassen. Hier besteht akut Neuorganisationsbedarf.