Der 21 Jahre alte Venezolaner spricht im Abendblatt über seine schwere Kindheit, den Tod seiner Mutter und seinen unbändigen Willen.

Belek. Es ist kein Geheimnis, dass Tomas Rincon immer für einen Spaß zu haben ist. Nach dem Vormittagstraining im Trainingslager in Belek steuert der HSV-Profi schnurstracks auf ein Golfcart zu, um sich die 400 Meter Fußweg zum Hotel zu sparen. Und dass gerade kein Fahrer vom Hotel zu sehen ist, scheint den lebenslustigen Venezolaner nur bedingt zu stören. Im anschließenden Gespräch mit dem Abendblatt in der Lobby präsentiert sich der 21-jährige Südamerikaner dann von einer ganz anderen Seite.

Rincon spricht ernst, sachlich und ruhig über seine harte Zeit als Jugendlicher, die ihn schneller zum Erwachsenen gemacht, aber den Spaß am Leben nicht genommen hat. Nur eins will der Überflieger der vergangenen Wochen nicht sein: ein Star.

Abendblatt:

Herr Rincon, wer ist Tomas Rincon?

Tomas Rincon:

(lacht) Diese Frage müssen Sie mir erklären.

Abendblatt:

Obwohl Sie als Gewinner der Hinrunde gelten, ist kaum etwas über Sie bekannt. Stellen Sie sich doch mal vor.

Rincon:

Ich bin auf jeden Fall eine sehr ruhige Person. Und anders als häufig berichtet, komme ich nicht aus Caracas, sondern aus San Cristóbal. Meine Heimatstadt ist mir sehr wichtig. Ich liebe den Fußball und bin ein glücklicher Mensch, auch wenn ich eine schwierige Kindheit hatte. Ich musste sehr hart arbeiten, um da anzukommen, wo ich jetzt bin.

Abendblatt:

Warum hatten Sie eine schwierige Kindheit?

Rincon:

Meine Mutter ist bei einem Autounfall gestorben, als ich 14 Jahre alt war. Der Tod meiner Mutter war natürlich ein harter Schlag für mich. Kinder und Jugendliche brauchen eine Mutter - und ich hatte von einem auf den anderen Moment keine mehr. Für mich war das schlimm, weil ich sie über alles geliebt habe. Ich habe ihr alles zu verdanken, und noch immer denke ich jeden Tag an sie.

Abendblatt:

Wie hat sich Ihr Leben verändert?

Rincon:

Ich musste danach doppelt so hart kämpfen - nicht nur auf dem Fußballplatz, sondern vor allem im normalen Leben. Plötzlich musste ich mich um meine kleine Schwester kümmern, obwohl ich gerade mal 14 Jahre alt war. Ich musste lernen, Verantwortung zu übernehmen und von einem auf den anderen Tag ernsthafter und erwachsener zu werden. Es war nicht leicht für mich, aber es hat mich gleichzeitig stärker gemacht.

Abendblatt:

Dabei kann man von Ihnen einen ganz anderen Eindruck gewinnen: Sie lachen viel, erzählen gerne Witze und gelten als Spaßvogel im Team. Sind Sie wirklich glücklich?

Rincon:

Ich bin sogar sehr glücklich, besonders wenn meine Familie in meiner Nähe ist. Natürlich war der Tod meiner Mutter ein schwerer Schicksalsschlag, aber das Leben muss ja weitergehen. Demnächst werden meine Schwester Imalay und mein Cousin Franco nach Hamburg kommen, dann wird es mir noch besser gehen. Ich bin ein Familienmensch. Ich brauche meine Familie, um glücklich zu sein.

Abendblatt:

Als Sie vor einem Jahr nach Hamburg wechselten, waren Sie ganz alleine, Sie kannten weder die Sprache noch Land und Leute. Gab es mal einen Moment, wo Sie daran gezweifelt haben, dass Sie es tatsächlich beim HSV schaffen können?

Rincon:

Natürlich gab es im letzten Jahr sehr schwierige Momente, besonders weil ich in den ersten Monaten kaum spielen durfte. Ich war schon traurig, aber wenn man Ziele hat, dann muss man sich durchsetzen. Ich habe nie die Hoffnung aufgegeben, habe versucht, mich im Training immer anzubieten, und irgendwie wurde ich dafür dann auch belohnt.

Abendblatt:

Warum waren Sie so sicher, dass Sie es schaffen werden?

Rincon:

Fußball hat immer ein bisschen mit Glück, aber vor allem mit harter Arbeit zu tun. Ich wusste, dass ich es nur beim HSV schaffen werde, wenn ich jeden Tag und in jedem Training an mir arbeite. Und das habe ich dann auch gemacht.

Abendblatt:

In Hamburg ist der Rummel um Ihre Person überschaubar, in Venezuela sind Sie dagegen ein Star. Was gefällt Ihnen besser?

Rincon:

Natürlich ist es schön, wenn die Leute einen mögen. Aber ich habe nie davon geträumt, ein Star zu werden. Ich habe nicht mit Fußball angefangen, um Autogramme zu geben und überall erkannt zu werden. Als Kind habe ich auf der Straße gespielt, später in einer Fußballschule. Und alle Freunde haben einfach nur davon geträumt, Fußballprofi zu werden.

Abendblatt:

Ihr Traum hatte sich spätestens erfüllt, als Ihr auslaufender Leihvertrag beim HSV kurz vor Weihnachten um dreieinhalb Jahre verlängert wurde. Wovon träumen Sie jetzt?

Rincon:

Ich träume zunächst mal davon, möglichst viel zu spielen. Ich will mir einen Stammplatz erkämpfen. Wenn ich das geschafft habe, wäre es ein noch größerer Traum, wenn ich mit dem HSV auch mal einen Titel gewinnen könnte.

Abendblatt:

Haben Sie gar keine Angst, dass Sie Ihren gerade erkämpften Stammplatz erneut an Zé Roberto verlieren könnten, wenn er wieder zurück ist?

Rincon:

Ich habe vor nichts und niemandem Angst - schon gar nicht davor, meinen Stammplatz an Zé Roberto zu verlieren. Im Gegenteil: Ich bin stolz, mit so einem Spieler zusammenspielen zu dürfen. Jeder weiß, was er in seiner Karriere geleistet hat. Wenn er wieder da ist, wird er natürlich spielen. Aber ich werde weiter kämpfen, dass auch ich auf irgendeiner Position einen Platz bekomme.

Abendblatt:

Beim Rückrundenstart gegen Freiburg sollen Sie in der Viererkette hinten rechts aushelfen. Können Sie sich mit der ungewohnten Position anfreuen?

Rincon:

Ich spiele da, wo mich der Trainer aufstellt. Und wenn er mich im Tor aufstellt, dann spiele ich eben im Tor.

Abendblatt:

Sie sind nun ziemlich genau ein Jahr in Hamburg. Sprechen Sie schon Deutsch?

Rincon:

Ich verstehe es ein wenig, aber ich spreche es noch nicht so gut. Vor den Weihnachtsferien hatte ich Unterricht bei einer Lehrerin am Goethe-Institut, und sobald wir aus dem Trainingslager zurück sind, geht der Unterricht weiter.

Abendblatt:

Unter HSV-Fans ist es beliebt, sein Kind Joris nach Joris Mathijsen zu nennen. Kann man davon ausgehen, dass irgendwann der Name Tomas in Hamburg an Bekanntheit gewinnt?

Rincon:

Warum nicht? Der eine oder andere Tomas mehr in Hamburg hätte doch was.

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