Im Jahr 2012 laufen die Verträge von vier Spitzensportlern aus. Auf dem Spiel steht die Zukunft des Leichtathletik-Standorts Hamburg.

Hamburg. Uwe Florczak wird bei den deutschen Leichtathletik-Meisterschaften an diesem Wochenende in Bochum wahrscheinlich etwas nervöser sein als sonst. Für den Bundestrainer und seine Weitsprunggruppe geht es um die Teilnahme an den Olympischen Spielen in London (27. Juli bis 12. August), die Sehnsucht von vier Jahren Arbeit. Aber diesmal steht für Florczak, 51, noch mehr auf dem Spiel: seine Zukunft in Hamburg. 2009 hatte er seinen Sitz von Paderborn hierher verlegt, um eine leistungsstarke Springergruppe zu etablieren. Doch mit den Olympischen Spielen laufen auch die Verträge von vier seiner Leistungsträger beim HSV aus: Sebastian Bayer, Mario Kral, Nadja Käther und Anika Leipold. Und noch hat sich der Verein nicht klar dazu bekannt, ob und unter welchen Bedingungen sie fortgesetzt werden.

Etwa 110 000 Euro lässt sich der HSV seine Spitzenathleten, zu denen auch Hürdensprinter Helge Schwarzer gehört, jährlich kosten. Etwa die Hälfte dürfte dem zweimaligen Halleneuropameister Bayer zukommen. Den Anstoß zu dem Engagement im Hochleistungsbereich hatte vor drei Jahren der damalige Vorstandsvorsitzende Bernd Hoffmann gegeben. Doch unter dem Eindruck der angespannten Finanzlage des Vereins geriet es zuletzt auf den Prüfstand. Erst am Dienstag hat HSV-Vorstand Joachim Hilke im Abendblatt-Interview hervorgehoben, dass alle Aktivitäten außerhalb des Kerngeschäfts Profifußball mit dem Schicksal der Bundesligamannschaft verknüpft seien: "Wenn der Erfolg ausbleibt und der Umsatz sinkt, werden wir uns manche Dinge nicht mehr leisten können."

Im Mai hatte der HSV bereits seine Fußballerinnen wegen eines Fehlbetrags von 100 000 Euro aus der Bundesliga abgemeldet. Sollte auch die Leichtathletikabteilung, mit etwa 800 Mitgliedern eine der größten bundesweit, ihre sportlichen Aushängeschilder abmontieren müssen, hätte das weitreichende Folgen. Denn einen anderen Verein, der die Gruppe finanzieren könnte, gibt es in der Stadt nicht. Bereits im vergangenen Jahr war Florczaks Tochter Sinje, mit 6,64 Metern Deutschlands aktuell drittbeste Weitspringerin, nach Paderborn gewechselt. Der HSV hatte ihr eine finanzielle Unterstützung verweigert.

Spätestens nach der EM in Helsinki (27. Juni bis 1. Juli) wird der Deutsche Leichtathletik-Verband den Standort Hamburg überprüfen. Wenn Florczak nicht nachweisen kann, dass er auch künftig vor Ort Athleten betreut, würde er wohl an einen anderen Standort versetzt. Auch die Anerkennung Hamburgs als Bundesleistungsstützpunkt Sprung, die der Hamburger Verband (HLV) beim Deutschen Olympischen Sportbund beantragt hat, wäre damit hinfällig. "Die Verbandsarbeit der letzten Jahre steht auf dem Spiel. Wenn jetzt alles zusammenbrechen sollte, würde auf absehbare Zeit kein Topathlet mehr nach Hamburg wechseln", fürchtet HLV-Geschäftsführer Frank Thaleiser. Vor allem aber drohte die Leichtathletikhalle in Winterhude - Baukosten: 15 Millionen Euro - nur sechs Jahre nach ihrer Fertigstellung zum Denkmal zu werden. Sie wurde erst kürzlich um einen Kraftraum und eine 250 000 Euro teure Weitsprungmessanlage erweitert - bezahlt von der öffentlichen Hand.

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Entsprechend eindringlich machte Sportsenator Michael Neumann (SPD) den HSV-Vorsitzenden Carl Jarchow bei einem Treffen in der Bürgerschaft auf die Folgen eines Rückzugs für den Sportstandort Hamburg aufmerksam. Offenbar nicht ohne Erfolg. Jarchow (FDP) stellte ihm eine Verlängerung der Sportlerverträge in Aussicht. "Wir sehen gute Möglichkeiten, unser Leichtathletik-Projekt fortzusetzen. Unterschrieben ist aber noch nichts", sagte er auch dem Abendblatt. Gedacht sei zunächst an Kontrakte über ein oder zwei Jahre, "den Zeitraum, den wir mit unserer Budgetplanung verantwortlich überblicken können" - aber noch nicht über den gesamten Olympia-Zyklus bis 2016. Im Unterschied zu den Fußballerinnen gebe es für die Leichtathleten Sponsoren und die finanziellen Verpflichtungen für den HSV seien geringer, sagte Jarchow. Am Dienstag trifft sich HSV-Vorstand Hilke mit Renko Schmidt, Vizepräsident Leistungssport des Hamburger Sportbundes, um über die weitere Entwicklung zu sprechen.

In der Vergangenheit hatte sich die Hoffnung des HSV, nicht allein auf den Kosten sitzen zu bleiben, nicht erfüllt. Die Agentur Sportfive konnte keinen Vereinssponsor überzeugen, einen Teil der Zuwendungen in die Leichtathletik umzuleiten. Neue Geldgeber aufzutun fällt schwer: Sie dürften nur aus Branchen kommen, die nicht von anderen HSV-Sponsoren besetzt sind. Auch vom Verband hatte sich der HSV größere finanzielle Unterstützung etwa bei den Aufwendungen für Reisen und Trainingsmaßnahmen versprochen.

"Bis zur EM brauchen wir ein klares Signal vom HSV, wie es weitergeht", fordert Thaleiser. Athleten und Trainer könnten nicht noch bis zu den Olympischen Spielen warten. Zumal die Ungewissheit auch die Leistungen beeinträchtigen könne. Von den HSV-Athleten darf sich bislang nur Bayer nach seinem Satz auf 8,25 Meter sicher in Helsinki und London wähnen.

Ein Erfolg bei den Saisonhöhepunkten würde wohl auch die letzten Zweifler beim HSV überzeugen. "Aber der Fortbestand unserer Strukturen kann nicht davon abhängen, ob Sebastian bei Olympia eine Medaille gewinnt oder nicht", sagt Thaleiser. Bayer selbst, der meist in seinem Wohnort Mannheim trainiert, sieht seine Zukunft weiter beim HSV: "Ich fühle mich in dem Umfeld sehr wohl und kann mir gut vorstellen, mich auf Olympia 2016 in Hamburg vorzubereiten."