Im Gespräch mit seinem Biografen Roman Köster rechnet HSV-Idol Uwe Seeler mit seinem Verein ab. Er kritisiert Spieler, Führung und Aufsichtsrat.

Hamburg. Sie kennen sich seit fast 50 Jahren. Journalist Roman Köster begleitete Uwe Seeler bei zwei Weltmeisterschaften, wurde sein Freund und schrieb dessen Biografie. Jetzt trafen sich Köster und Seeler für das Abendblatt auf einem Bauernhof, zwölf Kilometer vor dem Nordseebad St. Peter-Ording.

Roman Köster: Uwe, da oben am Mast hängt eine ausgefranste HSV-Fahne, flattert da dein Seelenzustand?

Uwe Seeler: Stimmt. Selbst die Fahne hat es wohl nicht ausgehalten, was die Profis uns da geboten haben.

Nun stöhn mal nicht so rum. Dein Freund Wolfgang Overath ist in Köln doch viel schlimmer dran. Der ist seinen Präsidentenjob los, mit Podolski seinen besten Spieler, und sein Verein ist in die Zweite Liga abgestiegen. Der müsste viel mehr leiden als du. Aber ich glaube, du willst nur bemitleidet werden.

Seeler: Das ist ja eine tolle Bemerkung. Junge, es war nicht schlimm mit dem HSV, es war sogar sehr schlimm.

Du bist mit deinen 75 Jahren also immer noch glühender Anhänger ...

Seeler: Das werde ich auch noch mit 100 sein. Ich bin ein Seeler. Und mein Vater hat mir immer gepredigt: Es gibt im Leben nicht nur Sonnenschein. Es gibt auch Sturm und Regen, und da musst du dann durch. Diese Situationen habe ich zu Genüge erlebt. Ich konnte sie persönlich meistern. Jetzt aber musste ich mir dieses ganze Theater ansehen, ohne eingreifen zu können.

Moment mal. Als Ex-Vorstandschef Bernd Hoffmann abdankte, hieß es, du hättest mit Manfred Kaltz feurige Ansprachen in der Kabine gehalten.

Seeler: Da hätte ich ja auch zu Hause im Keller reden können. Glaubst du denn im Ernst, dass uns alten Knaben einer zugehört hätte? Fußball ist ein brutales Geschäft geworden. Die Spieler wissen um dieses Geschäft. In diesem Punkt sind sie nicht ohne Einsatz. Ich hab ja auch nix dagegen, wenn sie gutes Geld verdienen wollen. Ich habe wohl etwas dagegen, wenn sie für gutes Geld keine guten Leistungen abliefern.

Stürmer Paolo Guerrero verdient vier Millionen im Jahr ...

Seeler: Dann müsste er auch für vier Millionen Leistung bringen und nicht acht Spiele wegen unsportlichen Verhaltens ausfallen. Außerdem stelle ich fest, es hat verdammt lange gedauert, bis die Herren Berufsspieler kapiert hatten, in welcher Gefahr sie waren.

Das dauerte in der Tat sehr lange. Aber darum muss sich doch auch die Führung kümmern. Der Trainer, das Präsidium, der Sportdirektor.

Seeler: Sehr schlau, mein lieber Freund, du kennst dich ja doch ein wenig aus. Der Fisch stinkt immer vom Kopf her. Das ganze Theater hinter den Kulissen, die Trainerentlassung, der Präsidentenwechsel, das Kompetenzgerangel im Aufsichtsrat, das musste doch Spuren hinterlassen.

Man darf sich doch nicht wundern, wenn vor Saisonbeginn eine fast komplette Bundesligamannschaft mit gestandenen Spielern wie Rost, Zé Roberto oder Trochowski abgegeben wird und man dann mit Spielern aus der Reserve von Chelsea in den Abstiegsstrudel gerät. Über den Aufsichtsrat will ich gar nicht erst deine Meinung hören.

Seeler: Warum nicht?

Da traust du dich doch nicht.

Seeler: Ein Seeler traut sich immer. Da reden zu viele, und die gesamte Mannschaft dort am Tisch ist viel zu groß. Das sind sicherlich ehrenwerte Leute, die die Raute im Herzen tragen, deren Fachkompetenz aber nicht ausreicht. Schau dir die Münchner Bayern an: Da sind vier Herren, die diesen Verein regieren. Uli Hoeneß, Karl-Heinz Rummenigge und Karl Hopfner als Finanzfachmann. Als Berater fungiert dann noch Paul Breitner. Das sind Männer, die vom Fußball kommen und den Fußball leben. Bei Bayern steht die sportliche Leistung im Vordergrund und nicht die Eitelkeit von Funktionären.

17 Heimspiele hast du dir im Stadion gegönnt. Das war sehr gefährlich, denn dein Blutdruck ist ja auch nicht gerade sehr niedrig. Du hast in der Delta-Loge mit hochrotem Kopf hinter einer Glasscheibe gestanden.

Seeler: Nicht nur gestanden. Zum Endspurt habe ich mich nach 70 Minuten hinsetzen müssen, weil ich sonst umgekippt wäre. In der Kultloge bei Heinrich Höper musste man mich immer wieder moralisch aufrichten. Wie zu Hause meine Frau Ilka und meine Kinder.

Wie siehst du die Zukunft des HSV?

Seeler: Ich habe da keine kühnen Träume. Kapituliert habe ich aber noch nie in meinen Leben. Schon gar nicht auf dem Platz. Mir bleibt also etwas Hoffnung auf bessere Zeiten.

Was stimmt dich so pessimistisch?

Seeler: Ganz einfach. Es war die schlechteste Saison aller Zeiten. Ich habe überhaupt keine spielerische Entwicklung feststellen können. Vor allen Dingen ging mir die ständige Querspielerei auf die Nerven. Und dann das ständige Zurückspielen von der Mittellinie zum Torwart, das hat nicht nur mich zur Weißglut gebracht. Was dann noch hinzu kam: Die lustlose Einstellung mancher Profis war bis auf die Tribüne spürbar. Oft habe ich gedacht: Das ist ja Arbeitsverweigerung. Schau dir doch mal die Vereine an, die mit kleinem Geld Großes leisten. Siehe Freiburg, Augsburg oder Mainz. Für mich ist es ein Wunder, dass von diesen Klubs keiner abgestiegen ist.

Das heißt doch: Die Finanzkraft allein regelt nicht die Machtverhältnisse in der Bundesliga.

Seeler: Bei Finanzkraft könnte mein HSV ja sowieso nicht mitreden. Ich hätte gern einmal Klarheit über die finanzielle Situation und warum beim Ausscheiden des ehemaligen Vorstands angeblich so hohe Abfindungen geflossen sein sollen.

Es gab nie Ruhe. Beeinflussen Querelen hinter den Kulissen auch die Leistungen auf dem Platz?

Seeler: Das ist doch ganz klar. Nach dieser fehlenden Ruhe kam dieser schwarze Start mit fünf Niederlagen. Da war das Selbstvertrauen schon weg.

Und prompt kam ein neuer Trainer zu dem dänischen Sportdirektor aus England ...

Seeler: Nicht allein. Frank Arnesen hatte eine ganze Mannschaft im Gepäck. Reservespieler aus Chelsea und fünf sogenannte Talentsucher.

Frank Arnesen spricht bereits von einem zukünftigen Angriff auf den europäischen Fußball, will Platz acht in der neuen Saison erreichen. Ist das die richtige Philosophie?

Seeler: Sehr mutig. Aber zurzeit kann ich nicht sehen, wie man diesen achten Platz erreichen will. Wenn Arnesen es schafft, im Team finanziell abzuspecken, ohne sportliche Qualität zu verlieren, gehört er in die Gilde der Zauberer.

Mit Zauberei können wir uns schon jetzt auf den gleichen Höllentanz einrichten. Die Torschussschwäche ist doch nicht wegzudiskutieren. Hinten wie vorn.

Seeler: Vor allen Dingen aber müssen Spieler her, die bereit sind, an ihr Limit zu gehen. Von jedem Einzelnen muss die Bereitschaft da sein, in schwierigen Momenten den nächsten Schritt zu machen. Den Schritt, der weht tut. Dafür gibt es ein Wort: Beißen.

Ausgerechnet zum 125. Klubjubiläum drohte der Abstieg. Was hätte das für Folgen gehabt?

Seeler: Eine Katastrophe wäre es gewesen, bis runter in den letzten Amateurverein. Die Jugendlichen brauchen Vorbilder. Die sind zurzeit beim HSV aber nicht zu entdecken. Mir graut vor der nächsten Saison, wenn nicht alles, aber auch alles auf den Prüfstand kommt.