Der HSV-Trainer will Spieler ohne Siegermentalität abgeben und bei Neuzugängen auch auf private Gewohnheiten wie den Alkoholkonsum achten.

Hamburg. Thorsten Fink hat Hunger. Beim Frühstück im Elysée-Hotel bestellt sich der HSV-Trainer Pfefferminztee, zwei Spiegeleier und Schwarzbrot - Hauptgesprächsthema beim Abendblatt-Termin ist aber vorallem sein Erfolgshunger nach der miserablen 49. HSV-Spielzeit.

Hamburger Abendblatt: Herr Fink, für die schlechteste HSV-Saison aller Zeiten gibt es nur zwei mögliche Erklärungen. Die Mannschaft ist so schlecht, oder ihr Trainer konnte nicht mehr aus dem Team rausholen. Welche Erklärung ist richtig?

Thorsten Fink: Wenn wir über den Zeitraum sprechen, seitdem ich Trainer des HSV bin, dann war es nicht die schlechteste Saison aller Zeiten. In diesem Zeitraum sind wir Zehnter oder Elfter geworden. Das Team hat ein gewisses Grundpotenzial. Die Frage, die nach dieser Saison aber gestellt werden muss, ist, ob sie auch genügend Ehrgeiz und Willen hat. Das heißt ja nicht, dass es keine netten Jungs sind.

Nett ist wohl das schlimmste Kompliment, das man einer Frau machen kann.

Fink: Wie sagt man so schön? Everybody's darling is everybody's Depp. Wir brauchen einfach Spieler mit einer gewissen Drecksackmentalität.

Kann man das trainieren?

Fink: Eine Grundeinstellung muss bei jedem vorhanden sein. Aber im begrenzten Maße versuche ich trotzdem, den Jungs einen Siegerwillen zu vermitteln, indem ich Belohnungen bei Trainingsspielchen auslobe. Zum Beispiel muss der Verlierer dem Gewinner das Essen servieren, oder es kann um Liegestütze gehen. Es muss immer ein kleiner Einsatz dabei sein, aber den Grundcharakter kann man nicht ändern.

Ist es für Sie, der als Profi früher eher vom Einsatz gelebt hat, besonders schwer zu verstehen, dass nicht jeder von Haus aus die richtige Einstellung mitbringt?

Fink: Das ist es. Ich wollte immer gewinnen, immer. Manchmal kann zu viel Ehrgeiz natürlich auch hinderlich sein, aber als Fußballprofi sollte man schon einen gesunden Ehrgeiz mitbringen. Und wer diese Siegermentalität nicht mitbringt, auf den kann ich verzichten.

Wie kann man bei möglichen Neuzugängen verlässlich herausfinden, ob sie ausreichend Ehrgeiz mitbringen?

Fink: Wir informieren uns über jeden potenziellen Neuzugang im Detail. Wir werden jeden Einzelnen durchleuchten. Dabei geht es auch darum, wie sich die Profis abseits des Fußballfeldes verhalten, wie viel Alkohol sie trinken, welche Einstellung zum Beruf sie haben.

Hat Artjoms Rudnevs, den der HSV bekanntermaßen verpflichten will, den von Ihnen geforderten Siegeswillen?

Fink: Er hat 22 Saisontore erzielt, da ist ihm sicherlich nicht der Ball 22 mal vor die Füße gefallen. Und im Gespräch mit ihm reicht schon ein Blick in seine glänzenden Augen, um zu erkennen, dass er hungrig nach Erfolg ist.

Ist nicht jeder hungrig nach Erfolg?

Fink: Eben nicht. Letztens kam ein Spieler zu mir und sagte mir mit leiser, fast schon lustloser Stimme, dass er eine neue Chance haben wolle. Wer aber wirklich eine neue Chance haben will, der muss sein Anliegen mit Elan und Überzeugung durchsetzen.

Müssen Sie also doch mehr Spieler abgeben als zunächst gedacht?

Fink: Wir werden uns von dem einen oder anderen Spieler trennen, dessen Mentalität mich in den vergangenen Monaten nicht überzeugt hat. Auch bei den vielen Tiefpunkten der Saison habe ich wertvolle Erkenntnisse gesammelt. Das gilt selbst für so ein Spiel wie am letzten Spieltag gegen Augsburg, das mich maßlos enttäuscht hat. Wer nicht befreit aufspielen kann, wenn es um nichts mehr geht, der kann es auch nicht, wenn es um richtig viel geht.

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Es bleibt dabei, dass Sie sich neben den mutmaßlichen Neuzugängen Rudnevs und Adler noch zwei zentrale Mittelfeldspieler wünschen, oder?

Fink: Dabei bleibt es, wobei es weiterhin unser Hauptziel sein muss, einen zentralen Mann zu holen, der das Spiel lenken und die Bälle verteilen kann. Daran hat es in der vergangenen Saison gefehlt. Nach diesem Königstransfer müssen wir mal schauen, wie viel Geld dann noch übrig ist.

Könnten Sie damit leben, gegebenenfalls mit den Torhütern Adler und Drobny in die Vorbereitung zu gehen?

Fink: Ich will eigentlich nicht in Konjunktiven reden. Aber sicherlich wäre das keine optimale Konstellation für einen Trainer, schließlich muss man sich irgendwann zu einer klaren Nummer eins bekennen. Aber als Trainer müsste man auch dann eine Lösung finden.

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Inwiefern kann man Ihre Arbeit erst in der kommenden Spielzeit beurteilen, wenn Sie auch eine vollständige Saisonvorbereitung mitgemacht haben?

Fink: Mir ist schon wichtig, dass in der kommenden Saison eine Entwicklung erkennbar ist. Man sollte nicht vergessen, dass es auch für mich ein sehr turbulentes Jahr war. Ich stand noch in einem Moment mit dem FC Basel in der Champions League, eine Woche später mit dem HSV mitten im Abstiegskampf.

Wie hat sich der zunehmende Druck im Abstiegskampf bemerkbar gemacht?

Fink: Generell komme ich gut mit Druck klar. Aber natürlich hat die unbefriedigende Saison auch mein Privatleben beeinflusst. Es ist vorgekommen, dass sich meine beiden Jungs nach einem wenig erfolgreichen Bundesligawochenende im Schulbus den einen oder anderen bösen Spruch anhören mussten. Da wurde dann schon gesagt: "Euer Papa ist blöd, ihr habt ja schon wieder verloren und der Verein steigt ab."

Und wie erklärt man solche Dinge einem Fünf- oder Sechsjährigen?

Fink: Das ist schwierig, aber natürlich muss man Kindern auch erklären, dass zum Leben auch das Verlieren dazugehört. Ich mache mir da aber keine Sorgen. Meine Jungs sind charakterstark.

Wie haben Sie abgeschaltet?

Fink: Ich bin stressresistent. Mir reicht es, wenn ich mit meinen Kindern spielen oder wenn ich mal mit meinem Hund spazieren kann. Dabei kommt man auch mal auf andere Gedanken.

Hatten Sie auch mal Angst?

Fink: Nie. Wir haben zwar eine Saison gespielt, auf die wir nicht stolz sein können, aber zumindest haben wir immer die Spiele erfolgreich bestritten, in denen wir unbedingt punkten mussten.

St. Paulis André Schubert hat gerade erst erklärt, dass er einige Dinge bei sich verändern will. Darf ein Trainer öffentlich Fehler eingestehen?

Fink: Der eine sagt, es wäre ein Zeichen von Stärke, der andere sagt, dass dürfe man als Trainer nicht machen. Wenn aber alle sagen, dass man einen Fehler gemacht hat, dann sollte man zumindest darüber nachdenken.

Haben Sie Fehler gemacht?

Fink: Als Mannschaft haben wir leider viel zu viele Fehler gemacht. Aber wir sind mit einem blauen Auge davongekommen, kein Fan muss mehr Angst haben, dass die Bundesligauhr abläuft.

Die EM-Uhr von Dennis Aogo ist dagegen abgelaufen . Tut es Ihnen leid, dass er wegen der miserablen Teamleistung die Europameisterschaft verpasst?

Fink: Klar tut er mir leid. Aber bei Dennis mache ich mir keine großen Sorgen. Mit seiner Entwicklung bin ich sehr zufrieden - als Mensch und als Fußballer. Wenn er so weitermacht, dann ist er eben in zwei Jahren bei der WM dabei. Und bei uns kann er in der neuen Saison noch einen Schritt machen. Er ist ein ernsthafter Vize-Kapitän-Kandidat.

Heißt das, Westermann bleibt Kapitän?

Fink: Ich habe nicht vor, da etwas zu ändern. Natürlich hat auch Heiko das eine oder andere schwache Spiel hinter sich, aber er war immer ein vorbildlicher Kapitän. Mit solchen Leuten kann man sehr gut arbeiten, davon brauchen wir im kommenden Jahr mehr.