Obwohl noch kein Neuer da ist, bleibt Trainer Michael Oenning gelassen. Der HSV soll breiter und schneller spielen. Und erfolgreicher.

Hamburg. An diesem Sonnabend geht es endlich los. Vier Tage lang entspannt sich HSV-Trainer Michael Oenning auf der spanischen Ferieninsel Ibiza, ehe er mit der gesamten Familie am Mittwoch für zwölf Tage nach Kalifornien fliegt. Los Angeles, San Diego, San Francisco und zum Abschluss Las Vegas. "Natürlich wäre ich gerne für vier Wochen in den Urlaub geflogen, aber in Hamburg gibt es ja genug zu tun", sagt Oenning, der trotz der zahlreichen Aufgaben vor allem eines im Feriengepäck mitnimmt: ein gutes Gefühl.

Obwohl der HSV noch immer keinen Neuzugang verpflichten konnte, umgekehrt aber schon sieben Spieler abgegeben hat, sieht Hamburgs leitender Angestellter keinen Grund, vor seinem zweiwöchigen Jahresurlaub depressiv zu werden. "Ich habe alle Dinge mit Frank Arnesen besprochen. Wir sind voll im Soll", sagt Oenning, der die ersten Neuzugänge Anfang kommender Woche erwartet. An diesem Wochenende ist Sportchef Arnesen in London, um am Rande des Champions-League-Endspiels zwischen Manchester United und Barcelona die Gespräche mit dem FC Chelsea über eine Ausleihe Jeffrey Brumas abzuschließen. Der 19-jährige Niederländer soll für zwei Jahre an die Elbe wechseln, an deren Anschluss sich der HSV eine Kaufoption sichern will. Neben Bruma will Arnesen einen weiteren Innenverteidiger sowie einen defensiven und einen offensiven Mittelfeldspieler verpflichten. Ein Kandidat für das defensive Mittelfeld bleibt weiterhin Frankfurts Pirmin Schwegler. Das Ziel ist es, am Ende des Sommers einen Kader mit 20 Profis plus vier Talenten zu präsentieren, der die Qualität hat, um Platz sechs zu spielen.

Um die ambitionierte Zielsetzung zu erreichen, will Oenning nicht mehr und nicht weniger als den ganzen Verein auf den Kopf zu stellen. "Wir wollen alte Strukturen und Denkmuster aufbrechen", sagt der studierte Pädagoge, der seinen Katalog mit externen und internen Maßnahmen vor knapp zwei Wochen im Aufsichtsrat vorstellte. Oenning will vor allem das direkte Umfeld der Mannschaft modifizieren - sowohl personell als auch strukturell. In der medizinischen und der Presseabteilung sowie im Trainerstab hat es schon mehrere Wechsel gegeben, zudem will sich Oenning Hilfe im mentalen Trainingsbereich sichern. Und nachdem der Mitarbeiterstab bereits verändert wurde, sollen nun auch die Räumlichkeiten der Profis überarbeitet werden. Oenning plant, den gesamten Trainingstrakt im Stadion umbauen zu lassen. In der ersten Etage soll neben einem Spielraum mit Tischtennisplatte, Kicker, Playstation und Internetzugängen ein sogenannter Ruheraum als Rückzugszone für die Profis eingerichtet werden, zudem wird der Kraftraum umgestaltet.

Entscheidend ist aber, und das konnte Oenning bei seiner knapp einstündigen Powerpoint-Präsentation im Kontrollgremium überzeugend darstellen, dass der HSV in der kommenden Saison auf dem Rasen anders auftritt. Oennings Mannschaft soll wahlweise im 4-3-3- oder im 4-4-2-System ohne Mittelfeldraute, aber immer mit schnellen Flügelspielern auflaufen. Dabei räumte Oenning mit der Annahme auf, dass immer die Mannschaften das Spiel gewinnen, die mehr Ballbesitz hätten. Konter- und Dominanzfußball seien die beiden Systeme im Weltfußball. Hamburgs Spiel soll breiter und schneller werden - und vor allem erfolgreicher. Nicht das Team gewinne, das immer den Ball habe, sondern das Team, dessen Spieler am meisten laufen.

Um seine theoretischen Ideen zu veranschaulichen, präsentierte Oenning den beeindruckten Kontrolleuren und Vorständen eine detaillierte Auswertung des Heimspiels seiner Mannschaft gegen Borussia Dortmund. Während seine eigenen Spieler knapp zwölf Kilometer in den 90 Minuten unterwegs waren, liefen Dortmunds Akteure im Schnitt 13,5 Kilometer, also anderthalb Kilometer mehr. Dabei hätten die Spieler von Jürgen Klopp mehr als 600 Meter im Sprint zurückgelegt, die Hamburger dagegen nur knapp 500 Meter. Oenning erklärte anhand genauer Daten, wer, wann, warum mehr laufen müsste. Und obwohl die Partie am Ende 1:1 ausgegangen war, hätte man die wahre Geschichte des Spiels anhand der ungeschminkten Zahlen ablesen können. Oenning, ein erklärter Fan dieser Mathematisierung des Fußballs, will nun auch seine Spieler mehr laufen lassen, kopieren will er den Dortmunder Weg aber nicht. Dazu fehlt dem HSV Passgenauigkeit, Tempo und wahrscheinlich auch ein Mario Götze oder Nuri Sahin.

Als Sofortmaßnahme plant der 45-Jährige, den Teilzeit-Innenverteidiger Gojko Kacar zurück ins Mittelfeld zu beordern. "Gojko ist passsicher, kopfballstark und torgefährlich", sagt Oenning, der Kacar in einer ähnlichen Rolle wie Michael Ballack zu seinen guten Zeiten bei Chelsea sieht. Der laufstarke Serbe soll im zentralen Mittelfeld spielen, aber nicht als klassischer Staubsauger vor der Abwehr. Auf den Flügeln will Oenning Renner wie Eljero Elia oder Änis Ben-Hatira spielen lassen, die permanent von Außenverteidigern unterstützt werden, die mehr stürmen als verteidigen. So war es kein Zufall, dass bei Oennings Auswertung aus dem Dortmund-Spiel Mittelfeldmann Ben-Hatira und Linksverteidiger Dennis Aogo aufseiten der Hamburger die mit Abstand besten Werte aufwiesen.

Jetzt muss der Münsterländer Oenning nur noch die Theorie in die Praxis umsetzen. Ganz praktisch steht zunächst aber ein ganz anderer Programmpunkt an: Erholung pur.