Nur 402 Mitglieder wollten sich auf der Informationsveranstaltung des HSV aufklären lassen. Aufsichtsrat Rieckhoff attackiert Kollegen.

Hamburg. Es sollte der Tag der großen Abrechnung werden. Was war nach dem Aus von Bernd Hoffmann und Katja Kraus nicht alles geschrieben und gefordert worden. Die Initiative Pro HSV hatte 4000 Unterschriften für eine Versammlung gesammelt, forderte Aufklärung und Aufarbeitung. Am Ende jedoch kamen gerade mal 402 Mitglieder. Als der Aufsichtsratsvorsitzende Otto Rieckhoff um 15.47 Uhr die Informationsversammlung nach vier Stunden und 41 Minuten beendete, sprach er dennoch von einem "tollen Tag". Doch herausgekommen war allenfalls ein "Abrechnungchen", ganz im Sinne von Rieckhoff: "Das Feindbild Hoffmann ist weg, warum sollten wir die Vergangenheit beleuchten? Ich hoffe, die Grabenkämpfe hören jetzt auf."

Weniger harmonisch fiel dagegen der persönliche Rückblick Rieckhoffs aus. Just in dem Moment, als sechs Friedenstauben auf dem Rasen der Imtech-Arena Platz nahmen, wiederholte der angriffslustige Chefkontrolleur seine Vorwürfe an seine Aufsichtsratskollegen, die das Fass mit "gezielten Indiskretionen und ideologischen Angriffen" in den vergangenen zwei Monaten mehrfach zum Überlaufen gebracht hätten. Er wolle sich zukünftig "nicht mehr zum Deppen machen".

Größter Streitpunkt unter den Aufsichtsräten und auch auf der gestrigen Versammlung war der Wunsch einiger Mitglieder (zum Beispiel von Alexander Otto und Jörg Debatin) nach einer Briefwahl und Mitgliederbefragungen. "Es gibt in unserem Gremium derzeit keine Mehrheit für oder gegen eine Briefwahl. Es wird darüber diskutiert", sagte Rieckhoff, kurz bevor seine Kollegen Ertel (dagegen) und Otto (dafür) das Wort ergriffen. Die Fortsetzung der Diskussion dürfte den Satzungsausschuss, der alle zwei Wochen tagt, noch länger beschäftigen.

Sachlich-nüchtern, aber ebenso deutlich präsentierte sich der Vorsitzende Carl Edgar Jarchow zum ersten Mal vor den Mitgliedern. Obgleich er betonte, er wolle die Arbeit seiner Vorgänger nicht kritisieren, sprach er in seiner Analyse von einer überalterten, unstrukturierten Mannschaft, die zudem kein hohes Potenzial bei den Ablösesummen gehabt hätte. Nachdem zuletzt häufig über den Verlust im aktuellen Geschäftsjahr spekuliert wurde, prognostizierte Jarchow bis zum 30. Juni ein Minus von drei Millionen Euro, was er aber noch für vertretbar halte. Ein "Weiter so" hätte es nicht geben können: "Sonst hätten wir spätestens zum Ende des Jahres ernsthafte Probleme bekommen", sagte Jarchow, der mit einem Versprecher für den Lacher des Tages sorgte: "Ich kann Ihnen versichern, dass es zu keiner Zeit Liquidationen gab. Entschuldigung, liquide Probleme ..." Als Ziel für die kommende Saison nannte der HSV-Chef einen Platz unter den Top Sechs. Die Strategie sei, auf jüngere Spieler zu setzen. Bereits in den nächsten Tagen sollen erste Neuverpflichtungen kommen, Chelseas Jeffrey Bruma soll eine davon sein.

Als großer Gewinner durfte sich der scheidende Sportchef Bastian Reinhardt fühlen, der heute Mittag seinem Nachfolger Frank Arnesen Platz macht. Keiner der Kollegen auf dem Podium bekam auch nur annähernd so viel Zuspruch wie der künftige HSV-Jugendleiter, der sich trotz seiner Degradierung laut Rieckhoff stets loyal gegenüber dem Klub verhalten habe. "Es war ein schönes und unerwartetes Gefühl", sagte Reinhardt, der zugab, während der langen Führungskrise auch über Rücktritt nachgedacht zu haben. Den lautesten Applaus erntete er für das Bekenntnis, der Verein habe in jüngster Vergangenheit die Entwicklungen im Fußball (Laufintensität, Tempo, Taktik und Teamgeist) verschlafen.

Für gesteigerten Unterhaltungswert sorgte kurz vor Schluss ein Landwirt aus der Nähe Hamburgs, der forderte, man müsse doch dringend die Treppenaufgänge der Arena kontrollieren. Mindestens acht Leute seien am Sonntag beinahe gestürzt, sagte das HSV-Mitglied, das nach eigenen Angaben während der Sitzung eine Strichliste geführt habe. Ein Verletzter, das konnte zum Ende der Versammlung offiziell festgehalten werden, wurde im von Scheel gründlich geführten Protokoll aber nicht aufgelistet.